© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/24 / 16. August 2024

Keiner weiß, wofür sie steht
USA: Widersprüchliche Aussagen und die Scheu vor Interviews prägen den mehr und mehr kritisierten Politikstil der Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris
Liz Roth

Vizepräsidentin Kamala Harris soll nun gegen Donald Trump in den Ring steigen und das Weiße Haus für die Demokraten weitere vier Jahre sichern. Nachdem Hillary Clinton 2016 gescheitert und nicht zum ersten weiblichen „Commander in Chief“ gewählt worden war, wird von den politisch linken Fraktionen der USA alle Hoffnung dieses Mal in Harris gesetzt. Doch Recherchen über sie führen zu keinem klaren Bild. Wer ist sie, wofür steht sie? fragen sich viele. Denn seit sie Präsident Joe Biden an der Spitze der Demokraten für 2024 ablöste, hat Vizepräsidentin Harris weder ein Interview gegeben noch eine Pressekonferenz abgehalten. Entsprechend legte die Washington Post am Sonntag die Finger auf die Wunde und titelte fragend: „Warum hat sie seit 2020 so viele Positionen geändert?“ Harris schalte jetzt Werbespots, in denen sie ihre Unterstützung für eine verstärkte Durchsetzung der Grenzkontrollen betont. Im Juni 2018, inmitten der Bewegung zur Abschaffung der Einwanderungs- und Zollbehörde, habe sie betont: „Wir müssen wahrscheinlich darüber nachdenken, bei Null anzufangen.“ Im Juli 2019 habe sie dann erklärt, daß Einwanderer ohne Papiere, die die Grenze illegal überqueren, nicht wegen eines Verbrechens angeklagt werden sollten. Jetzt betont sie in der Kampagne, sie „glaube“, daß „unerlaubte Grenzübertritte illegal“ seien.  

Harris’ Credo: Pro-Einwanderer und für das Recht auf Abtreibung

„Aus taktischen Gründen ist es für Frau Harris, wie für jeden anderen in ihrer Position auch, verlockend, sich so lange wie möglich nicht zu den Themen zu äußern, um der Opposition kein Futter zu geben oder ihre Anhänger zu spalten“, erklärte die Washington Post und forderte Substanz: Die „Stimmung“ rund um den Start der Kampagne der 59jährigen Vizepräsidentin sei unter den Demokraten unbestreitbar stark, aber sie könne sich „nicht ewig darin sonnen“. 

Der bekannte liberale Journalist Glenn Greenwald, der 2013 die Enthüllungen von Edward Snowden über die Spionageaktivitäten der USA veröffentlichte, hatte bereits den Ton ihrer Kampagne und den der Massenmedien beschrieben: „Allein in den letzten fünf Tagen haben unzählige große Medienhäuser lange Artikel veröffentlicht, in denen Kamalas Kampagne als ‘Politik der Freude’ bezeichnet wurde“, schrieb er vergangenes Wochenende auf X (ehemals Twitter). Die Medien sehen Harris im Rennen bereits vor Trump. Laut der Presseagentur Reuters hat sie in den „umkämpften Staaten einen deutlichen Vorsprung erlangen können“.

Seit fast vier Jahren hält Harris das Amt des Vizepräsidenten, und in dieser Zeit wurde sie von Präsident Biden mit der Situation an der Grenze zwischen den USA und Mexiko betraut. Trotz ihrer Bemühungen wurden nach Regierungsangaben rund sieben Millionen Migranten beim illegalen Überschreiten dieser Grenze zwischen den USA und Mexiko festgenommen – ein Rekordwert, der die Republikaner auf den Plan gerufen hat. „Harris ist einfach nur inkompetent. Was hat sie erreicht? Gar nichts! Sie hat alles nur schlimmer gemacht“, so Trumps Urteil auf einer seiner Wahlveranstaltungen. 

Außerdem nutzte sie ihre Position, um sich für das landesweite Recht auf Abtreibung zu engagieren, nachdem der Oberste Gerichtshof 2022 erklärt hatte, daß die Abtreibung in den jeweiligen Bundesstaaten rechtlich geregelt werden sollte. Harris war auch federführend bei den Bemühungen der Biden-Administration, das Wahlrecht zu erweitern, und half bei der Ausarbeitung von Gesetzen, die letztlich im Senat scheiterten. Das Ziel war unter anderem gewesen, das Wahlrecht für Straftäter und (illegale) Einwanderer zu öffnen. 

