Die Absage von drei Taylor-Swift-Konzerten in Wien aufgrund eines geplanten Terroranschlags hat eine Debatte über die islamische Radikalisierung von Jugendlichen angefacht. Im vorliegenden Fall war ein 19jähriger Verdächtiger laut Behördenangaben zunächst umfassend geständig, hat dieses Geständnis aber inzwischen wieder zurückgezogen. Als mutmaßliche Komplizen sitzen derzeit ein 17jähriger und ein 18jähriger in Untersuchungshaft.
Experten zufolge haben sich in den vergangenen Jahren sowohl die Wege der religiösen Radikalisierung als auch das Einstiegsalter in den Extremismus zum Teil stark verändert. Fielen vor einigen Jahren noch hauptsächlich junge Erwachsene als Gefährder auf, so setze die Radikalisierung jetzt zum Teil schon bei nicht strafmündigen 13jährigen ein, erläuterte der Islamforscher Moussa Al-Hassan Diaw gegenüber dem Sender ORF.
Zwar finde die Radikalisierung in Ballungsgebieten immer noch zu einem großen Teil durch den persönlichen Austausch offline statt, jedoch erfahren vor allem in ländlichen Gegenden die sozialen Medien eine steigende Bedeutung bei der religiösen Indoktrination junger Menschen. Von der neuen Generation islamisch radikalisierter Kinder und Jugendlicher gehe dabei ein Gefahrenpotential aus, das tendenziell sogar noch größer sei als bei Erwachsenen: „Die lassen sich auch von Strafen und Androhung von erneuter Haft nicht mehr abschrecken“, so Diaw, der auch Gründer der Deradikalisierungsstelle Derad ist.
Mehr Überwachung von Messenger-Diensten im Gespräch
Der Experte weiß: „Jeder, der von dieser Ideologie überzeugt ist, ist eigentlich potentiell in der Lage, gemäß dieser Ideologie zu handeln, das heißt, Gewalthandlungen zu setzen, um das ideologische Ziel zu erreichen. Die Grundbotschaft ist immer die gleiche: Jedes politische System, jeder Staat, der mit menschengemachten Gesetzen regiert, ist abzulehnen, zu hassen und zu bekämpfen.“
Als Reaktion auf die anwachsende Bedeutung von sozialen Medien für die Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen erneuerte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) die Forderung seiner Partei nach einem „Bundestrojaner“ zur Überwachung von Messenger-Diensten wie WhatsApp. Dies ist in Österreich aufgrund der bestehenden Gesetzeslage aktuell nicht möglich. Wenig überraschend tritt auch der Chef der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, für eine Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten ein: „Es wäre gut, wenn wir im Vorfeld bei möglichen Gefährderinnen und Gefährdern im Einzelfall auch die Kommunikation besser überwachen könnten. Was wir gerne haben würden, wäre eine konkrete Überwachung von Kommunikation unter strengstem Rechtsschutz und unter strengster Kontrolle.“
FPÖ fordert gezielte Beobachtung von Moschee-Schulen
Beim Koalitionspartner der ÖVP, den Grünen, stieß die Forderung nach mehr Überwachung bisher auf wenig Gegenliebe, mittlerweile zeigt man sich aber vorsichtig offen für eine Kompetenzausweitung: „Es ist Aufgabe des Innenministeriums, eine Lösung zur Überwachung von verschlüsselter Messenger-Kommunikation zu finden, die rechtlich und technisch umsetzbar ist und effektiv Kriminalität bekämpft“, so die Partei in einer Stellungnahme.
Die potentielle Massenüberwachung von verschlüsselter Kommunikation sieht man auch bei den anderen Parteien kritisch. Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT plädiert Michael Raml (FPÖ) statt dessen für eine gezieltere Beobachtung von Moschee-Schulen. Raml ist Sicherheits-Stadtrat der drittgrößten österreichischen Stadt, Linz, in deren Pflichtschulen die Schülerinnen und Schüler mit muslimischem Religionsbekenntnis mittlerweile die größte Glaubensgruppe stellen. „Wenn sich unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit eine Ideologie verbreitet, die mit unserer österreichischen Gesellschaftsordnung nichts mehr zu tun hat, dann muß der Staat entsprechende Gegenmaßnahmen setzen. Der außerschulische Islamunterricht in den Moschee-Schulen der Moschee-Gemeinden findet häufig nicht auf deutsch statt und entzieht sich völlig der staatlichen Kontrolle. Die Wahrheit ist: Wir haben überhaupt keine Ahnung, welche Botschaften dort in die Köpfe von Kindern und Jugendlichen hineingepflanzt werden, und uns fehlt auch die Rechtsgrundlage, um es herauszufinden. Hier muß die Bundesregierung ansetzen und tragfähige Lösungen finden“, so Raml.
„IS-Anhänger setzen alles daran, um junge Menschen auf TikTok, Instagram und anderen Social-Media-Plattform für ihr abscheuliches Weltbild zu gewinnen. Und obwohl Aufrufe zum Terrorismus und das Verwenden von IS-Symbolen verboten sind, kann die Ideologie dahinter legal beworben werden“, kritisierte der SPÖ-Landesparteivorsitzende Niederösterreichs, Sven Hergovich, und ergänzte: „Mein Vorschlag ist es, daß auch bereits die Bewerbung dieser Ideologie verboten wird und daß dies massive strafrechtliche Folgen nach sich zieht! Es kann nicht sein, daß radikale Islamisten das Kalifat bewerben oder gegen ‘Ungläubige’ und Frauenrechte hetzen, ohne daß sie mit Konsequenzen rechnen müssen.“
Nach derzeitigem Strafrecht machten selbst IS-Anhänger oft nichts Verbotenes und verbreiten so ungehindert die Ideologie, die den Terrorismus hervorbringe, so Hergovich. „Es müssen also bereits dort Schritte gesetzt werden, wo junge Menschen das erste Mal mit diesen Haßpredigern in Verbindung kommen können. Ein Verbotsgesetz würde die Rekrutierung neuer Anhänger auf Social Media massiv erschweren und damit dem Terrorismus den Nährboden entziehen!“
Die ÖVP konterte. „SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS bilden in Österreich eine Allianz der Gefährder. Es ist längst Realität, daß der größte Teil der Kommunikation über Messenger-Dienste stattfindet – auch bei Terroristen. Unsere internationalen Partner haben auf diese Entwicklung reagiert und der Polizei entsprechende Befugnisse zur Überwachung von Messenger-Diensten im Verdachtsfall eingeräumt“, so ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Als Volkspartei poche die ÖVP schon lange darauf, den österreichischen ermittelnden Behörden dieses wichtige Werkzeug mitzugeben, um in einzelnen Verdachtsfällen wirksam gegen Terroristen vorzugehen, die über Messenger-Dienste kommunizieren. Die Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes habe in ihrem „ZiB 2“-Interview daher vor einer „Dauerabhängigkeit zu fremdstaatlichen Geheimdiensten“ gewarnt, sollte die Messenger-Überwachung in Österreich nicht umgesetzt werden.