© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/24 / 09. August 2024

Teure bürokratische Vorgaben
Der Green Deal, die EU-Klima- und -Agrarpolitik und ihre Entwicklungen auf dem Milchmarkt
Manfred Harms

Aktuell sieht sich die Milchwirtschaft mit immer strengeren Vorgaben konfrontiert. Zudem beinhaltet der Green Deal, mit dem die EU bis 2050 „klimaneutral“ werden soll, einen fundamentalen Umbau der Landwirtschaft. Befürchtet wird ein massiver Importanstieg von Agrarprodukten mit deutlich schlechteren Standards. Die EU würde damit laut Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) vor allem Umweltprobleme in andere Länder und Regionen auslagern.

Ein Hauptpunkt des Green Deals ist die Farm-­to-­Fork Strategie für eine „nachhaltigere“ Nahrungsmittelproduktion in der EU. Unter diesem Schlagwort soll künftig ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, daß es bei der Herstellung von Nahrungsmitteln in der EU „gerechter, gesünder und umweltfreundlicher“ zugeht. Insbesondere Milchwirtschaft und ‑erzeuger sehen bei diesen ambitionierten EU-Plänen mit Sorge große Belastungen und Beschränkungen auf sich zukommen.

Ruinöse Abgabenbelastung und Quoten für die Milchbauern

Der im Juni vom Umweltbundesamt (UBA) und dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) veröffentlichte Report „For a green and just transition in Eu­rope“ verlangt, den Green Deal in der Wirtschaft und auf dem Agrarsektor zu verschärfen. Dem Environment Action Pro­gramme (EAP) in der bereits 8. Auflage wird eine Schlüsselrolle zugewiesen. Das Programm steht in engem Bezug zu den Green-Deal-Plänen, es listet radikale Maßnahmen bis 2030 auf. Sie bilden aber nur das vorläufige Fundament und den Ausgangspunkt der EU zum Erreichen der UN-Agenda bis zum Jahr 2030 und der damit verbundenen 17 Nachhaltigkeitsziele.

Allerdings hat die EU-Kommission als Reaktion auf die Bauernproteste im April eine Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) angekündigt. So ist vorgesehen, die seit 2023 geltende Verpflichtung, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen, aufzuheben und Kleinstbetriebe mit einer Fläche von unter zehn Hektar von den Verpflichtungen künftig auszunehmen. Die Anpassungspläne der Kommission stoßen auf scharfe Kritik. Umweltverbände sehen darin eine „gänzliche“ Abkehr von den Biodiversitätszielen des Green Deals.

Bereits die seit 2004 rechtswidrig erhobene Milchabgabe ohne Einbeziehung des EU-Parlaments in den Gesetzgebungsprozeß stellte eine ruinöse Abgabenbelastung für die Milchbauern dar, dies in einer Größenordnung von insgesamt rund 300 Millionen Euro. Mit dem Erlaß der VO 1788/2003 für die Erhebung einer Milchabgabe war das Anhörungsrecht des EU-Parlaments mißachtet worden, das aber einen festen Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens bildet. Dies hatte zur Folge, daß es keine wirksame Rechtsgrundlage bei der Abgabenfestsetzung für die betreffenden Milchwirtschaftsjahre im Zeitraum 2004 bis 2008 gab.

Zugleich spülte diese EU-weit erhobene Abgabe Hunderte Millionen in die Brüsseler Kassen, obwohl erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestanden. Seit 2004 standen die Milcherzeuger vor der zweifelhaften Wahl, entweder eine rechtswidrige Abgabe zu zahlen oder sich durch die Finanzierung von Milchquoten von diesem Risiko freizukaufen. Die EU-Kommission hatte eine sofortige Aufhebung der Abgabenzahlung mit der Begründung abgelehnt, daß dies eine Benachteiligung für diejenigen bedeuten würde, die sich freigekauft hatten.

Zudem wurden in der EU weiterhin Quotenbörsen abgehalten, obwohl diese einem Lotteriespiel gleichkamen. Sie boten keine tatsächliche Garantie für einen Freikauf. Die EU verweigerte sich aber einem ausdrücklichen Vorbehalt mit der Option einer Rückabwicklung. Mit der formalen Aufhebung der Milchabgabenfestsetzung 2015 war zugleich einer erst nach diesem Zeitpunkt möglichen Abgabenfestsetzung für das letzte Quotenjahr praktisch die gesetzliche Grundlage entzogen worden. In diesem Zusammenhang machte aber auch der tatsächlich als Liquiditätsspritze für die deutschen Molkereien gedachte 30‑Prozent-Abzug als Vorauszahlung unter dem Vorbehalt einer noch ausstehenden Abgabenfestsetzung keinen Sinn mehr.

