© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/24 / 16. August 2024

Acht Jahre brütende Kraken
Widerstand gegen Tiefseebergbau / China, Norwegen und USA sehen hier neue Rohstoffquellen
Paul Leonhard

Sie sind groß wie Kartoffeln und über Jahrmillionen durch Sedimentablagerungen auf dem Meeresboden entstanden. Und sie wecken Begehrlichkeiten: polymetallische Knollen. Sie sind in der Öffentlichkeit als „Man­gan­knol­len“ bekannt und enthalten all das, wonach jene gieren, die die „Energiewende“ umsetzen wollen: Mangan, Kobalt, Kupfer, Nickel. Ebenso sollen vom Meeresgrund polymetallische Sulfide und kobalthaltige Krusten geborgen werden.

Die Metals Company (TMC) wollte die erste sein, die die in 4.000 bis 6.000 Metern Tiefe in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) zwischen Hawaii und Mexiko liegenden Knollen abbaut. Die kanadische Firma kündigte an, dieses Jahr eine Abbaulizenz zu beantragen. Doch nach der jüngsten Vollversammlung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA), die laut dem UN-Seerechtsübereinkommen für den Meeresbodenbergbau zuständig ist, wird sich die TMC gedulden müssen.

Zwar konnten sich die ISA-Mitglieder – 167 Staaten und die EU, nicht aber die USA, die Türkei oder der Iran – nicht auf ein Regelwerk für den Rohstoffabbau in der Tiefsee einigen, aber die Wiederwahl des ISA-Chefs Mi­chael ­Lodge wurde verhindert. Dem Briten war eine zu große Nähe zu einer Tiefseebergbaufirma vorgeworfen worden. Seine Nachfolgerin, Leticia Carvalho, ist keine Gegnerin des Tiefseebergbaus, befürwortet aber ein umsichtiges Vorgehen und ließ durchblicken, daß sie die Erteilung einer Förderlizenz für falsch hält, solange kein verbindlicher Kodex verabschiedet ist.

„Wissen von dieser Tiefe sehr, sehr wenig und sind erst am Anfang“

Allerdings tritt die 51jährige brasilianische Ozeanographin ihr Amt erst 2025 an, so daß TMC mit Hilfe des Inselstaates Nauru einen Lizenzantrag stellen und erhalten könnte. China und die USA drängen auf einen schnellen Abbau der Rohstoffe, weil sie befürchten, der jeweils andere könne ein größeres Stück vom Unterwasserschatz abbekommen. Auch Norwegen drängt. Im April waren Firmen von der Linksregierung in Oslo eingeladen worden, Fördergebiete auf einem 280.000 Quadratkilometer großen Gebiet zwischen Grönland und Spitzbergen zu benennen. Erkundungslizenzen sollen 2025 vergeben werden, der Bergbau soll ab 2030 starten.

Da es sich um nationale Hoheitsgewässer handelt, ist die ISA unzuständig. Auch Japan plant den Abbau innerhalb seines Hoheitsgebiets. Umweltbedenken äußerten 32 der ISA-Staaten, darunter Deutschland. Frankreich will ein komplettes Verbot des Tiefseebergbaus. Die EU-Kommission sprach sich 2022 für ein befristetes Verbot aus. Finanz­institute, Konzerne und Fischereifirmen haben sich den Wissenschaftlern und Insel-Ureinwohnern angeschlossen, die ein Verbot des Tiefseebergbaus fordern. BMW, SAP, Volkswagen, Google und Samsung versprachen, keine Tiefsee-Rohstoffe zu verwenden und den Abbau nicht zu unterstützen. Versicherer wie Swiss Re haben angekündigt, solche Projekte nicht zu versichern.

Hintergrund sind Erkenntnisse, daß allein in der CCZ mehr als 5.500 teils kaum erforschte Tierarten existieren – in einer Region also, wo der Wasserdruck hundertmal höher ist als an Land, es kein Sonnenlicht gibt und nur wenige Nahrungsquellen. Ein Rohstoffabbau würde die an die extremen Bedingungen angepaßten Arten gefährden, befürchten Meeresbiologen. Zahlreiche Lebewesen würden eingesaugt, die aufgewirbelten Sedimentwolken kilo­meter­weit entfernte Ökosysteme beeinträchtigen.

Meeresforscher warnen, daß es fatale Folgen für die Biodiversität und bisher wenig bekannte Prozesse im Meer haben könnte, wenn ohne ausreichende Erkenntnisse über mögliche Auswirkungen mit dem Bergbau begonnen würde. Die Forschung dazu könnte zehn Jahre oder länger dauern, auch weil die Regionen so schwer zu erreichen sind. Zu den spannendsten Forschungsergebnissen gehört die in Nature Geo­science (7/24) veröffentlichte Studie, daß die Mineralien in Manganknollen ganz ohne Sonnenlicht durch Elektrolyse Sauerstoff erzeugen können. Bisher wurde angenommen, daß das in der Natur nur durch Photosynthese geschieht.

