© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 31-32/24 / 26. Juli 2024

Zeitschriftenkritik: mare
Sylt ohne Partysänger
Thorsten Thaler

Ob Theodor Storm, Christian Morgenstern, Thomas Mann und Max Frisch, die Verleger Peter Suhrkamp, Axel Springer und Henry Nannen, Gerd-Schulte-Hillen, Spiegel-Chefredakteur Rudolf Augstein oder heutige Fernsehpromis wie Günther Jauch und Johannes B. Kerner: Seit jeher übte die Insel Sylt auf zahlreiche Literaten und Medienleute eine große Anziehungskraft aus; ganz zu schweigen von den Reichen und Schönen des Jetset seit den Tagen eines Gunter Sachs und seiner zeitweiligen Ehefrau Brigitte Bardot. Der Feuilletonist Fritz J. Raddatz, ein gebürtiger Berliner, nannte seine Lieblingsinsel Sylt „ein nicht enden wollendes, sich ständig erneuerndes stetes kleines Wunder“. Er schwärmte ebenso von den Sommernächten wie von dem Licht der fahlen Wintersonne. „Das Meer erzählt seine Märchen, sie haben je einen anderen Klang, eine immer andere Farbe, wechselnd zu jeder Jahreszeit“, notierte er 2006 in seinem im Mareverlag veröffentlichten Buch „Mein Sylt“. Inzwischen liegt Raddatz auf dem Friedhof in Keitum begraben, ebenso wie Rudolf Augstein. Einen Auszug aus seinem Buch hat die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift mare jetzt in ihrer aktuellen Ausgabe (Nr. 134) mit dem Schwerpunktthema „Sylt“ abgedruckt. Raddatz’ zweiseitige Liebeserklärung kontrastiert dabei auf seltsame Weise mit der eher schlecht gelaunten, dafür doppelt so langen Sylt-Reportage der mare-Redakteurin Martina Wimmer und mit wenig überzeugenden Fotostrecken. Die Autorin arbeitet sich an den Gästen und dem Partygeschehen auf Sylt ab, bemerkt, daß man an jeder Ecke einen Kaschmirpullover kaufen kann, aber keine Wurstsemmel, und daß eine zum Ende der Insel führende Straße, auf der Schafe „abhängen“, von der Wehrmacht gebaut wurde. Leser greifen da wohl besser zum Reisemagazin Land & Meer (Jahresausgabe 2024). Darin führt Bestsellerautorin Gabriella Engelmann, die ihre Romane auf Sylt schreibt, zu ihren Inspirationsquellen auf der Insel.

Interessanter lesen sich in mare Geschichten über die potugiesische Jüdin Dona Gracia Nasi, die reichste Kauffrau der Renaissance, und über Adelbert von Chamisso, den Dichter der Romantik und Autor des „Schemihl“. Er wird als Weltumsegler und Naturforscher porträtiert. Gracia Nasi (1510–1569) ist wegen ihrer Herkunft Bespitzelungen, Denunziationen und Verfolgungen ausgesetzt, ererbt aber ein „unermeßliches Vermögen“ und führt erfolgreich die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes. Sie trotzt Inquisitoren, Königen und Päpsten. La Señora, wie sie in der Diaspora auch genannt wird, engagiert sich für verfolgte Juden. Ihr Traum eines unabhängigen jüdischen Staates jedoch „zerrinnt im Wüstensand“.


Kontakt: mareverlag GmbH & Co. oHG, Pickhuben 2, 20457 Hamburg. Das Einzelheft kostet 13,50 Euro, ein Jahresabo für sechs Hefte 67,50 Euro. www.mare.de