© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/24 / 09. August 2024

La dolce Visa
Skandal im Außenamt: Stolpert Annalena Baerbock über vertrauliche Direktiven zur Einreiseerleichterung?
Christian Schreiber

Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland zuletzt eher verschämt über den immer weiter wachsenden Visaskandal im Auswärtigen Amt (AA) berichtete, stellte die Neue Zürcher Zeitung die alles entscheidende Frage: „Wiegen für Außenministerin Annalena Baerbock die Interessen von Migranten schwerer als die der Bundesrepublik?“ Rückblick: In der vergangenen Woche hatte der Cicero einen bemerkenswerten Artikel unter der Überschrift „Illegal, legal, egal“ veröffentlicht. Im Kern ging es um folgendes: Baerbocks Außenamt soll Einwanderer aus dem Maghreb, der Levante und weiteren Staaten nach Deutschland gebracht haben, ohne zu prüfen, wer da kommt.

Identitätsprüfung ohne Nachweis? „Alternative Glaubhaftmachung“!

Dabei sollen Sicherheitsbedenken aus dem Innenministerium – etwa bei der Aufnahme von Afghanen – monatelang ignoriert, strengere Maßnahmen blockiert worden sein. Der Cicero hatte im Frühjahr 2023 erstmals über diesen Verdacht berichtet. Damals hatte das Außenamt sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Nach neuerlichen Hinweisen auf Verfahrensfehler wurden dann jedoch Ermittlungen gegen drei Beamte aufgenommen. Der Vorwurf: Rechtsbeugung. Sie stehen im Verdacht, Visaanträge trotz gefälschter oder ungültiger Papiere genehmigt zu haben.

Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye (BSW) wollte deshalb per parlamentarischer Anfrage erfahren, ob die Bundesregierung Anlaß für interne Überprüfungen sehe. Die Antwort fiel erstaunlich klar aus. Man sehe keine „Anhaltspunkte für eine Verletzung von dienst- oder arbeitsvertraglichen Pflichten durch die Beschäftigten, die die Einleitung disziplinar- oder arbeitsrechtlicher Maßnahmen rechtfertigen würde“. Für Leye eine Überraschung. Es dränge sich ihm der Eindruck auf, als würde in dieser Affäre „niemand zu tief graben“ wollen, aus Angst „vor dem, was ans Licht kommen könnte“.

Interne Dokumente des Auswärtigen Amtes, aus denen der Cicero ausgiebig zitierte, belegen unterdessen, wie leichtfertig offenbar Einreiseerlaubnisse an Migranten verteilt worden sind. Bei Menschen, die sich nicht ausweisen konnten, wurde auf Grundlage einer „alternativen Glaubhaftmachung“ ausgestellt. „Die alternative Glaubhaftmachung ist ein im nationalen Recht und von der Rechtsprechung vorgesehenes Instrument“, heißt es in den entsprechenden Richtlinien, die als Verschlußsache gekennzeichnet waren und an deutsche Visastellen in „insbesondere Addis Abeba, Amman, Ankara, Bagdad, Beirut, Damaskus, Doha, Duschanbe, Erbil, Islamabad, Istanbul, Khartum, Nairobi, Neu-Delhi, Taschkent und Teheran“ ausgegeben worden sein sollen.

De facto sind sie Handlungsvorgaben, wie mit Ausländern umgegangen werden soll, die nach Deutschland wollen, aber keinen Personalausweis vorlegen können. Medienberichten zufolge sei das Verfahren bisher oftmals wie folgt abgelaufen: „Es sind alle geeigneten und verhältnismäßigen Mittel der alternativen Glaubhaftmachung zugelassen, zum Beispiel Fotos, Videos, Impfpässe, Schülerausweise.“ Und: „Es ist nicht erforderlich, daß die Behörde mit absoluter Gewißheit die Richtigkeit des Sachverhalts feststellen muß. Es reicht vielmehr aus, wenn die Visastelle mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit überzeugt ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen.“ Der sprichwörtliche Hammer folgte dann jedoch zum Schluß: „Eine Ablehnung allein aufgrund nicht vorliegender Belege ist nicht möglich.“

