Zu Hunderten kamen die Menschen vergangenen Sonntag in den New Yorker Central Park, um den Geburtstag von Ariel Bibas zu feiern. Zeitgleich – in Israel war es schon später Abend, doch der jüdische Tag beginnt traditionell mit der Dämmerung des Vortags – erleuchtete die Jerusalemer Calatrava-Brücke, von den Anwohnern „Harfe Davids“ genannt, in einem strahlenden Orange. Sie erinnerte in ihrer Farbe an Ariels markant feuerrotes Haar sowie daran, daß er an diesem Tage fünf Jahre alt wurde. Doch seinen Geburtstag mitfeiern konnten weder er noch seine Familie – seit dem 7. Oktober 2023 befinden sie sich in Geiselhaft der radikalislamischen Hamas irgendwo im Gazastreifen. Ariel ist eine der jüngsten Geiseln, sein kleiner Bruder Kfir, der im Januar ein Jahr alt geworden ist, die jüngste Geisel überhaupt. Ihr Vater Yarden wurde von den Kindern und der Mutter Shiri getrennt untergebracht, die Großeltern vergangenen Oktober in ihrem Häuschen im Kibbuz Nir Oz brutal ermordet.
Auch zehn Monate nach dem Terroranschlag des 7. Oktober 2023, als die Nukhba-Todesschwadronen der palästinensischen Terrorgruppe Hamas in Israel einfielen, ist für die Regierung Netanjahu, die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), den israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet oberste Priorität die Eliminierung des Hamas-Führungskaders, der den Terroranschlag vom 7. Oktober angeordnet hatte.
Die Vereinigten Staaten stehen weiter an der Seite Israels
Die unabsehbaren Auswirkungen dieser hochgesteckten und vor allem auch hochriskanten Zielsetzung sind in Israel seit dem Wochenende deutlicher denn je zu spüren: GPS-Navigationsgeräte sind gestört, die Bevölkerung wird zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen, wichtige ausländische Luftfahrtgesellschaften – darunter auch die Lufthansa Group – haben ihre Flüge nach Tel Aviv einstweilig eingestellt. Sie alle fürchten einen Angriff des Iran sowie der mit dem Iran verbündeten libanesischen Hisbollah-Milizen auf Israel, der nach Angaben von US-Außenminister Antony Blinken während einer Konferenzschalte mit den G7-Außenministern am vergangenen Sonntag schon „in 24 bis 48 Stunden“ erfolgen könnte.
Offensichtlich zeigt sich die iranische Staatsführung seit vergangener Woche bis aufs äußerste gereizt. „Das kriminelle und terroristische zionistische RotRegime hat den Boden für harte Strafen bereitet“, drohte Irans Oberster Führer, Ali Chamenei, in den Staatsmedien. „Wir betrachten es als unsere Pflicht, Rache zu üben.“ Wie hochrangige Mitglieder der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) des Iran der New York Times berichteten, habe Chamenei bereits vergangenen Mittwoch direkten Befehl an die IRGC sowie die iranische Armee (Artesch) gegeben, einen direkten Angriff auf Israel vorzubereiten. Die renommierte Analystengruppe OSINTdefender berichtete auf X ferner, der Iran habe seine Nachbarstaaten auf diplomatischem Weg bereits gewarnt, daß, „wenn sie versuchen, in ihre Reaktion gegen Israel einzugreifen, auch sie ins Visier genommen werden.“ Zu diesen Staaten zählten Jordanien, Saudi-Arabien, Kuwait, der Irak, Katar sowie die Vereinigten Arabischen Emirate.
Nachdem die IDF im Frühjahr mehrere IRGC-Kommandeure mit einem Luftangriff in Damaskus ausgeschaltet hatte, startete der Iran bereits am 13. April einen ersten Angriff auf israelischen Boden gestartet: Mehr als 300 iranische Drohnen und Raketen flogen damals in koordinierter Aktion auf Israel zu. Beinahe sämtliche Flugkörper konnten jedoch von britischer, US-amerikanischer und französischer Luftabwehr abgefangen werden – sowie von jenen Jordaniens und Saudi-Arabiens, die sich als arabische Staaten explizit auf die Seite Israels geschlagen hatten.