„Wir wissen von dieser Tiefe sehr, sehr wenig. Und da sind wir am Anfang. Wir sind so richtig Entdecker unserer eigenen Erde“, sagt Antje Boetius, Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut, in der ARD-Sendung „buten un binnen“. Man dürfe nicht mit Baggern hinfahren und ein Stück Fläche plattmachen: „Wir wissen ja noch nicht mal, ob diese Lebewesen woanders noch mal vorkommen.“

Als Beispiel nennt Boetius Kraken, die acht Jahre lang brüten, indem sie sich auf eine Schwammnadel setzen, die nur auf bestimmten Manganknollen wächst: „Wo immer ein harter Untergrund ist, ein Stein liegt oder eine Manganknolle oder eine Kruste, da wächst besonderes Leben drauf.“ Wegen der Langsamkeit der Tiefseeprozesse sei „es unwahrscheinlich, daß sich zerstörte Lebensräume innerhalb menschlicher Zeiträume erholen“, warnte Tim Packeiser im WWF-Bericht „In Too Deep. What We Know, and Don’t Know, About Deep Seabed Mining“. Danach hätte der kommerzielle Abbau von Rohstoffen wie Kobalt, Lithium und Nickel zerstörerische Auswirkungen auf die Ökosysteme und die Artenvielfalt der Tiefsee. Auch die globale Fischerei, Lebensgrundlage von weltweit etwa 200 Millionen Menschen insbesondere in Entwicklungsländern, könnte beeinträchtigt ­werden. Außerdem könnten großflächige Eingriffe am Meeresgrund die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe im Meer gefährden. Und laut einer von Green­peace beauftragten Studie des Öko-Instituts würden für die Energiewende gar keine Rohstoffe aus Manganknollen gebraucht, da inzwischen neue Batterietechniken wie etwa Lithium-Eisenphosphat-Akkumulatoren entwickelt wurden.

Kann so die Metallversorgung langfristig sichergestellt werden?

Zu den Verfechtern des Rohstoffabbaus aus der Tiefsee zählten auch frühere Bundesregierungen. So ließ Deutschland Manganknollenfelder im Ostpazifik sowie Schwefelablagerungen in der Nähe aktiver und erloschener heißer Quellen im Indischen Ozean erkunden. Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Polen und die Tschechei sicherten sich Schürfgebiete in der CCZ, im Indischen Ozean, im Westpazifik, im Südwest- und Zentral­indischen Rücken sowie im Mittelatlantischen Rücken.

Deutschland hatte 2013 für ein rund 75.000 Quadratkilometer großes Seegebiet östlich von Madagaskar eine Explorationslizenz beantragt, weil man dort große Mengen Massivsulfide vermutet. Tausende Seemeilen nordöstlich vom einstigen Kaiser-­Wilhelm-­Land und der Bismarcksee prüften Wissenschaftler auf Kosten des deutschen Steuerzahlers, ob hier die Metallversorgung der Bundesrepublik langfristig sichergestellt werden könnte und damit der zügige Ausbau der E‑Mobilität, ohne den wiederum die „Klimaschutzziele“ unerreichbar wären. Inzwischen wollen aber nicht einmal mehr die potentiellen Verbraucher dieser Rohstoffe, wie VW und BMW, etwas damit zu tun haben.

Daß sich viele Firmen ohnehin nicht an Auflagen halten, zeigte die kanadisch-australische Firma Nautilus Minerals, die sich gegen alle Proteste von Umweltschützern an die Ausbeutung einer Lagerstätte von rund zwei Millionen Tonnen Massivsulfid im Wert von zwei Milliarden Dollar in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea wagte. Der Meeresboden sollte mittels einer mit Messern versehenen Metallwalze in 1.500 Metern Tiefe aufgebrochen und das Schlamm-Metall-Gemisch dann auf Frachtschiffe gepumpt werden. Nur der Konkurs des Unternehmens und die definitive Einstellung des Betriebs im September 2019 bewirkten ein Umdenken in der Region. Bis 2025 will die ISA jetzt verbindliche Regeln für den Abbau vorlegen.


Tiefseestudie in Nature Geoscience (7/24): www.nature.com/articles/s41561-024-01480-8, www.isa.org.jm/news/isa-assembly-concludes-its-twenty-ninth-session/