Tradition ist in der Bundeswehr ein politisch vermintes Gelände. Das ist allein schon an den Kontroversen erkennbar, die bei jeder Änderung des Traditionserlasses, der erstmals 1965, zehn Jahre nach Aufstellung der damaligen westdeutschen Streitkräfte, ausgegeben wurde. Das gilt auch für die jüngste Version von 2018 unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Grob vereinfacht gilt: Die Bundeswehr beruft sich auf ihre eigene knapp 70jährige Geschichte, auf die Ideen der preußischen Heeresreformer sowie auf Repräsentanten des militärischen Widerstands gegen die NS-Diktatur, Stichwort 20. Juli 1944 (JF 30/24). Weder die Wehrmacht noch die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR könnten als Institution traditionsstiftend für die Bundeswehr sein. Aber: Einzelne Angehörige dieser Streitkräfte können nach individueller Prüfung als Vorbild und damit traditionsstiftend für die Truppe dienen.
Auf wen das zutrifft, sorgt ebenfalls regelmäßig für Diskussionen. Innerhalb wie außerhalb der Truppe, etwa wenn es um die Namensgebung für Kasernen und andere militärische Einrichtungen geht. Um so erstaunlicher ist, wie relativ geräuschlos ein aktuelles Papier aufgenommen wurde, in dem der für Einsatzbereitschaft und Unterstützung zuständige Abteilungsleiter im Bundesverteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, einige „ergänzende Hinweise“ zum Traditionsverständnis darlegt. Nach wie vor gilt, daß das soldatische Selbstverständnis an die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht nur an militärische Professionalität gebunden ist.
Seit der „Zeitenwende“ steige jedoch auch die Bedeutung der „Kriegstüchtigkeit“ wieder – so wie bereits zu Zeiten des Kalten Krieges, heißt es im Papier des Dreisternegenerals. Daher müsse ein größeres Augenmerk auf militärische Exzellenz und klassische soldatische Tugenden gelegt werden: „In der Traditionspflege der Bundeswehr mit Bezug zur Zeitenwende kommt der Gründergeneration der Bundeswehr eine bedeutende Rolle für traditionsstiftende militärische Exzellenz zu.“
Rohrschneiders Ergänzungen nennen dabei auch konkrete Namen und Beispiele, sowohl für einzelne Teilstreitkräfte als auch für die gesamte Bundeswehr. Dazu gehören beispielsweise die Flieger-Asse Erich Hartmann („erfolgreichster Jagdflieger“ mit 352 Luftsiegen) und Günther Rall sowie der Pour-le-Mérite-Träger Theodor Groppe (JF 29/13). Bemerkenswert ist zudem, mit welcher Begründung bereits an zweiter Stelle Brigadegeneral Heinz Karst (JF 5/02) genannt wird, der sich nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr am Aufbau des konservativen Studienzentrums Weikersheim beteiligte: Er sei „einer der prominentesten Vertreter der Inneren Führung“, habe aber „eine Überbetonung des zivilen Anteils“ daran abgelehnt. Und: „Wurde für seine auf Kriegstauglichkeit gerichteten Positionen Anfang der 70er Jahre unter anderem durch das Spiegel-Magazin öffentlich kritisiert.“