Auf dem Zirkusplatz in Halberstadt, dem Anger, steht ein LKW, auf dessen Ladefläche ein Sarg, an der Seite ein Banner mit der Losung: „Wir werden nicht regiert, / sondern ruiniert.“ Das ruft sogleich zwei Streifenwagen der Polizei auf den Plan, wird doch hier offenkundig der Staat delegitimiert. Sekundiert wird dieses Bild durch die jüngste Meldung des Handelsblatts, der zufolge die Zahl der Insolvenzen in Deutschland in der ersten Jahreshälfte deutlich gestiegen ist. Aber vielleicht reagieren die betroffenen Unternehmen ja nur auf Wirtschaftsminister Robert Habeck und haben bloß entschieden, einfach nicht zu produzieren.
Doch unverhofft öffnet das Zukunftslabor Halberstadt – zur konstituierenden Sitzung des Stadtrats offenbart sich die bundespolitische Perspektive Deutschlands: Eröffnet wird die Versammlung durch den Alterspräsidenten Peter Windhövel von der AfD, der die neuen Stadträte vereidigt und in seiner Rede vor Brandmauern warnt. Zwölf AfD-Abgeordnete bilden mit zwei Abgeordneten der Freien Wähler eine gemeinsame Fraktion (14 Abgeordnete), was – durch das Verbot Hubert Aiwangers – schon zwei Stunden später einen Parteiausschluß zur Folge hat, so die Top-Meldung in den MDR-Nachrichten. Im Gegenzug haben sich die Merz-Gefallenen der CDU mit den Grünen zusammengeschlossen (15 Abgeordnete).
Der politische Irrsinn und die Urlaubssehnsucht rufen nach einer kurzweiligen Erlösung.
London calling im Radio: Memento mori – nicht nur für’n Tory. Washington waiting: Bidens next stage / Coming-of-Age. Doch dann geht es mir wieder durch den Kopf: Stell dir vor, es ist Krieg – und keiner kriegt’s hin. Der politische Irrsinn einerseits und die Urlaubssehnsucht andererseits rufen indes nach einer kurzweiligen Erlösung. Diese bietet Anne Hashagen, die nicht nur als promovierte Wirtschaftwissenschaftlerin im Finanzwesen ihren Mann steht, sondern auch als Autorin reüssiert, so auch aktuell in ihrem ebenso expliziten wie witzigen Roman „Fucking Famous“ (Solibro). Dieser nimmt satirisch den delirierenden Digital-Fetischismus aufs Korn. Dessen Untertitel – „Wie ich zu einer Million Followern kam und dabei unendlichen Spaß hatte“ – wirkt dabei auf ganz analoge Weise reziprok: Verspricht die Lektüre doch ein rasantes Lesevergnügen für beide Geschlechter, wie auch die Begeisterung von Tina Ruland oder Moses Pelham belegen. Philosophisch versiert erkennt die Erzählerin, daß – mit Sartre gesprochen – Influencer doch heute die eigentlichen Existentialisten seien, bevor sich am Ende die Erkenntnis Bahn bricht, der zufolge die lautmalerische Verwandtschaft von „Influencer“ und „Influenza“ kein Zufall sein kann. Wie aktuell diese epidemische Sichtweise ist, demonstrieren die neuesten Flirt-Varianten des Coronavirus.
Anne Hashagen: Fucking Famous: Wie ich zu einer Million Followern kam und dabei unendlichen Spaß hatte. Roman. Solibro Verlag, Münster 2024, broschiert, 328 Seiten,16 Euro