Der Künstler A. Paul Weber (1893–1980) hinterließ ein umfangreiches Werk, zu dem neben zahlreichen Skizzen, Holzschnitten und Ölbildern etwa 3.000 Lithographien gehören. Diese befinden sich fast alle im 1973 eröffneten Weber-Museum in der schleswig-holsteinischen Inselstadt Ratzeburg. Daß Weber und sein Werk nicht in Vergessenheit geraten, dafür sorgen nicht zuletzt die Aktivitäten der 1974 gegründeten Weber-Gesellschaft. Sie organisiert Ausstellungen im In- und Ausland, ermöglicht Vorträge und Tagungen, fördert die wissenschaftlichen Arbeiten des A. Paul Weber-Archivs und erweitert die Sammlungen durch regelmäßige Ankäufe. Die diesjährige Kulturnacht im Juli in Ratzeburg stand ganz im Zeichen des 50jährigen Jubiläums der A. Paul Weber-Gesellschaft, das formal erst Ende Oktober bevorsteht. Sie bot den Besuchern Gelegenheit zum Mitfeiern zwischen den Museumshäusern mit Musik, Führungen und einem sommerlichen Blick auf den Domsee.
In seinem langen Leben durchlief A. Paul Weber immer wieder durchgreifende Lernprozesse und gelangte so zu einer klaren Haltung gegenüber Gewalt, Totalitarismus, Unterdrückung, Umwelt- und Naturzerstörung. Seinen Ruf als bedeutender satirischer Graphiker erwarb sich Weber nicht zuletzt mit dem seit 1959 jährlich erscheinenden „Kritischen Kalender“, der ihm zwar noch keinen großen finanziellen Erfolg einbrachte, aber zu internationaler Resonanz führte. Damit wurde die Veröffentlichung seiner graphischen Kunst in auflagenstarken Zeitschriften möglich sowie zahlreiche Ausstellungen unter anderem in Schweden, Luxemburg, Frankreich, Italien und Island.
Mitarbeit im Widerstandskreis um den Publizisten Ernst Niekisch
In Webers umfangreichem lithographischen Werk finden sich zahlreiche gesellschaftskritische und satirische Blätter zu den Themen Politik, Umwelt und Medizin, die in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren entstanden. Hinzu kamen ganze Bildserien mit dem Motiv des Schachspiels in den unterschiedlichsten Variationen und Genres sowie allegorische Tierdarstellungen.
In den Siebzigern wuchs das internationale Renommee des Künstlers, was sich in einer Vielzahl von Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen zwischen 1977 und 1980 (dem Todesjahr Webers) widerspiegelte. So feierte Weber große Erfolge mit glänzend besuchten und durchweg positiv rezensierten Ausstellungen in Reykjavik, Wien, Luxemburg, Mailand, Oslo und Göteborg. Zugleich wurden jedoch Teile seines künstlerischen Frühwerks aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und nicht zuletzt sein zwischen 1939 und 1941 entstandener Bilderzyklus „Reichtum und Tränen“ mit 45 politischen Zeichnungen (auch bekannt als „Britische Bilder“) verstärkt kritisch hinterfragt.
Eine folgenreiche kontroverse Debatte löste sodann die von der Elefanten Press GmbH (Berlin-West/Hamburg) veranstaltete Wanderausstellung aus. Diese nahm ihren Ausgang am 1. Oktober 1977 unter dem Titel „Kunst im Widerstand.
A. Paul Weber. Das antifaschistische Werk“ in der Berliner Elefanten Press Galerie. Die Kontroversen spiegelten sich auch in den umfänglichen textlichen Änderungen, Ergänzungen und Erweiterungen wider, den der die Ausstellung begleitende Katalog erfuhr. Innerhalb nur weniger Jahre gab es acht Auflagen des Ausstellungskatalogs mit dem abschließenden Titel „Kunst und Widerstand.
A. Paul Weber. Politische Zeichnungen seit 1929.“ Dabei nahm die Aufarbeitung teilweise polemische und moralisierende Züge an. So wurde Weber mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert, der Bezug nahm auf seine Arbeiten für den Erich Matthes Verlag in den zwanziger Jahren. Darunter fielen eine Reihe Plakatentwürfe antisemitischen Inhalts, aber auch weitere Illustrationen in ähnlich gelagerten Publikationen für den von der Wandervogelbewegung geprägten Verlag.
Gegenstand von Kritik wurde auch Webers Mitarbeit im nationalrevolutionären Widerstandskreis um den Publizisten Ernst Niekisch (1889–1967), der in seinen Positionen eine Nähe zu den mit Hitler um die Macht konkurrierenden Kreisen um Gregor Strasser und Ernst Röhm von der SA aufwies. Weber war in den Jahren 1931 bis 1934 neben Niekisch Mitherausgeber der Zeitschrift Widerstand, für die er das Signet entwarf. Er lieferte zudem zahlreiche politisch-satirische Illustrationen, unter anderem für die Schrift „Hitler – ein deutsches Verhängnis“ des Widerstands-Verlages. Die Schrift erschien 1932 gleich in fünf Auflagen und bildete den Höhepunkt der Auseinandersetzungen von Niekisch und Weber mit dem Nationalsozialismus. Aus der Reihe von Illustrationen für diese Publikation stammt auch die berühmte Zeichnung, die nach dem Krieg in keinem Schulbuch für den Geschichtsunterricht an westdeutschen Schulen fehlte: Sie zeigt die unaufhaltsam wie Lemminge sich in ein riesengroßes Grab hineinbewegenden Massen unter wehenden Hakenkreuzfahnen.
Die Mitwirkung des Künstlers im Niekisch-Kreis führte schließlich am 1. Juli 1937 zu seiner Verhaftung. Er wurde dann in das KZ Hamburg-Fuhlsbüttel deportiert. Es folgten Gefängnisaufenthalte in Berlin und Nürnberg bis zu Webers Entlassung ohne Prozeß am 15. Dezember desselben Jahres. Eine hohe Kautionszahlung von Freunden aus der Zeit in Wilna hatte schließlich seine Freilassung ermöglicht. Danach erhielt Weber kaum noch Aufträge. Ende 1939 begann dann seine Arbeit an einer Reihe großformatiger Zeichnungen, die sich mit den Schattenseiten des britischen Empire auseinandersetzten, wie der Nordirlandpolitik, der Besetzung Gibraltars, dem Sklavenhandel und dem Burenkrieg in Südafrika. Der Bilderzyklus erschien unter dem Titel „Britische Bilder“ 1941 im Nibelungen-Verlag, der dem Reichsministerium für Propaganda und Aufklärung von Joseph Goebbels unterstellt war. Diese Arbeiten warfen nach dem Krieg in der Biographie Webers Fragen nach politischer Vereinnahmung und Anpassung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus auf.
Die Generation überzeugter Antifaschisten, die durchweg durch demokratische Verhältnisse geprägt und nie politischen Repressionen ausgesetzt waren, konnten dem Frühwerk des Künstlers nur wenig Verständnis entgegenbringen. Es fehlte ihnen einfach die Vorstellungskraft für eine Zeit, in der Menschen nach Halt und Orientierung suchten in Phasen großer Ungewißheit; und unter dem Druck totalitärer Verhältnisse waren sie dann auch nicht davor gefeit, sich auf Irrwege zu begeben.
Die Möglichkeit für eine differenzierte Darstellung des Werks von A. Paul Weber bot sich dem im Oktober 1981 als hauptamtlicher Kustos für das Weber-Museum angestellten Kunstwissenschaftler Bernd Bornemann, als er am 5. September 1982 ausdrücklich in privater Funktion an einer Podiumsdiskussion „A. Paul Weber – ein deutsches Mißverständnis“ auf dem Hamburger Rathausmarkt teilnahm. Das vom jüdischen Maler und Publizisten Arie Goral initiierte und von der Hamburger Kulturbehörde veranstaltete „Streitgespräch“ widmete sich der Rolle Webers als Illustrator und politisch engagiertem Künstler vor 1945. Bornemann verfaßte dazu einen Bericht, der dem Anfang 1983 veröffentlichten Rundbrief der Weber-Gesellschaft beigefügt wurde. Darin räumte er gewisse Verirrungen des Zeitgeistes im Fall A. Paul Webers ein infolge seiner Kontakte zu völkisch-antisemitischen Kreisen in den zwanziger Jahren und Illustrationen für einige durchaus fragwürdige Publikationen. Zugleich verwies Bornemann aber auch auf die humane Grundeinstellung des Künstlers. Er stellte kritisch gegenüber den Thesen Gorals fest, daß das umfangreiche und komplexe Gesamtwerk bei aller berechtigten Kritik zu einzelnen Teilen keine verallgemeinernden Schlußfolgerungen auf die vielschichtige Persönlichkeit Webers zulasse.
Kontakte über die innerdeutsche Grenze hinweg
Ein besonderes Anliegen der Weber-Gesellschaft bildeten seit den achtziger Jahren Kontakte über die innerdeutsche Grenze hinweg mit dem Geburtsort Webers (Arnstadt) und zur Kunstszene der DDR. So unternahmen der 1. Vorsitzende Hermann Krämer, Christian und Liselotte Weber als weitere Vertreter der Weber-Gesellschaft sowie der Ratzeburger Fotojournalist Hans-Jürgen Wohlfahrt im September 1983 eine Reise nach Thüringen und führten Gespräche mit Klaus Kästner, dem Leiter des Arnstädter Schloßmuseums. Weitere Gespräche und Kontakte zum Schloßmuseum und zu DDR-Kunsthistorikern ergaben sich mit einer einwöchigen Reise von Christian Weber und Helmut Schumacher (Mitglied der Weber-Gesellschaft) im März 1986. Nur etwa einen Monat später konnte dann von der Akademie Sankelmark und der Weber-Gesellschaft vom 30. April bis zum 4. Mai 1986 eine Exkursion durchgeführt werden unter dem Titel „Mit A. Paul Weber nach Thüringen“, begleitet von einem Aufnahmeteam des Kieler Fernsehens. So wurde schließlich eine 45minütige Sendung des NDR realisiert mit Diskussion unter der Moderation von Heidi Saemann.
Die deutsch-deutschen Aktivitäten der Gesellschaft ebneten den Weg zur ersten Weber-Ausstellung in der DDR, die vom 24. Juni bis zum 29. August 1986 in der Galerie der Fliesenwerke (VEB Kombinat Fliesen und Sanitärkeramik) im grenznahen Boizenburg an der Elbe stattfand. Die Ausstellung wurde begleitet von einem achtseitigen Faltblatt mit Abbildungen und einem Text von Werner Stockfisch.
Eine wesentlich umfangreichere zweite Ausstellung in der Staatlichen Galerie Moritzburg/Halle an der Saale ermöglichte schließlich die Zusammenarbeit des Ratzeburger A. Paul Weber-Museums mit dem Zentrum für Kunstausstellungen in der DDR (Dez. 1987 bis Jan. 1988). Dazu erschien ein aufwendig gestalteter und informativer Katalog. Die westdeutsche Ausstellungsdelegation leitete der damalige Oppositionsführer im Kieler Landtag, Björn Engholm, der wenige Monate später zum schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Zur Delegation gehörten auch Vertreter der Familie und der Weber-Gesellschaft sowie der neue Leiter des Weber-Museums, der Nürnberger Kunsthistoriker Klaus J. Dorsch. Er hatte 1985 die Nachfolge Bernd Bornemanns angetreten, dessen Arbeitsverhältnis mit dem Kreis Herzogtum Lauenburg beendet worden war.
Dorsch konzentrierte sich in seiner Arbeit auf drei Bereiche: Ausstellungen mit Klassikern der Kunstgeschichte (Rembrandt, Goya, Heinrich Zille, Wilhelm Busch oder Käthe Kollwitz), aber auch zeitgenössische Zeichner wie F. K. Waechter, Tomi Ungerer, Paul Flora, Gertrude Degenhardt oder Horst Haitzinger. Mit solchen Präsentationen eröffnete er durch manche Vergleiche auch neue Sichtweisen auf die Arbeiten A. Paul Webers. Zugleich intensivierte Dorsch die Zusammenarbeit mit der Weber-Gesellschaft durch die gemeinsame Planung von Ausstellungen und Publikationen, die Einbeziehung der Lithographie-Werkstatt in die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Schaffung des „A. Paul Weber-Förderpreises für Karikatur & kritische Graphik“ unter finanzieller Beteiligung des Service-Club „Round Table“.
Ebenso ist Dorsch die systematische Erfassung sämtlicher Werke A. Paul Webers zu verdanken. Dabei trug zur wesentlichen Vervollständigung des Gesamtwerks nach den Werkverzeichnissen der Illustrationen (1984), der Exlibris (1987) und der Gebrauchsgraphik von Helmut Schumacher (1990) die Erstellung des bereits vom Künstler 1965 persönlich geplanten Werkverzeichnis der Lithographien 1991 entscheidend bei. Der Band wurde wie die vorangegangenen Publikationen im renommierten Kunsthaus Lübeck veröffentlicht und schuf mit nahezu 3.000 erfaßten Lithographien eine neue Grundlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Weber.
Ein entscheidender Coup gelang der Kulturstiftung Schleswig-Holstein schließlich 1987, als sie aus dem Nachlaß Webers den umfangreichen Zyklus „Britische Bilder“ mit 41 Originalzeichnungen, 41 Skizzen und Entstehungsblättern von der Erbengemeinschaft des Künstlers erwarb. Vorausgegangen waren lange Gespräche und Verhandlungen zwischen den Verantwortlichen der Weber-Gesellschaft, der Familie Weber, dem Kreis Herzogtum Lauenburg und dem Land Schleswig-Holstein. Dieser Zyklus wurde dem Weber-Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Damit war die Grundlage geboten für den Beginn ernsthafter Forschungen zu diesem Thema.
Infos: A. Paul Weber-Museum, Domhof 5, 23909 Ratzeburg, und A. Paul Weber-Gesellschaft e.V. Die Ausstellung „Mit voller Mappe“ läuft bis zum 17. November und zeigt einen Querschnitt durch das Werk A. Paul Webers in all seinen Facetten. https://apaulwebermuseum.de www.weber-gesellschaft.de
Fotos: A. Paul Weber, Der Denunziant (Detail), Federzeichnung, 1934/1947: Von diesem Motiv wurde eine Postkarte gedruckt
A. Paul Weber (l.) am 30. September 1973 mit Bundespräsident Gustav Heinemann und dessen Frau Hilda während der Eröffnung des A.-Paul-Weber-Hauses in Ratzeburg