Auf dem internationalen diplomatischen Parkett wachsen allerdings Zweifel, daß die arabischen Staaten im Falle eines zweiten Angriffs erneut zu Israels Luftverteidigung beitragen werden. So war noch am Wochenende Jordaniens Außenminister Ayman Safadi auf Krisenmission nach Teheran aufgebrochen, nicht nur um einen letzten Versuch der Deeskalation zu wagen, sondern mutmaßlich auch um sein eigenes Land aus der Schußlinie zu ziehen. Von Guam aus ist derzeit der US-Flugzeugträger Abraham Lincoln unterwegs in das östliche Mittelmeer. Wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte, habe Verteidigungsminister Lloyd Austin „weitere zur Abwehr ballistischer Raketen fähige Kreuzer und Zerstörer in die Region bestellt“ sowie Schritte eingeleitet, „um unsere Bereitschaft zum Einsatz zusätzlicher landgestützter ballistischer Raketenabwehr zu erhöhen“. Die Times of Israel teilte überdies mit, daß der Schin Bet noch am Sonntag einen Luftschutzbunker für die israelische Regierung eingerichtet habe, der „den Treffern einer ganzen Reihe von Waffen widerstehen“ würde.
Dem Iran ist durchaus bewußt, daß er keinen konventionellen Krieg gegen Israel führen oder gar gewinnen kann. Allerdings sieht sich Teheran trotzdem verpflichtet, vor seinen eigenen Verbündeten Gesicht zu wahren. Immerhin fand nach der gezielten Tötung des Hisbollah-Militärkommandanten Fuad Schukr in den südlichen Vororten von Beirut und nur wenig später nach jener des Hamas-Führers Ismail Haniye direkt in der Hauptstadt und dazu noch in einem der am besten gesicherten Viertel Teherans statt – und offenbarte gewaltige Lücken in der iranischen Inlandssicherheit. Am Abend des 31. Juli wurde der Hamas-Führer, der als Drahtzieher hinter dem Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 gilt, zusammen mit seinem Leibwächter in seinem Teheraner Gästequartier von einem Sprengkörper getötet. Nur wenige Stunden zuvor hatte Haniyya der Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian beigewohnt.
„Achse des Widerstands“ will mit aller Härte zurückschlagen
Danach versprach die sogenannte Achse des Widerstands – ddr Iran, die Hamas, die Huthi im Jemen und die Hisbollah –, mit aller Härte zurückzuschlagen. In diesem Zusammenhang erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, daß Israel „einen hohen Tribut“ für jeden aggressiven Akt gegen Israel „fordern“ werde, wie Haaretz berichtete. „Israel befindet sich in einem Mehrfrontenkrieg gegen die iranische Achse des Bösen“, fügte er hinzu. „Wir sind auf jedes Szenario vorbereitet, sowohl defensiv als auch offensiv“, betonte der Premier und fuhr fort: „Wir sind entschlossen, dem Iran und seinen Helfern an allen Fronten und in allen Arenen, ob nah oder fern, entgegenzutreten.“
Zu dem erfolgreichen Anschlag auf Haniye bekannte sich bislang niemand. Berichten zufolge soll bereits vor zwei Monaten eine Bombe unter dem späteren Bett des Hamas-Führers angebracht worden sein, die anschließend per Fernzündung detoniert wurde. Israelische Zeitungen berichteten infolge von Dutzenden Verhaftungen sowohl des Personals des Gästequartiers als auch in den Reihen des IRGC, da Teheran den Verdacht hege, der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad habe unter ihnen Spione für den Anschlag angeworben.
Die Pläne des Iran für einen Vergeltungsschlag dürften demzufolge zwingend auch eine Beteiligung der Hisbollah an Israels Nordgrenze beinhalten. Und im Gegensatz zu anderen Verbündeten Teherans wie den Huthi-Milizen im Jemen oder auch dem Islamischen Widerstand im Irak (IRI) stellt die Hisbollah einen auch für Israel ernstzunehmenden Gegner dar. Schließlich verfügt die libanesische Terrorgruppe laut dem britischen Sender BBC über 45.000 Kämpfer sowie rund 150.000 Raketen – die im Kriegsfall Israels Raketenabwehrsystem, den Iron Dome, bis hin zu einem Totalausfall überlasten könnten.