Frank Hauke
Seit acht Monaten geht die Falschmeldung rauf und runter: Die AfD „plant“ oder habe gar „beschlossen“, deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund massenhaft zu deportieren. Die Medien berufen sich dabei auf einen Correctiv-Bericht vom 10. Januar über ein angebliches „Potsdamer Geheimtreffen“, an dem übrigens mindestens genauso viele CDU- wie AfD-Mitglieder teilnahmen. Sowohl publizistisch – unter anderem durch intensive Recherchen der JUNGEN FREIHEIT – als auch juristisch ist die Behauptung längst widerlegt. Doch sie paßt ins Narrativ und wird deswegen stets aufs neue wiederholt.
Erst jetzt gewinnt die Diskussion um den Wahrheitsgehalt der Correctiv-Erzählung auch im Mainstream richtig an Fahrt, da das anerkannte Branchenportal Übermedien eine ausführliche Generalabrechnung veröffentlichte. Bedeutung hat der gnadenlose Verriß auch wegen seiner Autoren: Neben Übermedien-Chef Stefan Niggemeier stehen die Namen von Felix W. Zimmermann, Chefredakteur des renommierten Juristen-Portals Legal Tribune Online (LTO), sowie des Leiters der Henri-Nannen-Journalistenschule, Christoph Kucklick, über dem Text. Alle drei sind bisher zudem frei von dem Ruf, im falschen politischen Lager zu stehen.
Die Autoren stellen die bisherige Berichterstattung auf den Kopf
Selbst die taz gibt sich nun nachdenklich. Das Blatt räumte ein, daß Correctiv mit dem im Januar erhobenen Kernvorwurf, das Treffen von Potsdam erinnere an die Deportationspläne der Nationalsozialisten, lediglich „ein Narrativ füttern möchte“, das nur mit dem acht Kilometer entfernten Haus der Wannseekonferenz begründet werde. Damit habe Übermedien „einen Punkt“ gemacht.
„Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“, hatte das Portal seine umgerechnet acht DIN-A-4-Seiten lange Auseinandersetzung mit dem wohl einflußreichsten Text dieses Jahres überschrieben. „Wer von den vielen Leuten, die alarmiert durch die Berichterstattung auf die Straße gegangen sind, weiß, daß Correctiv gar nicht über ‘Deportationspläne‘ berichtet haben will? Wer von ihnen weiß, daß Correctiv vor Gericht sogar ausdrücklich festgestellt hat, solche Pläne seien nicht besprochen worden?“ fragen die Autoren rhetorisch und stellen damit die gesamte bisherige Berichterstattung der Leitmedien auf den Kopf.
Die in den Fragen verkleideten Fakten sind zwar nicht neu – wohl aber offenbar für viele Journalisten, die sich bisher nicht von den widerlegten Behauptungen in ihrer Berichterstattung stören ließen. Auch dazu wird das Trio deutlich: „Correctiv selbst verbreitet aktuell immer noch die Mär von der gerichtlich bestätigten ‘Geheimplan-Recherche’, aber den meisten linksliberalen Medien ist so viel Ungenauigkeit offenbar keine Kritik wert.“
Wie wenig sich das mit Steuergeldern finanzierte „gemeinwohlorientierte Medienhaus, das Demokratie stärkt“ jedoch um faktenorientierte Berichterstattung kümmert, zeigte dessen in der vergangenen Woche veröffentlichte „Entgegnung auf die Kritik von Übermedien“. Dort behauptete Correctiv nicht nur wahrheitswidrig: „Der Kern unserer Recherche bleibt unangetastet“, sondern stellte auch zweimal erneut die Behauptung auf, die es vor Gericht zurückgezogen hatte.
Die nicht namentlich gekennzeichneten Autoren schreiben: „Unsere Belege und Zitate machen deutlich, daß es um die Vertreibung von Millionen Menschen, darunter auch deutscher Staatsbürger, ging.“ Und an anderer Stelle steht: „Wenn pauschal Millionen Menschen aus Deutschland vertrieben werden sollen, darunter auch Staatsbürger, ist das durchaus als Angriff auf die Verfassung zu sehen.“
In den juristischen Auseinandersetzungen hatte Correctiv dagegen zugegeben, es sei „zutreffend“, daß „die Teilnehmer*innen nicht über eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen haben“. Der Ruf des Portals ist mehr als angeknackst. Ob allerdings die Zeiten vorbei sind, in denen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) die gesamte Redaktion ins Schloß Bellevue einlud, um sie überschwenglich dafür zu loben, daß sie „unser Land aufgerüttelt“ hätten, ist fraglich. Erst kürzlich hat Correctiv für seine Räuberpistole den Leuchtturm-Journalistenpreis des Netzwerkes Recherche eingeheimst. Obwohl da schon gerichtsfest klargestellt war, daß an der Deportations-Behauptung nicht das geringste dran war, erklärte die Laudatorin, Journalisten sollten sich „die Kolleginnen und Kollegen von Correctiv zum Vorbild nehmen“.