Fehlverhalten sieht man im Außenministerium bis heute nicht. Vielmehr verwahrt man sich gegen die Berichterstattung des Cicero. Dabei hatte die deutsche Botschaft in Islamabad das Auswärtige Amt bereits über verschiedene Mißbrauchsversuche informiert, die im Zuge des per Direktive erleichterten Visaverfahrens entdeckt worden seien. Auch von diesen Dienstanweisungen will man im Außenamt inzwischen allerdings nichts mehr wissen. „Grundsätzlich werden bei jedem Visumantrag alle Voraussetzungen geprüft. Dazu gehört selbstverständlich auch die Identitätsprüfung. Erst wenn die Identität geklärt und alle weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, kann ein Visum erteilt werden“, teilte das Ministerium unlängst der Schwäbischen Zeitung mit. Doch auch diese Erklärung ist nun möglicherweise ein Fall für den Staatsanwalt.

Der Cicero berichtete nämlich auch, daß es sich bei vielen der betreffenden Dokumente um ad hoc ausgestellte „Proxy-Pässe“ handele, mit denen in erster Linie Syrer, Afghanen und Türken eingewandert sein sollen. Auch Pakistanis und Angehörige verschiedener afrikanischer Staaten verfügten offenbar über solche rechtlich nicht statthaften Einreisegenehmigungen. Ein Ministeriumssprecher unterstrich zuletzt, es handele sich nach seinem Kenntnisstand lediglich um 19 Fälle, in denen man diese „Leerdokumente“ ausgestellt habe: „Man kann hier aber nicht von einem Visaskandal sprechen. Wir sind bei der Visavergabe an Recht und Gesetz und an Regeln gebunden, und die werden auch eingehalten.“

Pakistanischer Agent wird in letzter Sekunde von Einreise abgehalten

Dem widersprach dem Focus zufolge aber ein Ermittler der Bundespolizei. Demnach gebe es offiziell drei Ermittlungen gegen leitende Beamte des Außenamtes. Bei diesen Verfahren, die sehr komplex seien, überprüfe man im Hintergrund Hunderte Vorgänge nicht berechtigter Einreisen. All das müsse untersucht werden. „Wir graben uns dabei durch alle Strukturen des AA und der deutschen Auslandsvertretungen“, erklärte der namentlich nicht genannte Beamte. Teilweise seien horrende Bestechungsgelder geflossen, es seien Abhol-Listen von Homosexuellen in Umlauf gewesen. Ein beteiligter deutscher Beamter sagte dazu: „Ob das stimmt, konnte niemand überprüfen. Teilweise ging es ums nackte Überleben.“ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte dazu mit, es seien seit 2018 rund 12.000 Ausnahmen von der Paßpflicht gemacht worden.

Wie der Cicero weiter berichtete, sei gegen den ausdrücklichen Willen der deutschen Botschaft in Islamabad Tausenden Migranten aus Afghanistan die Einreise gestattet worden – darunter angeblich sogar einem pakistanischen Geheimdienstmitarbeiter. Der Bundesnachrichtendienst stellte daher bereits 2023 fest, „daß das deutsche Aufnahmeprogramm durch islamistische Ortskräfte unterwandert ist“. Es habe entsprechende Warnungen gegeben, aber das Auswärtige Amt habe gedrängt, die Personen, die zum großen Teil der geschlagenen afghanischen Armee angehört hätten, dennoch aufzunehmen. Im Kern sei es darum gegangen, Einreisen und Familiennachzug von Migranten zu erleichtern und Bedenken hintanzustellen.

Außenministerin Baerbock selbst versteht die Aufregung indes nicht. „Ich habe zur Kenntnis genommen, daß es eine Berichterstattung (gab), die es schon mal gegeben hat, wo wir schon mal sehr deutlich gemacht haben, daß mit Blick auf die Visaverfahren die eingeübte Praxis natürlich nach Recht und Gesetz ist“, bekräftigte sie unlängst.


Foto: Außenministerin Baerbock (Grüne) auf dem Euphrat im Süden des Irak, wo sie ebenfalls erleichterte Einreisebedingungen angeordnet hat: Die ganze Welt zum Gegenbesuch einladen