© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/24 / 09. August 2024

Umwelt
Falsche fliegende Zecke
Paul Leonhard

Zecken lauern nicht nur im hohen Gras oder eilen ihren Opfern wie die Hyalomma hundert Meter hinterher, sondern sie kommen auch angeflogen: Braun, sechs Millimeter lang, kräftige Beine. Kaum auf dem potentiellen Wirt gelandet, werfen die Weibchen die Flügel ab, suchen sich eine geeignete Stelle, haken sich mit den Krallen fest und saugen 20 Milligramm Blut pro Stich. Wer eines der Tierchen erwischt und nicht gleich zerquetscht, dürfte sich allerdings beim Zählen der Beine wundern: sechs statt acht. Also doch keine Zecke oder eine mutierte? Nein, die Plagegeister gehören zu den blutsaugenden Fliegen. Sie quälen die Menschen seit der Steinzeit – auch an der Gletschermumie Ötzi wurde ein Überrest entdeckt. Eigentlich in Wäldern zu Hause, ist die Hirschlaus auf Rehe, Hirsche, Elche, Dachse und Wildschweine aus. Pferd, Hund, Rind oder Mensch gelten Wissenschaftlern eher als Fehlwirte. Aber in der Not saugt die Hirschlausfliege (Lipoptena cervi), die in lauen Nächten oft in kleinen Schwärmen unterwegs ist, eben menschliches Blut.

Das einzige, was gegen die blutsaugende Hirschlausfliege helfen würde, ist ein harter Winter.

Und wer besonderes Pech hat, wird mit dem Bakterium Bartonella schoen­bu­chen­sis infiziert. Erst 2001 in Schönbruch bei Stuttgart entdeckt, wird es durch Tiere auf Menschen, aber auch von Menschen auf Tiere übertragen. An der Stichstelle rötet sich die Haut und innerhalb von drei Tagen kann sich ein stark juckendes Knötchen bilden. Zwar verschwindet der Juckreiz nach drei Wochen, die Rückbildung der Papel kann aber bis zu einem Jahr dauern. Auch kann von der Stichstelle eine starke Entzündung ausgehen. Die Schwärmzeit liegt im Spätsommer und Herbst, aber wegen des milden Winters sind sie schon jetzt unterwegs. Und überdies in größerer Anzahl: „Blutsaugende Fliege breitet sich in Deutschland aus“, warnt die Bild-Zeitung. Überdies kann es zu Kollateralschäden kommen. Denn während der Mensch den Stich kaum spürt, reagieren Hunde und Pferde häufig panisch. Prophylaxen gibt es keine. Das einzige, was gegen die Plagegeister helfen würde, ist ein harter Winter. Denn die Larven sind frostempfindlich und eine weibliche Hirschlausfliege bringt pro Saison nur eine einzige Larve zur Welt. Diese fällt vom Wirt zu Boden, verpuppt sich und schlüpft dann als erwachsene Hirschlausfliege.