Öffentliche Verkehrsmittel in Bern funktionieren. Sie sind sauber, pünktlich und sicher. Mein Wohnort hat eine hervorragende Anbindung, die mich in wenigen Minuten überallhin befördert. Die Fahrt zum Arbeitsplatz, in die Fußgängerzone oder zur örtlichen Gastronomie dauert nur einige Augenblicke und ist schneller und bequemer, als wenn ich selbst fahren würde. Daher habe ich oft mehrmals am Tag das Vergnügen, den Bahnhof in der Stadtmitte zu passieren.
Dieser ist ein Sammelplatz für vielerlei lustige Gesellen. Während am frühen Morgen die typische städtische Geschäftigkeit herrscht und zahlreiche Pendler zu ihren Arbeitsplätzen eilen, ändert sich die Klientel gegen Abend markant. Dann erscheinen Menschen, die das Tageslicht scheuen. Deren primäres Ziel ist meist der Konsum von alkoholischen Getränken, bei manchen auch von harten Drogen.
Zwischen 8 und 22 Uhr ertönen seit ein paar Wochen Bach, Chopin und andere in den Eingängen.
Etliche krakeelen durch die Gegend, bodygebuildete Jungmänner zeigen pubertäres Balzgehabe, oft unter massivem körperlichen Einsatz gegenüber den anwesenden Mädchen. Diese reagieren kichernd, ermunternd und oft nicht weniger laut auf das nervige Benehmen. Gleichzeitig erbetteln Junkies und Obdachlose sich die nächste Dosis. Wildpinkeln, leere Getränkedosen, gebrauchte Spritzen und wummernde Musikboxen runden die Szenerie ab.
Dem will die Bahn jetzt entgegenwirken, die Störer sollen verschwinden. Zwar ist man weit von Frankfurter oder Berlinern Zuständen entfernt, aber es gilt den Anfängen zu wehren. Wissenschaftler haben festgestellt, daß Musik das Verhalten von Menschen beeinflußt. Klassik wirkt sich demnach beruhigend auf die Gemüter aus.
Diesen Effekt möchten die Bahnhofsbetreiber nutzen. Zwischen 8 und 22 Uhr ertönen seit ein paar Wochen Bach, Chopin und andere in den Eingängen. Tagsüber soll dies die Pendler zu einem zügigen Durchqueren der Engpaßstellen motivieren, zumal Wissenschaftler gemessen haben, daß die Berner die langsamsten Hauptstädter der Welt sind.
Die andere gewünschte Wirkung besteht darin, die unerwünschte Klientel in den späten Stunden zu vertreiben. In Wien konnte auf diese Weise ein Drogen-Hotspot beseitigt werden. Angeblich wirken hohe Frequenzen, wie dies beispielsweise bei Geigenklängen der Fall ist, auf Dauer nervig für die Zuhörer. Der Bund stellte entsetzt fest: „Eine ziemliche Watsche für die Klassik, die von vielen als Gipfel der Hochkultur verstanden wird.“
Falls die Vertreibung mit Klassik nicht funktionieren sollte, hätte ich einen besseren Vorschlag zur Lösung des Problems. „White Christmas“, „Cheri, Cheri Lady“ oder „Ein bißchen Frieden“ in Dauerschleife sollte doch noch viel besser wirken.