Die seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 an den Universitäten zwischen Berkeley und Berlin inszenierten propalästinensischen Kundgebungen des „Alma-Mater-Pöbels“ (Frank A. Meyer) sind für den geschichts- und kulturpolitisch engagierten Hamburger Mäzen Jan Philipp Reemtsma ein Fall des „nachgeholten Ungehorsams“. Wie die 68er ihre Identität aus der Kritik der NS-Vergangenheit ihrer Väter gewannen, so beziehe die Generation, die heute den politisch-aktivistischen Postkolonialismus trägt, ihre Identität aus radikaler Verdammung der „Ururgroßvätergenerationen“. Was beide verbinde, sei der Antisemitismus. Marginalisierten die 68er den Holocaust mit Hilfe ihrer Faschismustheorie, versuchen postkoloniale Ideologen Kolonialverbrechen dem Völkermord an den Juden Europas mindestens gleichzustellen. Die damalige Solidarisierung mit der palästinensischen Fatah werde heute durch die mit der Hamas, „einer religiös fanatischen, antisemitischen, misogynen, homophoben Mörderbande“ ersetzt, die aus Spaß an der Sache töte und aus diesem Ungeist eine „religiöse Tyrannei“ errichten wolle. Daß ausgerechnet Studenten, die sich gewöhnlich als Vertreter kritisch-aufgeklärten Denkens und als Verfechter humaner Ideale verstehen, so stark mit islamistischen Mördern sympathisieren, ist für Reemtsma nicht mit gemeinsamem Haß auf die westliche Zivilisation zu erklären, sondern mit einer anthropologischen Konstante: dem von Sigmund Freud so genannten „Unbehagen in der Kultur“, die besser Unbehagen an der Kultur oder „lustvolle Selbstbarbarisierung“ hieße (Aus Politik und Zeitgeschichte, 25-26/2024). (dg) www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz