Es sieht nach einer Potemkinschen Zeitenwende aus. Das 2023 in Vilnius als Mindestforderung beschlossene Zwei-Prozent-Ziel vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) für Verteidigung, davon 20 Prozent für Großgeräte-Beschaffung, steht in Deutschland auf unsicherem Fundament. Angesichts der Ausrüstungsmängel und der Personalprobleme der Bundeswehr sowie der von Generalinspekteur Carsten Breuer geäußerten Gefahr, Rußland habe ab 2029 Fähigkeiten zu einem Angriff auf Nato-Gebiet, ist die Höhe des Wehrbudgets als hochgradig fahrlässig zu werten. Rentenzuschüsse (116,3 Milliarden Euro) oder Bürgergeld (26,5 Milliarden Euro) mit Mehrausgaben im Zeitraum 2019 bis 2024 von 35 Prozent scheinen dem Wohl des Volkes näher zu liegen als dessen militärische Sicherheit mit nur plus sechs Prozent (JF 29/24).
Formal wurde das Nato-Ziel nach 1,5 Prozent (2020–22) und 1,6 Prozent (2023) dieses Jahr mit 2,15 Prozent des BIP bei Verteidigungsausgaben von 90,6 Milliarden Euro erstmalig erfüllt. Zumindest auf dem Papier: Verteidigung (Einzelplan 14) 52 Milliarden Euro, Sondervermögen (besser: Sonderschulden) Bundeswehr 19,8 Milliarden Euro, Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich der Verteidigung (insbesondere Ukrainehilfe) 7,5 Milliarden sowie eine nicht erklärte Differenz von 11,4 Milliarden Euro. Letztere setzt sich aus Verwendungen anderer Teile des Bundeshaushaltes zusammen, die zur Verteidigungsfähigkeit beitragen sollen – wie, das bleibt intransparent. Damit entsteht der Verdacht, daß mit nicht nachvollziehbaren Ausgaben (13 Prozent des Wehretats) der Verteidigungsbegriff immer weiter gefaßt wird, um ein Sicherheitsgefühl vorzuspiegeln. Sodann finanziert das „Sondervermögen“ Ausgaben, die nur schwer die deutsche Wehrhaftigkeit steigern, so Zinszahlungen in Höhe von 775 Millionen Euro für die dafür aufgenommenen Kredite. Auch wurden hieraus Ersatzbeschaffungen in Höhe von 520 Millionen Euro für im Vorjahr an die Ukraine gelieferte Ausrüstung gebucht, obwohl „die Mittel des Sondervermögens der Finanzierung von Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr dienen“ sollen. Zudem erfolgt eine Doppelzählung, wenn sowohl die Lieferungen aus den Bundeswehrbeständen an die Ukraine wie auch die Ersatzbeschaffungen auf das Zwei-Prozent-Ziel angerechnet werden. Gleiches gilt für den „Ringtausch“, durch den Panzer an Griechenland und die Slowakei geliefert werden, die diese Länder zuvor an die Ukraine abgegeben haben. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW-Kurzbericht 52/24) erreicht der Wehretat 2024 ohne diese „Sonderbuchungen“ nur 1,83 Prozent des BIP.
Der Einzelplan 14 Verteidigung enthält auch Versorgungslasten für ehemalige Soldaten in Höhe von 5,8 Milliarden Euro, Pensionszahlungen und Beihilfen für Ex-Mitglieder des Verteidigungsministeriums in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, Personal- und Sachkosten des Ministeriums in Höhe von 303 Millionen Euro sowie die Ausgaben für die Bundeswehr-Unis in Höhe von geschätzten 250 Millionen Euro. Damit schrumpft der Etat auf 1,74 Prozent des BIP. Zieht man außerdem die nicht erklärte Differenz von 11,4 Milliarden Euro sowie die Ukrainehilfe von 7,5 Milliarden ab, so verbleiben nur noch 1,53 Prozent des BIP für die deutsche Verteidigung im eigentlichen Sinne. Spätestens 2027 ist das Sondervermögen aufgebraucht. Dann fehlen außerdem etwa 25 Milliarden Euro pro Jahr – zusätzlich zu des Kaisers neuen Kleidern.