Die Debatte gab es seit der Grenzöffnung 2015 immer wieder, nun ist sie erneut in Gang geraten: Wenn die Polizei über Straftaten berichtet, soll sie dann Angaben zur Nationalität der Tatverdächtigen machen oder nicht? Eine klare Antwort darauf gab jüngst Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU). Ab Herbst wird die Polizei in seinem Bundesland die Nationalität von Verdächtigen immer öffentlich benennen. Bislang hatten die nordrhein-westfälischen Behörden darüber im Einzelfall entschieden.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nahm den Ball auf und forderte, die Neuregelung seines CDU-Kollegen bundesweit zu übernehmen. „Das ehrliche Benennen von Ausländerkriminalität ist wichtig, um die bestehenden Herausforderungen entschlossen anzugehen und das Thema nicht den Populisten zu überlassen“, sagte Djir-Sarai der Bild. Ähnlich begründet Reul den bevorstehenden Kurswechsel in Nordrhein-Westfalen. Die Polizei wolle künftig „Spekulationen vorgreifen sowie dem Vorwurf, etwas verschweigen zu wollen, entgegentreten“, erläuterte ein Sprecher seines Ministeriums.
Größere Transparenz? Mehrere Bundesländer planen Änderungen
Tatsächlich denken mehrere Bundesländer darüber nach, dem nordrhein-westfälischen Vorbild zu folgen, wie eine Recherche der JUNGEN FREIHEIT zeigt. So werden aktuell in Baden-Württemberg die bestehenden Richtlinien zur Nennung der Staatsangehörigkeit explizit mit dem Ziel überarbeitet, „zukünftig die Staatsangehörigkeit öfter zu nennen“, teilte das dortige Innenministerium auf JF-Nachfrage mit. Ebenfalls überarbeitet wird die bestehende Informationspraxis in Hessen, während das Innenministerium in Schleswig-Holstein eine Debatte über mögliche Änderungen „anregen“ will.
Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern wiederum ist der derzeitigen Diskussion weit voraus und nennt in ihren Pressemitteilungen bereits seit 2020 immer die Nationalität der Tatverdächtigen. Die gleiche Regelung gilt einer Sprecherin zufolge bei der Bundespolizei. „Aufgrund der Internationalität der Personen, die durch den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei (Grenzen, Bahnhöfe und Flughäfen) reisen oder sich dort aufhalten“, stehe dort die Veröffentlichung der Staatsangehörigkeit von Beschuldigten generell im Interesse der Öffentlichkeit. Auch in Sachsen wird die Nationalität laut Innenministerium schon jetzt „grundsätzlich angegeben“, es sei denn, der Betroffene könnte durch die Angabe identifiziert werden. Ähnlich verfährt die Polizei im Saarland und nennt die Staatsangehörigkeit der Verdächtigen „in der Regel“. Ausnahmen gebe es etwa aus ermittlungstaktischen oder datenschutzrechtlichen Gründen.
Nicht ganz eindeutig ist die Lage in Brandenburg, Bayern und Bremen. Das brandenburgische Innenministerium gab als Voraussetzung für die Benennung der Nationalität unter anderem an, daß diese „von Relevanz für die Bedeutung der Straftat“ sein muß. In Bayern spielt es eine wichtige Rolle, „ob für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug“ zur Staatsangehörigkeit besteht. Wie diese Kriterien in der Praxis ausgelegt werden, ist in beiden Fällen unklar. Ebenso vage äußerte sich die Sprecherin des Bremer Innensenators, Ulrich Mäurer (SPD). Ihre Behörde habe sich der „aktuellen bundesweiten Debatte natürlich auch gestellt“ und sei zum Ergebnis gelangt, der bisherigen Linie treu zu bleiben. Demnach würden in Bremen Angaben zur Staatsangehörigkeit von Verdächtigen da gemacht, „wo es inhaltlich notwendig“ sei.
Die übrigen sechs Bundesländer – Hamburg, Berlin, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz – orientieren sich am Pressekodex des Deutschen Presserats. Danach soll die Nationalität von Tatverdächtigen „in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse“. Besonders ist zu beachten, „daß die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“. Gründe, die für die Veröffentlichung der Staatsangehörigkeit sprechen, sind laut Presserat etwa das Vorliegen einer besonders schweren oder einer solchen Straftat, die aus einer ethnisch oder national homogenen Gruppe heraus begangen wurde, wie zum Beispiel während der Kölner Silvesternacht 2015.
Medien schweigen oftmals über die Nationalität von Straftätern
Diese Vorgehensweise habe sich bewährt, betonten sowohl die Berliner Senatsverwaltung für Inneres als auch das niedersächsische Innenministerium. Thüringens Innenminister Georg Maier machte ebenfalls deutlich, daß in seinem Bundesland keine Änderung geplant sei. „Wir sind bereits sehr transparent und nennen die Nationalität auch in den allermeisten Fällen“, führte er in der Welt aus.
Unterstützung erhielt er von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Manuela Rottmann, die eine bundesweite grundsätzliche Verpflichtung, die Nationalität von Verdächtigen in jedem Fall zu nennen, für falsch hält. „Denn das würde den Ermittlungsbehörden den Ermessensspielraum nehmen, den sie für eine erfolgreiche Arbeit brauchen“, argumentierte sie im Tagesspiegel.
Dagegen will die AfD, daß nicht nur die Staatsangehörigkeit immer öffentlich kommuniziert wird, sondern auch der Migrationshintergrund. „Die Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Folgen die Massenmigration für unser Land und welche Auswirkungen sie auf unsere Sicherheit hat“, sagte der stellvertretende innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Martin Hess, der jungen freiheit. Die Forderung hängt auch mit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht zusammen, das es Ausländern bereits nach wenigen Jahren ermöglicht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben (JF 28/24). Indes bedeutet mehr Transparenz durch die Polizeibehörden nicht automatisch mehr Transparenz in der Berichterstattung der Medien, wie etwa das Beispiel der „Tagesschau“ zeigt. Für die meistgesehene deutsche Nachrichtensendung ist nicht maßgeblich, ob die Nationalität der Tatverdächtigen von der Polizei veröffentlicht wurde, sondern ob sie „eine Bedeutung für die Tat hat“. Ist dies für sie nicht der Fall, berichtet sie auch nicht darüber.