© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/24 / 16. August 2024

Dorn im Auge
Christian Dorn

Einen Evergreen schreiben – und jung für immer bleiben … Wenn es doch so einfach wär! Die Stadt der Engel ist weit, wie auch die vergangene Zeit, als mich eine Nachricht von Wons Phreely erreichte, einem der begnadetsten Singer-  Songwriter der Gegenwart, der heute wohl ein Star des globalen Popzirkus wäre, hätte er nicht das Korsett der Musikindustrie abgelehnt und sich nach Los Angeles abgesetzt. „Abgesetzt“, sprich delisted, sind – wie ich auf einmal feststelle – inzwischen auch nahezu alle seiner unglaublich eingängigen Popsongs von früher, eigentliche Ohrwürmer, von denen mindestens eine Handvoll heutzutage in der Rotation der Radiosender weltweit laufen müßten. Damals schickte er mir das von ihm selbst produzierte witzige Video zu seinem „kopflosen“ Song „The Night Has an Alibi“, wo, so schrieb er mir, die Dinge ein bißchen „weird“ geworden seien – also gerade so, wie gegenwärtig die demokratischen Präsidentschaftskandidaten das Duo der US-Republikaner Trump/Vance kommentieren. Der Song ist bis heute auf Youtube zu finden, dazu das Bekenntnis: „It’s indie rock and roll forever!“

Der Modekonzern Mango hat gerade sein erstes KI-Model auf den Markt geschickt.

Die jüngste Krönung – herausgebracht zum Auftakt des Corona-Interregnums – ist der fantastische Song „Restless to Run“, geschrieben nach dem Tod David Bowies, dem er gewissermaßen gewidmet ist: „Bowie made me want to make music that’s fun, camp, glamorours and sexy.“ Und tatsächlich: Die reale Welt da draußen ist zum Weglaufen … Oder ich muß wieder Fühlung aufnehmen: California Dreaming!

Doch die Realität wird in bar bezahlt: Zwei Kaffee und zwei Coca-Cola, so wird mir berichtet, machen 32 Euro auf der Café-Rechnung und als Phänomen eine Definition in der Lingua franca: It’s a funny fact / By inflation act. Fiat money makes the world go round. Hier fehlt nur noch Wons Phreelys bombastischer Titel „The World Has a Bank Account“, dessen Video ebenso spurlos verschwunden ist. Diese Zukunft dürfte auch dem „Model“ von Kraftwerk blühen. So hat der Modekonzern Mango sein erstes KI-Model auf den Markt geschickt. Natürlich wird das mit blumigen Worten kommuniziert; so behauptet das Unternehmen, diese Technologie mache „uns menschlicher“. Mit Blick auf die befremdlichen, seelenlosen, ja wie Lemuren wirkenden Figuren bei der Abschlußzeremonie der Olympischen Spiele in Paris mag das sogar stimmen.

Apropos Innovation: Bei der Lektüre der Neuen Zürcher Zeitung überfliege ich einen Artikel über neuartige Kamikazedrohnen im Ukraine-Krieg, die die Kriegsführung revolutioniert haben – und stutze kurz, als ich reflektiere, daß ich – als „Überflieger“ – gerade dasselbe mache, zumal mir Phreelys Refrainzeile „Drop this bomb“ unentwegt in meinem Kopf herumsummt. Um so vitaler wirkt hier das Video zu Wons Phreelys Song „The Rules of Nature“ mit bezaubernden Tieraufnahmen.