Die in Frankreich weitgehend konsensfähige Polyamorie, also das Neben- oder Nacheinander diverser Liebschaften, hat zwar schon in der Kommune 1 zwischen Rainer Langhans und Uschi Obermaier nicht funktioniert. Aber man kann ja trotzdem mal einen Film machen, der so tut, als wären alle Probleme, die sich naturgemäß aus dem, was nach wie vor unter den Begriffen Untreue, Seitensprung und Fremdgehen subsumiert und fraglos eher negativ konnotiert ist, gar nicht vorhanden oder als hätten sie bestenfalls die Qualität eines Sturmes im Wasserglas.
Das muß so in etwa die Motivation von Regisseur Philippe Lefebvre für seinen Film „Adieu Chérie – Trennung auf Französisch“ gewesen sein. Das windige Drehbuch entstand in Kooperation mit der Schriftstellerin Maria Pourchet, die 2021 mit ihrem Roman „Feu“ auf der Auswahlliste für den Prix Goncourt stand, eine der wichtigsten Auszeichnungen für Literatur bei unseren französischen Nachbarn. Damit waren die Weichen klar gestellt für einen stromlinienförmigen Umgang mit Zeitgeistthemen, der sich dann auch beim Anschauen von „Ein neuer Start“ – so lautet der Titel der Filmkomödie in der wörtlichen Übersetzung aus dem Französischen – vollumfänglich bewahrheitet.
Die #MeToo-Bewegung wird durch den Kakao gezogen
Einen neuen Start, den wagt zu Beginn des Films erst mal Malou, der inzwischen erwachsene Sohn des Ehepaars Diane (Karin Viard) und Alain Huysmans (Franck Dubosc): Er setzt sein Leben in Japan fort. Diane schreibt für ein Zeitgeist-Magazin, Alain ist Konzertpianist. Und beide sind seit dreißig Jahren leidlich glücklich verheiratet. Doch dann stellt Alain die Frage, die man sich vielleicht in dieser Lage nicht unbedingt stellen sollte, wenn man sich eine Ehekrise ersparen will: „Bist du in mich verliebt?“
Vorausgegangen ist der Gewissensfrage ein Redaktionsgerücht, dem sich Diane leider nicht in aller Entschlossenheit widersetzt hat: Sie habe eine Affäre mit dem unverschämt gutaussehenden Redaktionsleiter Stéphane (Tom Leeb). Zwar kann Diane Zweifel an ihrer Integrität einigermaßen erfolgreich ausräumen – die ganze Inszenierung galt nur einer Renommee-Steigerung im Kollegenkreis –, doch dann kommt es eben zu besagter Frage. Und die Antwort darauf findet Alain so ungenügend, daß er seine Frau verläßt.
Auf einmal ist Diane frei für all die Flausen, die ihr sowieso schon seit geraumer Zeit durch den Kopf gehen: Sie beginnt tatsächlich eine Affäre mit dem attraktiven Stéphane, bietet sich außerdem beim Verabredungsportal Tinder an und macht auch auf diesem Nebengleis turbulent-amouröse Erfahrungen. Alain, reichlich durch den Wind, weil er seine Frau im Grunde noch liebt, verursacht einen Unfall mit der 35jährigen Agathe (Clémentine Baert) und erlebt prompt eine neue Liebe. Ja, in Frankreich scheint das so zu funktionieren. Schon im letzten Jahr kam mit „Im Herzen jung“ (JF 32/23) ein französischer Film ins Kino, in dem der Altersunterschied, allen statistischen Erhebungen zu dem Thema zum Trotz, nicht weiter störte.
Natürlich ist so eine Zeitgeist-Komödie nicht vollständig ohne LGBT-Quotenerfüllung. Als unvermeidliche Quotenlesbe ins Drehbuch hineingeschrieben wurde die per In-vitro-Fertilisation geschwängerte Tochter von Diane und Alain. Sie heißt Juliette. Und damit auch gleich noch ein zweites Diversitätskriterium erfüllt wird, ist ihre Lebenspartnerin eine Afro-Französin mit rabenschwarzer Buschelfrisur. Immerhin: Die ist wenigstens nicht „kulturell angeeignet“.
Etwas Trost spendet der Umstand, daß die hysterische #Metoo-Bewegung, die in Frankreich schon immer einen vergleichsweise schweren Stand hatte, nicht zum ersten Mal in einem französischen Film übrigens ordentlich durch den Kakao gezogen wird. Und so hinterläßt „Adieu Chérie – Trennung auf Französisch“ einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits gelingt es Philippe Lefebvre blendend, die Handlung durch ständig neue Einfälle und die dadurch erzielte Intensität des Erzählten konsequent auf hohem Niveau zu halten, weshalb dem Urteil des französischen Boulevardmagazins Public zuzustimmen ist, das meinte: „In dieser romantischen Komödie wird es keine Sekunde langweilig.“ Andererseits irritiert der naiv-sorglose Umgang mit den massiven menschlichen Verletzungen, die er seinen Hauptfiguren zumutet, ohne daß das am Ende zu den eigentlich zu erwartenden Traumata und Verbitterungen führen würde.
Für einen „Rosenkrieg“ hätte das Drehbuch allemal das Zeug gehabt. Doch wo in Danny DeVitos gleichnamigem Film von 1989 der Tod dem Paar-Duell zwischen Kathleen Turner und Michael Douglas ein grausiges Ende bereitete, löst sein französischer Kollege alles viel zu wohlfeil in Wohlgefallen auf. Das macht seine Komödie, obwohl er sich zum Ende hin durchaus um ernste Töne bemüht, leider zu einem ziemlich seichten Film.
Foto: Ehepaar Alain (Franck Dubosc) und Diane (Karin Viarde): „Bist du in mich verliebt?“
Kinostart ist am 22. August 2024