Warum sachlich, wenn
es auch persönlich geht?
Trotzdem liegen nach dem Übermedien-Bericht die Nerven blank. Correctiv-Chef David Schraven knöpfte sich Chefredakteur Niggemeier mit Angriffen vor, ohne auch nur zu versuchen, die Kritik zu widerlegen: „Der Mann sucht nach dem Skandal im Menschen und ist vor Neid zerfressen.“ Und: „Irgendwo ist für ihn immer die Korinthe, die er kacken muß.“ Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht?
Nach diesem Motto verfuhr auch der Journalist und Mitbegründer des Peng!-Kollektivs Jean Peters, dessen Beteiligung an der „Geheimplan“-Nummer ohnehin schon hätte hellhörig machen müssen. Denn daß er gern mit Unwahrheiten hantiert, hatte er bereits zuvor offenherzig auf seiner Website zugegeben. „Ich erfinde Geschichten, mit denen ich in das politische und ökonomische Geschehen interveniere.“ (JF 8/24).
Peters also ging auf X auf Übermedien-Autor Kucklick los. Dem Leiter der Henri-Nannen-Schule bot er mit der Correctiv-eigenen Arroganz eine Art Therapiegespräch an, denn dieser habe „angestaute Wut“ in sich und es gehe ihm „um Status“. Gefangen in der eigenen Blase, merkte Peters nicht, wie auch diese faktenfreie, dafür aber unter die Gürtellinie gehende Attacke die Reputation weiter beschädigte. Seine stellvertretende Chefredakteurin, Anette Dowideit, verstand aber doch, daß unterschwellige Beleidigungen im Kampf um Glaubwürdigkeit nicht weiterhelfen. Sie schritt ein: „Einzelmeinungen von Mitarbeitenden spiegeln nicht die Haltung der gesamten Redaktion wider.“ Doch der „Geschichtenerfinder“ Peters zeigte Nerven und griff nun auch seine Vorgesetzte an: „Deine Meinung.“ Kurz darauf löschte er seine Posts und entschuldigte sich. Er sei „angefaßt“ gewesen.
Seine Argumentation, mit der er die Kritik des Übermedien-Texts widerlegen will, blieb allerdings dürftig. Aus den „belastbaren Zitaten“ gehe doch deutlich hervor, daß es „ihnen“ – gemeint sind die Teilnehmer des Treffens – darum ginge, „Millionen von Menschen – darunter ausdrücklich auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit – zu vertreiben“, behauptete Peters und postete dazu einen Auszug aus dem Correctiv-Artikel. Aus dem ging allerdings gar nichts deutlich hervor. Statt dessen war davon die Rede, daß einer der Teilnehmer von einem Expertengremium sprach, das die Remigrationspläne ausarbeiten solle, unter „ethischen, juristischen und logistischen Gesichtspunkten“. Von „Millionen Menschen“ oder „Vertreibung“: keine Rede. Nicht viel überzeugender wirkte Peters’ anschließender Versuch, einen der Übermedien-Autoren, Christoph Kucklick, aufgrund seiner leitenden Tätigkeit bei der Henri-Nannen-Journalistenschule zu attackieren: „Bei der Gelegenheit“, betonte Peters in Anspielung auf den Namensgeber der Bildungseinrichtung, „möchte ich daran erinnern, daß Henri Nannen sein Handwerk bei der Waffen-SS lernte.“
Es sind Sätze wie folgende, die die sich bisher unangreifbar fühlenden Correctiv-Macher erschüttern: „Längst ist offenkundig, wie problematisch die Correctiv-Berichterstattung und ihre Rezeption sind. Und wie sehr gleichzeitig in weiten Teilen der seriösen Presse eine kritische Auseinandersetzung damit fehlt“, schrieb Übermedien. Der Leuchtturm-Preis für den Text überdecke, „wie schwach dieser journalistisch ist. Er unterstellt, statt zu belegen, er raunt, statt zu erklären, er interpretiert, statt zu dokumentieren.“
Das „Schlimmste“ sei jedoch, so die drei Autoren, daß man nicht wisse, „worin der Skandal von Potsdam besteht“. Übermedien schreibt weiter: „Die kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht darf daher nicht länger konservativen und vor allem rechten Medien überlassen werden.“ Die JF hatte sich auf ihrer Online-Seite schon am 11. Januar, nur einen Tag nach der Correctiv-Veröffentlichung, ähnlich ausgedrückt: „Wo also liegt der Skandal? Correctiv baut ihn sich selbst zusammen.“
Als ob das Portal diesen Anwurf noch einmal bestätigen wollte, schreibt es nun in seiner „Entgegnung“ über die fehlenden Belege für die Behauptung, der Leiter der Identitären Bewegung, Martin Sellner, habe die Abschiebung von Deutschen mit Migrationshintergrund gefordert: „Sellner muß gar nicht sagen, um welche Personengruppen es ihm geht. Jedem Teilnehmer auf dem Treffen dürfte bewußt sein, welche Personengruppen Ziel seiner Remigrationspläne sind.“
Manche mag diese Chuzpe verwundern. Aber Correctiv bleibt sich schlicht treu: Es zählen nicht Fakten und Zitate, sondern der Spin, den die Redaktion dem Ganzen gibt und dann als Tatsache verkauft. Übermedien hat verstanden, daß das nichts anderes als eine „Spekulationskaskade“ im Zusammenhang mit dem in Berlin liegenden Haus der Wannsee-Konferenz ist. Dort „planten“ und „beschlossen“ die Nazis 1942 tatsächlich die Vernichtung von Millionen Juden. Auch für Innenministerin Nancy Faeser (SPD) war das Grund genug, das Treffen in Potsdam als „zweite Wannseekonferenz“ zu bezeichnen.
