© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/24 / 16. August 2024

Staat verspielt Vertrauen
Haushaltspolitik: Widerstand gegen die Rückzahlung von Corona-Hilfen
Paul Leonhard / Kuba Kruszakin

Franco Müller steht mit oranger Mütze und Warnweste vor der Investitionsbank Berlin. Hundert Meter von ihm entfernt steht ein Streifenwagen mit zwei Beamten. Der 63jährige fordert, daß die staatlichen Rückzahlungsforderungen aufgehoben werden. Seit den neunziger Jahren ist er in der Immobilienberatung tätig. Als „Solo-Selbständiger“ soll er 9.000 Euro an Corona-Hilfen zurückzahlen. „Ich habe meine Firma, die Gewerbeimmobilien vermitteln sollte, im großen und ganzen 2019 mit privaten Darlehen aufgebaut.“

20.000 Euro hatte der gebürtige Brandenburger aufgenommen. „Ich habe in der Zeit vom Bürgergeld gelebt, und es ging insofern sehr gut, weil ich ab 2020 sehr viele Aufträge hatte. Meine größte Erwartung war ein Bürohaus in Wien, das verkauft werden sollte. Dazu mußte eine Eigentümerversammlung einberufen werden, so Müller. „Das Problem war, daß ich aufgrund von Corona nicht hinfliegen konnte. Aufgrund dessen hatten sich die Geschäfte zerschlagen, und alle anderen, die Bürohäuser bauen oder kaufen wollten, sagten, sie warten erst mal Corona ab und dann geht’s weiter. Dann habe ich Corona-Hilfe beantragt.“

Müller sagt, die Hilfen wurden ihm rückwirkend für drei Monate bewilligt. „Da ich von Natur aus ein ängstlicher Mensch bin, habe ich noch ein Begleitschreiben an die Investitionsbank des Landes Brandenburg geschrieben.“ Darin habe er seine private finanzielle Situation geschildert. Privat sei diese „verheerend negativ, die wirtschaftliche war insofern wegen Darlehen gesichert“. Eine Mitarbeiterin der ILB schrieb ihm: „Herr Müller, da brauchen Sie keine Angst zu haben, es muß nichts zurückgezahlt werden.“

Dann habe die ILB zwei Strafanzeigen gegen ihn erstattet. „Beide Strafanzeigen habe ich mit Erfolg abgewiesen.“ In beiden Fällen hätten die Richter aufgrund des Begleitschreibens geurteilt, daß Müller alles korrekt beantragt habe, die Corona-Hilfe-Fragebögen seien „schwammig“ formuliert. Nun müsse Müller gegen die ILB klagen, weil die Bank seine private und wirtschaftliche Situation zusammenbringe: „9.000 Euro muß ich zurückzahlen. Wenn die Bank widerruft, muß man nicht nur widersprechen, sondern auch Klage einreichen. Das heißt den Anwalt bezahlen, die Prozeßkosten zahlen, und erst dann ist der Widerspruch rechtskräftig. Jetzt muß ich die Prozesse abwarten – ich weiß aber nicht genau, wann der Termin ist. Da gibt’s wahrscheinlich einen im Herbst oder früher.“

Müller will jetzt jeden Montag in Berlin gegen die Rückforderungen demonstrieren. „Ich richte mich gegen Rückzahlungsforderungen in ganz Deutschland. In Brandenburg gibt es geschätzte 20.000 und in Berlin 26.700 Rückforderungen“, zählt Müller auf. „Also ein Fünftel jener, die es bekommen haben. Ich möchte für alle Betroffenen stehen, um die es damals ging. Ich fordere ganz deutlich, daß die Rückzahlungsforderungen zurückgenommen werden, daß die kleinen Selbständigen und Selbständige keine Corona-Hilfen zurückzahlen müssen, so wie es damals versprochen wurde. Natürlich unter der Voraussetzung, daß die Anträge richtig gestellt wurden, wie es bei mir und den anderen der Fall war.“

Der Bund hat 13,6 Milliarden Euro an Soforthilfe an 1,8 Millionen Betroffene ausgezahlt – nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums von Robert Habeck etwa fünf Milliarden zuviel. Doch viele der zur Rückzahlung Aufgeforderten sind nicht in der Lage dazu. In Hamburg, wo 550 Millionen Euro Soforthilfe ausgezahlt wurden, fordert die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) 180 Millionen Euro zurück, hat aber inzwischen 8.300 Stundungsvereinbarungen und in rund 1.600 Fällen Ratenzahlungen vereinbart. In etwa 5.800 Rückforderungen stehen die Zahlungen teils oder ganz aus. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der CDU-Fraktion hervor.

Die Rückzahlungsverpflichtungen betragen durchschnittlich 6.812 Euro. Bundesweit haben etwa 550.000 Betroffene die Gelder ganz oder teilweise zurückgezahlt, immerhin insgesamt 3,5 Milliarden Euro. In anderen Fällen wird noch gestritten. In Mecklenburg-Vorpommern, wo das Landesförderinstitut (LFI) bei einst 54.000 bewilligten Anträgen bisher rund 19.600 Rückforderungsbescheide über 174 Millionen Euro verschickt hat, beklagen Betroffene, daß das Land mehrfach die Spielregeln im nachhinein verändert habe.

 www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de