Die immer wieder erfolgte Verlängerung der Bestandschutzregelung in einem Zeitraum von 30 Jahren wurde mit der „Einführung einer Quote als haushaltsbedingte Notmaßnahme“ gerechtfertigt. Mit dem Wegfall des Garantiepreises gab es dann keinen Grund mehr, den Milch­erzeugern noch den Erwerb von Quotenrechten abzuverlangen. Die Kanzlei Brüggemann Trimpop, die die Rechte von Milcherzeugern vertritt, versuchte in einem weiteren von ihr geführten Verfahren den Bundesfinanzhof gemäß seiner Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung der Nichtigkeitsfrage bezüglich VO 1788/2003 zu veranlassen.

Vor dem Hintergrund vergangener und aktueller Belastungen von Milcherzeugern und der Milchwirtschaft in der EU ist es gegenwärtig in einigen Bereichen zu erheblichen Marktverwerfungen gekommen. So war 2023 für Deutschlands größte Genossenschaftsmolkerei DMK ein Jahr der Extreme, wie das Unternehmen in einer Pressemitteilung verlautbaren ließ. Ihr Geschäftsführer, Ingo Müller, betonte zwar, daß die DMK Group mit Blick auf die Gesamtbilanz grundsolide aufgestellt sei, ­räumte aber ein nicht zufriedenstellendes Jahresergebnis infolge von Marktverwerfungen ein. Dies hatte zu massiven Abwertungen der Lagerbestände, insbesondere bei Käse, geführt. Als weitere Belastung erwies sich die Bindung an langfristige Verträge mit der Folge deutlich höherer Energiekosten.

Höhere Anforderungen durch die neue Futtermittelvereinbarung

Auf die negativen Marktentwicklungen hat die DMK Group bereits mit einer Strategie reagiert, die Produkte mit höherer Wertschöpfung stärkt und ausbaut, diejenigen mit einer geringeren Verwertung dagegen reduziert. Zu den auf den ersten Blick unpopulären Maßnahmen gehören auch der beschlossene Abbau von Kapazitäten an vier DMK-Standorten bis Anfang 2025, die für Geschäftsführer Ingo Müller wichtig sind, um die Molkerei-Gruppe zukunftsfähig aufzustellen. Denn diese zum einen schmerzhafte Entscheidung diene zugleich der Stärkung aller anderen Standorte, so Müller.

Bereits anderthalb Wochen zuvor gab der DMK-Geschäftsführer die geplante Schließung des Standortes Dargun in Mecklenburg bekannt. Zugleich kommt es an drei weiteren Standorten zu Reduzierungen von Kapazitäten. Grund für die Anpassungspläne in Edewecht, Hohen­we­stedt und Everswinkel sind geringere Milchmengen und die Tatsache, daß an den betroffenen Standorten von der DMK vor allem Standardware produziert wird.

Auch die Genossenschaft Schwarzwaldmilch rechnet für 2025 mit einem deutlichen Milchverlust, da 14 Mitgliedsbetriebe wechseln werden. Eine Menge von 20 Millionen Kilogramm Milch fällt dann weg. Außerdem wird die Genossenschaft nach dem Jahr 2030 zwischen 70 und 80 Lieferbetriebe verlieren, die ihre Kühe in Anbindung halten und deren Milch dann gemäß neuer Verordnung nicht mehr angenommen und verarbeitet wird.

Von neuen bürokratischen Vorgaben sind Milch­erzeu­ger ab dem 1. Oktober 2024 zudem mit dem Inkrafttreten des überarbeiteten QM-Standards in der neuen Version (2020.3) für die Kategorie Futtermittel betroffen. Die höheren Anforderungen ergeben sich aus der neuen QM-Futtermittelvereinbarung, die im Januar 2024 mit einer Übergangsfrist in Kraft trat. Eine weitere wichtige Änderung aufgrund des 2023 in Kraft getretenen geänderten Arzneimittelgesetzes verlangt von den Milchbauern dann auch noch die Meldung der Antibiotika­anwendungen für ihre Kühe im Rahmen der Verbrauchs­mengen­erfassung.

UBA-Studie „For a green and just transition in Europe“ (Scientific Opinion Paper 6/24): www.umweltbundesamt.de