Harris ist selbst Tochter von Einwanderern nach Kalifornien. Ihr Vater, Donald Harris, emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stanford University, kommt ursprünglich aus Jamaika, während ihre Mutter, Shyamala Gopalan, eine 2009 verstorbene Endokrinologin, in den späten Fünfzigern aus Südindien in die USA emigrierte. In ihren 2019 erschienenen Memoiren schreibt Harris, daß ihre Eltern Teil der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre gewesen seien. 

Der konservative Autor und Kommentator Ben Shapiro berichtet in seiner dreiteiligen Dokumentation „Scamala: Kamala Harris Unmasked“, daß ihre Eltern Teil der linksextremistischen Bewegung in Berkeley (Universität in Kalifornien) und bekennende Marxisten waren. Ihre Eltern ließen sich allerdings schnell scheiden, und sie verbrachte ihre Jahre seit sie zwölf Jahre alt ist in Montreal in Kanada, bis sie ihr Studium schließlich an der Howard University in Washington D.C., die traditionell von schwarzen Studenten besucht wird, begann. 

Dort machte sie sich einen Namen als politische Aktivistin und engagierte sich unter anderem bei Protesten gegen Apartheid in Südafrika. Schließlich studierte sie Jura in Kalifornien und arbeitete als stellvertretende Bezirksstaatsanwältin in Alameda County (der Region rund um San Francisco). „Amerika hat eine tiefe und dunkle Geschichte von Menschen, die die Macht der Staatsanwaltschaft als Instrument der Ungerechtigkeit nutzen“, schreibt sie in ihren Memoiren. „Aber ich wußte auch, daß das, was mit dem System nicht stimmt, keine unumstößliche Tatsache sein muß. Und ich wollte dazu beitragen, das zu ändern.“

„Ihre Karriere hätte auch dort enden können – als regionale Staatsanwältin. Aber dann, 1994, trifft sie jemanden, der sehr einflußreich ist, den Sprecher der kalifornischen Staatsversammlung Willie Brown“, so Shapiro weiter. Er war damals 60 Jahre alt, verheiratet und begann eine Beziehung mit der 29jährigen Harris. „Innerhalb weniger Monate hatte er ihr alle einflußreichen Persönlichkeiten der Region vorgestellt und angefangen, wichtige Ämter an sie zu übertragen, die mit großen Summen entlohnt wurden“, erklärt Shapiro. 

Ihre Zeit als Staatsanwältin war ein totales Desaster   

Dazu zählen Aufsichtspositionen von öffentlichen Behörden wie der California Medical Assistance Commission. Danach ging es stetig aufwärts, sie wechselte in die Staatsanwaltschaft von San Francisco und wurde schließlich 2011 zur Generalstaatsanwältin in Kalifornien gewählt. Während ihrer Zeit als Generalstaatsanwältin lernte Harris Bidens ältesten Sohn, Beau, kennen, der als Generalstaatsanwalt von Delaware tätig war, und freundete sich mit ihm an.

2014 heiratete sie den Anwalt Doug Emhoff, 2016 folgte dann die Wahl zur Senatorin des Staates und sie zog in die Hauptstadt Washington. Nur vier Jahre später bewarb sie sich um das Amt des Präsidenten der Demokraten. Harris’ Bilanz als Staatsanwältin – und später als Kaliforniens oberste Strafverfolgungsbeamtin – wurde während ihrer Präsidentschaftskampagne 2020 unter die Lupe genommen. Progressive Aktivisten und Strafverfolgungsbefürworter stellten mehrere Entscheidungen, die sie im Amt getroffen hatte, in Frage. „Sie gab immer an, sie hätte Straftaten rigoros verfolgt. Das war nicht der Fall, wie sich dann herausstellte. Sie ließ viele davonkommen. Aber später, als sie Generalstaatsanwältin werden wollte, hat sie ihre Daten verfälscht, um besser dazustehen. In Wahrheit war ihre Zeit als Anklägerin in San Francisco ein totales Desaster. Die Stadt hatte die höchste Rate von nicht strafrechtlich verfolgten Morden in ihrer damaligen Geschichte“, heißt es in Shapiros Dokumentation.  

