In keinem europäischen Land hat es eine so lange und ununterbrochene Abfolge von blutigen Massakern und politischen Morden gegeben wie in Italien.“ Diese setzte unmittelbar nach dem Ende des Mussolini-Regimes im April 1945 ein und endete erst mit den Schlächtereien von 1992/93, denen der „Mafiajäger“ Giovanni Falcone zum Opfer fiel. Für Roberto Scarpinato, der seit 2013 als Generalstaatsanwalt von Palermo auf Falcones Spuren wandelte, 2022 in die Politik wechselte und heute als bedeutendster Ermittler gegen die „ehrenwerte Gesellschaft“ gilt, ist Italiens lange Nachkriegsgeschichte eine des permanenten „niedrigschwelligen Bürgerkriegs“. Dieselben Machteliten, die den Faschismus trugen, feudale Großgrundbesitzer, bürgerliche Großindustrielle, Unternehmer und Bankiers, führten diesen mit Hilfe der Mafia und des „tiefen Staats“ in Polizei, Justiz und Geheimdiensten gegen die demokratische Mehrheit der Nation. Aus deren Reihen ging 1948 jene „kulturelle und moralische Aristokratie“ hervor, die dem Land eine parlamentarische Verfassung gab. Sei schon der blutige Kampf des „tiefen Staates“ bis 1993 alles andere als eine „Verschwörungserzählung über geheime Mächte“, so sei auch seine unblutige Fortsetzung kein Phantasma, sondern laufe aktuell auf die Errichtung einer „autoritären Präsidialrepublik“ zu. (dg) www.lettre.de