Gerichtsurteile rund um die „Correctiv“-Geschichte
27. Februar
Das Landgericht Hamburg erläßt eine einstweilige Verfügung gegen Correctiv. Das Medium darf nun nicht länger behaupten, Ulrich Vosgerau habe den Teilnehmern der Veranstaltung empfohlen, massenhafte Wahlbeschwerden einzureichen. Zwei andere Vosgerau betreffende Textstellen, gegen die der Jurist geklagt hatte, dürfen im Text bleiben. Das Gericht sieht sie als zulässig an.
Brisanter ist bei dieser ersten Gerichtsverhandlung jedoch etwas anderes: Der Hauptvorwurf von Correctiv, die Teilnehmer des Treffens hätten „massenhafte Deportationen“ von Menschen aufgrund „rassischer Kriterien“ geplant, wird vor Gericht nicht verhandelt. Der Rechtsanwalt Carsten Brennecke und sein Mandant Vosgerau hatten darauf verzichtet, in diesem Punkt zu klagen, da dieser Punkt im Correctiv-Text lediglich als Interpretation und Meinungsäußerung auftauche.
Das gibt das Correctiv-Team sogar selbst zu. Als sieben Teilnehmer des Potsdam-Treffens eidesstaatliche Erklärungen abgeben, daß es während des Treffens zu keiner Zeit um Pläne zur Vertreibung oder Deportation von Menschen gegangen sei, reagiert Correctiv indem es acht eigene Erklärungen einreicht. Darin schreibt der Anwalt Thorsten Feldmann, die Medienplattform habe nie behauptet, in Potsdam habe man geplant „unmittelbar und sofort deutsche Staatsbürger mit deutschem Paß auszuweisen“. Statt dessen hätten die Teilnehmer des Treffens sogar anerkannt, daß so etwas rechtlich nicht möglich sei.
10. Mai
Das Landgericht Hamburg verbietet dem Correctiv-Geschäftsführer David Schraven, die Falschbehauptung zu verbreiten, das Gericht habe die Berichterstattung des Mediums bestätigt. In einem Interview mit der FAZ hatte Schraven behauptet, „der Kern“ des Artikels sei bestätigt worden: „daß bei diesem Geheimtreffen über einen Masterplan gesprochen wurde, mit dem ‘Remigration’ betrieben werden sollte, und daß das auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte betrifft. Das Gericht hat mehrmals gesagt, daß das, was von uns vorgetragen worden ist, die ‘prozessuale Wahrheit’ ist.“
Dem widerspricht das Gericht: „Der Durchschnittsleser entnimmt der streitgegenständlichen Passage, daß das Gericht sich in seiner Entscheidung zu dem näher beschriebenen ‘Kern des Artikels’ geäußert und diesen bestätigt hat. Die so verstandene Tatsachenbehauptung ist unwahr. Das Gericht hat in der hier thematisierten Entscheidung hierzu keine Aussage getroffen.“
23. Juli
Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg untersagt der „Tagesschau“ und dem NDR, die Behauptung zu wiederholen, bei dem Potsdamer Treffen sei die Ausweisung deutscher Staatsbürger debattiert worden. Die beiden öffentlich-rechtlichen Medien hatten diese Behauptung des Correctiv-Textes mehrfach wiederholt und als Tatsache dargestellt. Dabei habe die „Tagesschau“ keine eigenen Recherchen angestellt, um den Inhalt des Correctiv-Artikels zu überprüfen, sondern sich lediglich auf Zeitungsartikel und den Correctiv-Text bezogen, stellt das Gericht fest.