Am Ende ernannte Joe Biden sie zur Kandidatin für die Vizepräsidentschaft. Nun soll sie den mental stark beeinträchtigten Präsidenten nach einer Amtszeit beerben. Gemeinsam mit dem Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, den sie jüngst als ihren Vizepräsidentschaftskandidaten verkündet hatte, wollen sie jetzt ihre progressiven Vorstellungen für die Zukunft des Landes umsetzen. Walz hat sich in der Vergangenheit für eine liberale Politik in bezug auf die illegale Einwanderung eingesetzt – eines der wichtigsten Themen für die Wähler vor den Wahlen im November.

Während seiner Gouverneurskampagne 2018 sprach sich Walz offen dafür aus, daß Minnesota ein „sanctuary state“ werden sollte, in dem illegale Einwanderer vor Abschiebung geschützt wären. Er setzte zudem durch, daß illegale Einwanderer einen Führerschein ausgestellt bekommen. Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, kritisierte die Entscheidung und sagte, die beiden seien eines der radikalsten Paare in der amerikanischen Geschichte. „Wir alle erinnern uns an die BLM-Krawalle von 2020 in Minneapolis“, sagte DeSantis. „Harris hat diese Unruhen angestachelt und Geld gesammelt, um die Randalierer mit dem Minnesota Freedom Fund (finanzielle Unterstützung für Rechtskosten) zu unterstützen, und es sind Unruhen, die Tim Walz als Gouverneur einfach geschehen ließ. Er lehnte sich zurück und ließ die Stadt Minneapolis brennen. Diese Stadt ist durch diese Unruhen völlig zerstört worden.“ Walz wird ebenfalls heftig von konservativer Seite angezählt, da er einst behauptete am Krieg im Irak und Afghanistan teilgenommen zu haben, obwohl er in Wahrheit in Italien stationiert war. 

Selbst der linksliberale New Yorker  eröffnet das Feuer auf Harris 

Parallel dazu wird Walz dafür kritisiert, daß er in Minnesota im vergangenen April das sogenannte „Trans-Refugium“-Gesetz unterzeichnete, das den Bundesstaat im Mittleren Westen zu einem legalen Zufluchtsort für Kinder macht, die eine „geschlechtsangleichende Behandlung“ wie Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und Operationen benötigen. In 25 Staaten der USA sind geschlechtsspezifische Eingriffe für Minderjährige verboten. „Tim Walz macht mir angst. Besonders weil er so eloquent und redselig ist. Ich habe aufgrund seiner politischen Historie Angst um meine Kinder“, erklärt die Journalistin Megyn Kelly in ihrem Podcast auf Youtube. 

Das linksliberale Magazin New Yorker ist neben der Washington Post das einzige Medium auf seiten der Demokraten, das  Harris ansatzweise kritisch unter die Lupe nimmt. In einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Wie generisch kann Kamala Harris sein?“ versucht es das zu rationalisieren, was seit Wochen die größte Kritik der Republikaner und der Konservativen an Harris ist. 

Der New Yorker fordert Reporter auf, sich Gedanken darüber zu machen, daß Harris „seit Wochen kein Interview mehr gegeben hat oder eine wichtige politische Frage beantworten mußte. Ein Kandidat, der auf der Wahlkampftour nichts verspricht und keine Vergangenheit hat, mag der Traum von Politik-Freaks sein, aber in einer gesunden Demokratie ist es die Aufgabe der Presse, dafür zu sorgen, daß die Wähler wissen, wen sie unterstützten“. 

Das Magazin wies darauf hin, daß die offizielle Website der Harris-Kampagne für die Präsidentschaftskandidatur nicht einmal „eine politische Sektion oder eine Artikulation von Überzeugungen“ hat, sondern nur Schaltflächen für Dinge wie ihre Biographie, Merchandise und Spenden. Das sei ein gefundenes Fressen für Trump. „Sie ist nicht klug genug, um eine Pressekonferenz abzuhalten“ und „schafft es kaum, zwei Sätze zu sprechen“.

 Wofür steht Kamala Harris? fragt Autor Michael Shellenberger. „Harris und die Demokraten wollen nicht über inhaltliche Fragen sprechen, weil Wähler dann eher gegen als für sie sein würden. Am Ende haben die Demokraten keine große Vision für Amerika.“ Bis zum Ende des Monats wolle sie sich aber der Presse stellen, verkündete sie nun.