© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 31-32/24 / 26. Juli 2024

Dem Leben abgeschaut
Ausstellung: Die Berliner Gemäldegalerie feiert den niederländischen Porträtmaler Frans Hals
Regina Bärthel

Er ist einem breiteren Publikum längst nicht so bekannt wie seine Zeitgenossen Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck, gehört aber dennoch neben jenen zu den bedeutendsten Porträtmalern der niederländischen, wenn nicht europäischen Kunstgeschichte. Nun bietet die Berliner Gemäldegalerie die Möglichkeit, seine Bilder zu entdecken: In der Ausstellung „Frans Hals. Meister des Augenblicks“ findet sich ein großer Teil des Werkes dieses ungewöhnlichen Malers versammelt – erstaunlicherweise zum ersten Mal in Deutschland. 

Doch mit vollem Recht. Frans Hals (geboren 1582/84 in Antwerpen, gestorben 1666 in Haarlem) gehört zu jenen Meistern der Porträtkunst, denen es gelingt, die Dargestellten als Individuen einzufangen. Bereits in seinen frühen, den konventionellen Regeln folgenden Bildnissen ist dies zu erkennen: Es ist die Textur der Haut sowie eine kaum zu bestimmende Leibhaftigkeit und Körperspannung, die den Porträtierten eine ungemeine Lebendigkeit verleihen. Nicht selten strahlen sie Aktivität und Unmittelbarkeit aus, suchen den Blickkontakt zum Betrachter oder greifen gar aus dem ihnen zugewiesenen Rahmen heraus. Dies ist im Sinn des illusionistischen Trompe-l’œil-Effektes, einer perspektivischen Augentäuschung, durchaus wörtlich zu verstehen, wenn Hände aus dem gemalten Bildrahmen herausgreifen und ihn so als ein Fenster in eine nahezu gleichwertige Realität erscheinen lassen. 

Doch Frans Hals sprengte auch im übertragenen Sinne den Rahmen, indem er Maßstäbe und Regeln des traditionellen Porträts veränderte. Ungewöhnlich wirken schon die vor der Brust verschränkten Arme, mit denen Hals 1622 Isaac Abrahamsz Massa porträtierte. Eine Geste des fast schon provokanten Selbstbewußtseins, durch die auch der Wohlstand des Haarlemer Kaufmanns und Diplomaten gut zur Geltung kommt, denn sein präzise ausgeführtes brokatenes Wams ist am Ärmel reich mit Goldfäden bestickt. Zugleich findet man bereits hier die für Frans Hals so typische spontane Malweise, die ihren Wiederhall in der Moderne finden wird: Bei aller Detailgenauigkeit des Bildes löst sich die voluminöse Halskrause aus weißer Spitze in feinste, den Impressionismus vorwegnehmende Pinselstriche auf. Eine Auflösung der Materialität, die immer öfter in den Werken von Frans Hals auftaucht und ihnen eine impulsive Lebendigkeit verleiht. Vom Gros seiner Auftraggeber wurden sie allerdings weniger goutiert, wirkte dieser freie Strich auf sie doch eher skizzenhaft, ja unfertig. (Das schlug sich selbstredend auch in Hals’ Einkommen nieder, der finanziell bei weitem nicht so erfolgreich war wie seine beiden oben genannten Vorgänger.)

Seine Pinselführung machte ihn zum Vorreiter der Moderne

Massa hingegen war anderer Ansicht und schätzte den eigenwilligen Malstil. Wenige Jahre später entstand ein weiteres Porträt, das nun gänzlich vom distinguierten Standbild abweicht. Der sitzende Massa hat seinen Arm auf die Rückenlehne des Stuhls gelegt und wendet sich – offenbar im Gespräch – zur Seite. Eine lebendige und kommunikative Geste voller Aufmerksamkeit, die einem Diplomaten gut zu Gesicht steht (und möglicherweise wieder Einzug in die internationale Diplomatie nehmen sollte).

