Die Zuschreibungen, die ihm Historiker und auch Zeitgenossen verpaßt haben, sind wenig schmeichelhaft. Da ist die Rede vom „schwulen Totengräber“ des Kaiserreichs; vom „Bademax“, der sich in die Fluten der Revolution stürzte und darin unterging; vom „Jammerlappen“, der sich, als Ende Oktober 1918 Tatkraft gefragt war, mit Opium für anderthalb Tage in einen komatösen Tiefschlaf versetzen ließ, obwohl manches darauf deutet, daß Max von Badens Handlungsunfähigkeit in dieser Zeit des Zusammenbruchs der alten kaiserlichen Ordnung der Spanischen Grippe geschuldet war; vom „Schlappschwanz“, wie ihn der Kaiser in amtlichen Dokumenten nannte, dem es nur mit Hilfe eines Fluffers gelang, einen Erben zu zeugen; und vom „Mann im Versteck“ mit päderastischen Neigungen, die in der Kartei des Berliner Polizeipräsidenten aktenkundig waren.
Tatsächlich war sein Leben überschattet von der Tragik einer zerrissenen Persönlichkeit, aufgespalten zwischen Standesbewußtsein und dynastischer Verpflichtung auf der einen und Sinnkrise und Minderwertigkeitsobsessionen auf der anderen Seite: „halb Prinz, halb Mensch“, wie einer seiner Biographen formulierte. Geboren am 10. Juli 1867 als Sproß eines der vornehmsten regierenden deutschen Fürstenhäuser, war er der Neffe des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und der Vetter Wilhelms II., dazu noch versippt mit dem russischen Zarenhaus, da seine Mutter, Maria Maximilianowna von Leuchtenberg, eine Nichte von Zar Alexander II. war. Dieses Korsett hochadeligen Daseins füllte er als Ästhet mit einer profunden Bildungsattitüde: mit dem Besuch des humanistischen Gymnasiums, dem Jurastudium in Leipzig, mit Klavierspiel, Literatur, Musik und Kunst, deren Bogen von Wagner bis Nietzsche reichte. Im Pendelschlag zwischen Hofgesellschaft, adeliger Salonwelt und Offizierskasino formten sich auch die typischen Versatzstücke seines hochkonservativen Weltbildes: dem „allergrößten Widerwillen“ gegen Parlamentarismus und Parteienherrschaft, der Ablehnung der Pressefreiheit, „dieses Freibriefs der Dummheit und Gemeinheit“, wie er wetterte, und einem „ethischen Imperialismus“, der die Deutschen einen gerechten Krieg führen ließ – einen Krieg, der die Kultur gegen den Materialismus verteidigte, die Wahrheit gegen die Lüge und die Moderne gegen das Alte.
Freilich: unter der Außenhaut der hocharistokratischen Attitüde verbarg sich ein Doppelleben, eine zum Zerreißen gespannte Ambivalenz im Dasein. Ihr Motor war der Umstand, daß er sich zu jungen Männern hingezogen fühlte und sich den Erwartungen seines Standes nicht gewachsen zeigte. Das galt zum einen für den Kriegsdienst. Schon nach wenigen Wochen kehrte er im Oktober 1914, zermürbt von der Hölle der Front, zurück und widmete sich als Ehrenpräsident des Roten Kreuzes und des Weltbundes der Christlichen Vereine Junger Männer der Fürsorge der Kriegsgefangenen. Das trug ihm den abfälligen Spottnamen eines „Sanitätsgenerals“ ein.
Ungeeignet war er aber auch dafür, seine dynastischen Pflichten von Eheschließung und Nachwuchszeugung zu erfüllen. Denn anders als seine Generationsgenossen Harry Graf Kessler oder Thomas Mann agierte er sein homosexuelles Begehren in vollen Zügen aus: mit adeligen Vettern und mit bürgerlichen Gleich-gesinnten. In einer Zeit, die diese Neigung unter schwere Strafe stellte und mit dem Fluch gesellschaftlicher Ächtung belegte, wie die Prozesse gegen Oscar Wilde 1895 und Philipp Eulenburg 1907/08 vorgeführt hatten, stürzte ihn dies in heftige Gewissensqualen und Seelennöte. Im Alter von 33 ließ er sich dann, widerwillig und gedrängt von dem Zwang, für den dynastischen Fortbestand seines Hauses sorgen zu müssen, in den Ehebund mit Maria Luise von Hannover-Cumberland zwängen, einer Prinzessin von Großbritannien und Irland.
Ständige Furcht vor Aufdeckung seiner Homosexualität
Aber jetzt kam die Nachwuchsfrage auf die Tagesordnung. Die therapeutischen Manipulationen, die hierfür aufgeboten werden mußten, zeugen von einer beispiellosen Selbstkasteiung und der Bereitschaft, alles auszuprobieren, was zum Ziel führte. Mit seiner Frau verbrachte er Monate in der Villa des schwedischen Arztes und Psychiaters Axel Munthe in San Michele auf der Insel Capri. Dort, inmitten des azurblauen Golfs von Sorrent, entstand endlich der ersehnte Nachwuchs. Und Marie Luise brachte es fertig, die sexuelle Neigung ihres Gatten zu tolerieren. Sie duldete seine Fluchten in Gegenwelten zur höfischen Etikette, wo die Homosexualität kein untilgbarer Makel war, wo er die beständige Furcht vor Aufdeckung und Skandal hinter sich lassen konnte: nach Schloß Elmau am Fuße des Wettersteingebirges, wo der evangelische Theologe Johannes Müller einen Kreis von Intellektuellen versammelt hatte, und nach Bayreuth ins Haus Wahnfried zu Cosima Wagner, die zur Ersatzmutter und Seelentrösterin avancierte.
Das neu gefundene Gleichgewicht war auch der Grund, weshalb er am Ende des Krieges wie aus dem Nichts auf der Bühne der großen Politik erschien. Sein Spindoktor Kurt Hahn, ein hochbegabter, anglophiler junger Mitarbeiter der deutschen Auslandspropaganda, hatte ihm die Rolle eingeblasen, in die er sich hineinphantasierte: die des sich aufopfernden Retters des Vaterlandes. Gemeinsam hatten sie eine Regierungsliste erstellt, die voller Alias- und Decknamen war: der „Verwandte“ stand für den Kaiser, der „Onkel“ für Ludendorff und der „Wunschlose“ für ihn selbst.
Aber auch auf der Kommandobrücke des Reiches, die er als Reichskanzler am 3. Oktober 1918 betrat und am 9. November nach einem totalen Nervenzusammenbruch überstürzt wieder verließ, holte ihn seine doppelbödige Existenz ein. Die Kaiserin drohte in einem Telefongespräch damit, die Öffentlichkeit über sein Intimleben zu informieren, wenn er ihren Gatten zur Abdankung zwinge. Der Rest, bis zum 6. November 1929, war ein Schwanengesang: ein zerschmetterter Lebensentwurf fernab der Politik auf Schloß Salem am Bodensee, wo er mit Kurt Hahn, als Leiter des neu gegründeten Internats, eine geistige Elite junger Männer hervorbringen wollte, die gestählter und lebenstauglicher sein sollte als er es jemals gewesen war.
Prof. Dr. Rainer F. Schmidt lehrte Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Würzburg.