Die vereinigten Gutmenschen mögen sich für einen Moment als Sieger gefühlt haben, als der baden-württembergische Kinderarzt Ulrich Kuhn ein Schild aus dem Eingangsbereich seiner Praxis entfernen ließ, wonach er nur deutschsprachige Patienten behandele.
Der Fall aus Kirchheim unter Teck sorgte für bundesweite Schlagzeilen und rief auch die üblichen Berufsempörten auf den Plan. Seit einigen Tagen ist das Schild ab. Doch für Schadenfreude gibt es keinen Anlaß. „Wir haben das Schild jetzt ausgetauscht, weil wir denken, daß die Botschaft – insbesondere durch den ganzen Medienrummel – jetzt all unsere Patienten erreicht hat, die es wissen müssen“, erklärte der Mediziner.
Mehrere Wochen hatte die Praxis vor den Toren von Stuttgart mit dem Schild auf eine neue Regelung hingewiesen: „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – außer in Notfällen – zukünftig ablehnen.“
In mehreren Interviews erklärte Kuhn die Beweggründe. Das sorgte vor allem in den sozialen Medien für eine Welle der Entrüstung. Die Wahrheit ist aber eine andere: Kuhn wollte jedes Kind behandeln, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Nationalität. Nur eines war ihm wichtig: Er muß das Kind oder dessen Eltern auch verstehen, um seine Behandlung durchzuführen.
„Es häufte sich seit einigen Jahren, daß Patienten einfach kommen und weder Eltern noch Kinder verstehen, was wir sagen. Diese Sprachbarriere ist Realität“, sagte Kuhn der Cannstatter Zeitung und verdeutlichte die Problematik am Beispiel einer Impfung. Die sei juristisch gesehen eine „kleine Körperverletzung“: Verabreicht er zum Beispiel eine Impfung ohne Einverständnis der Eltern und ohne zu wissen, ob das Kind Allergien hat, kann er sich strafbar machen. Wenn es nichts Lebensbedrohliches ist, bekomme der nicht deutschsprachige Patient einen neuen Termin und solle dann einen Dolmetscher mitbringen. In vielen Fällen habe das auch gut funktioniert. „Wenn jemand im nachhinein sagt, er sei sprachlich gar nicht in der Lage gewesen, eine Einwilligung zu geben, dann findet sich da ein Anwalt, der einen Anspruch geltend macht“, erklärte der Mediziner weiter.
Er sei gesetzlich dazu verpflichtet, seine Patienten über alles aufzuklären. Gleichzeitig muß er ihre Vorgeschichte und ihre Erkrankungen kennen. „Dazu müssen wir schon mit den Eltern sprechen können“, betonte der Arzt. Rund 3.500 Kinder und Jugendliche werden laut Kuhn pro Quartal in der Praxis behandelt. Seit rund 23 Jahren praktiziere er mit seinem Kollegen vor Ort. Etwa jeder zweite Patient habe inzwischen einen Migrationshintergrund.
Kuhn erklärte weiter, daß die Zahl der Arztbesuche gestiegen sei. Verbunden mit einer Sprachbarriere hätten sie zu einer fast unlösbaren Situation geführt. Die Kritik an seinem Vorgehen sei nur von außen gekommen. Die Kassenärztliche Vereinigung in Stuttgart erklärte, daß die Verständigungssituation für Ärzte kaum lösbar sei.