Frans Hals verwendet diese Pose mehrfach, so auch beim „Bildnis eines Mannes mit Schlapphut“ aus dem Spätwerk. Es gehört zu den bekannteren Werken des Malers, wurde es doch aufgrund seiner modernen, expressiven Pinselführung von den Secessionisten – darunter Lovis Corinth und Max Liebermann – als ein früher Vorfahr und sogar als Bestätigung ihrer eigenen malerischen Auffassung angesehen. 

Frans Hals erweiterte die Regeln des Porträts auch auf andere Art: War es durchaus üblich, prägnante „Köpfe von der Straße“ auf Genrebildern und Charakterstudien darzustellen, malte Hals für den freien Kunstmarkt auch Menschen der unteren, ja niederen Gesellschaftsschichten, darunter Schausteller, Prostituierte, Vorbestrafte und geistig Behinderte. Das bekannteste unter ihnen ist die „Malle Babbe“ (1640/46), die verrückte Barbara. Barbara Claes aus Haarlem ist eine nachgewiesen historische Person, die 1646 wegen unsittlichen Verhaltens – sie bediente sich wohl schimpflicher Reden in der Öffentlichkeit – in das Haarlemer Arbeitshaus gebracht wurde. Das Gemälde, von Frans Hals so skizzenhaft gemalt wie kaum ein zweites, bewegt sich zwischen naturalistischem Porträt und humorigem, wenn auch schonungslosem Genrebild. Darüber hinaus regte die „Malle Babbe“ über die Zeiten zu unterschiedlichsten Interpretationen an: von der naheliegenden Deutung, Bierkrug und Eule auf dem Bild verwiesen auf das holländische Sprichwort „zo beschonken als een uil“ („so besoffen wie eine Eule“) bis hin zu einer Dämonisierung der breit lachenden Frau mit den ruinösen Gesichtszügen. Die durch das Porträt immerhin Unsterblichkeit erlangte, beeindruckte das Gemälde doch mehr als 200 Jahre später niemand Geringeren als den französischen Realismus-Maler Gustave Courbet. Einträchtig hängt nun seine Kopie der „Malle Babbe“ neben dem Original. 

Die luftig gehängte Ausstellung hält die eine oder andere interessante Entdeckung bereit. In einer Zeit der sintflutartig auf uns herabströmenden Selfies und hochgeschminkten Konterfeis von Politikern zeigt sie auch, was ein Porträt ausmacht – und vermitteln kann. Vor allem aber trägt die Ausstellung durch eine breit angelegte Kooperation erstmalig rund 50 der bedeutendsten Gemälde von Frans Hals aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa, den USA und Kanada zusammen. Sie wurden zuvor schon in der Londoner National Gallery sowie im  Rijksmuseum, Amsterdam, präsentiert, in Berlin aber durch weitere rund 30 Werke erweitert: Sie stammen aus Frans Hals’ künstlerischem Umfeld in Haarlem; die Arbeiten seiner Konkurrenten wie seiner Werkstattschüler lassen interessante Vergleiche zu – und zeigen, wie ungewöhnlich die freie Pinselführung des eigensinnigen Porträtisten zu seiner Zeit war. Später wird sie ihn zum Vorreiter der Moderne werden lassen, wenn sich Ende des 19. Jahrhunderts Impressionisten wie auch Realisten von Frans Hals inspiriert fühlen, was weitere Arbeiten von Gustave Courbet, Lovis Corinth oder Max Liebermann nachvollziehbar machen.

Mit neun Werken besitzt die Berliner Gemäldegalerie übrigens eine der umfangreichsten und damit herausragenden Sammlungen an Bildern von Frans Hals weltweit, darunter auch die berühmte „Malle Babbe“. 


Bilder: Frans Hals, Malle Babbe, um 1640, Berlin: Eine nachgewiesen historische Person, Frans Hals, Bildnis des Isaac Abrahamsz Massa, 1622, Die Ausstellung „Frans Hals. Meister des Augenblicks“ ist bis zum 3. November 2024 in der Berliner Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog (Hatje Cantz Verlag) mit 368 Seiten kostet im Museum 39 Euro. 

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