Robert F. Kennedy Jr., der „unabhängige“ Kandidat bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl, war richtig sauer. „Wie viele von Ihnen mitbekommen haben, hat mich ein New Yorker Richter von der Wahl ausgeschlossen, obwohl meine Kampagne fast 150.000 Unterschriften von New Yorkern erhalten hat, die mich im November als Wahlberechtigter sehen wollen. Das Urteil fiel, nachdem die Kläger argumentiert hatten, ich sei in Wirklichkeit kein Einwohner New Yorks, was ich aber bin. Ich werde immer noch auf dem Wahlzettel stehen, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wir werden gegen diese Entscheidung Berufung einlegen und wir werden gewinnen“, schrieb der 70jährige auf X und kritisierte die Demokratische Partei heftig: „Die Sorge hier dreht sich nicht um meinen Präsidentschaftswahlkampf. Die Sorge dreht sich um den Zustand unseres Landes und die kompromißlose, antidemokratische Kampagne des DNC. Wehren Sie sich gegen die Entmündigung der Wähler!“
Richterin Christina Rybas Urteil sei „ein Angriff auf die Wähler New Yorks“, betonte der Neffe des 1963 ermordeten Präsidenten John F. Kennedy und wies darauf hin, daß es sich bei der Richterin um eine Demokratin handele. „Die Demokratische Partei ist für mich nicht wiederzuerkennen. Die Partei aus der Zeit meines Vaters und meines Onkels war der Ausweitung der Wählerrechte verpflichtet und verstand, daß der Wettbewerb an der Wahlurne ein wesentlicher Bestandteil der amerikanischen Demokratie ist. Die DP ist jetzt eine Partei, die anstelle eines demokratischen Wahlprozesses Rechtsstreitigkeiten anwendet.“
Und dennoch. Robert F. Kennedy Jr., kann am Wahlabend eine entscheidende Rolle zukommen. In aktuellen Umfragen liegt er mit der 38jährigen Patentanwältin Nicole Shanahan als Vizepräsidentschaftsbewerberin zwischen 8 und 15 Prozent. Sein Sieg ist also mehr als unwahrscheinlich, aber er könnte zum Königsmacher werden – und zum Spielverderber. So wie bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 die Kandidatur des grünen Verbraucheranwalts Ralph Nader mit 4,7 Prozent den Demokraten Al Gore um den Erfolg brachte und George W. Bush mit einem Vorsprung von nur 600 Stimmen in Florida Sieger wurde.
In Abwandlung der Parole Donald Trumps „Make America great again“ steht Kennedys Wahlkampf unter dem Motto „Make America healthy again“. Dies schließt sich fast nahtlos an seine Kampagne gegen die Corona-Pandemie-Verordnungen und seinen damit verbundenen Feldzug gegen die Pharma- und Chemie-Industrie an, durch die der Nonkonformist große öffentliche Bekanntheit erlangte.
Ebenso wie bei Trump geht es Kennedy Jr. um den Verlust und die erstrebte Wiedererlangung amerikanischer Größe. Nur sind ihre Schwerpunktthemen grundverschieden. Während Donald Trump das düstere Bild des wirtschaftlichen Niedergangs und der desolaten Infrastruktur an die Wand malt, liegt Kennedys Narrativ im Bild einer versehrten Landschaft, in der immer mehr an chronischen Krankheiten, Depression und Einsamkeit leiden. Nach dem Körper der Menschen während der Pandemie seien die Großkonzerne im Zusammenspiel mit den Behörden nun dabei, die Umwelt wie das Staatswesen zu vergiften.
Aufgrund seiner Programmatik ist schwer abzuschätzen, wem Kennedys Kandidatur mehr schaden wird: An Joe Biden kritisierte er dessen Israel-Politik, und versteht sich selbst zwar als Gegner der Hamas, aber als Freund der Palästinenser. Mit seiner Forderung nach einer restriktiveren Einwanderungspolitik könnte Kennedy hingegen bei von Trumps Gerichtsprozessen enttäuschten republikanischen Wählern punkten. Auch seine Angriffe auf die Macht der Eliten könnten im mittelständischen und kleinbürgerlichen Milieu Zuspruch finden. Der einflußreiche TV-Journalist Tucker Carlson erklärte, Kennedy habe sich seit der Zeit der Corona-Pandemie mit kontinuierlichen Angriffen auf die Pharmaindustrie und Verschwörungstheorien zu einem Enfant terrible entwickelt: „Es gab noch nie einen Präsidentschaftskandidaten, den die Medien mehr haßten als ihn.“
Pro-republikanischer Milliardär unterstützt auch Kennedy Jr.
Donald Trump sieht in Kennedy den „radikalsten linken Kandidaten“. Dieser wolle einen „Green New Deal“ einleiten und mit weitreichenden Umweltschutz-Auflagen der Wirtschaft schaden. Andererseits begrüßte Trump Kennedys Wahlantritt. In der Tat könnte Kennedy in manchen „Swing States“ zum Zünglein an der Waage werden. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts reicht es theoretisch bei nur einer Stimme Vorsprung für den Erstplazierten, und alle Wahlmänner des Bundesstaates fallen an ihn.
Vor diesem Hintergrund erhellt sich, warum der pro-republikanische Milliardär Timothy Mellon auch Kennedys Super-PAC (eine Organisation zur Sammlung von Wahlkampfmitteln) mit großzügigen Spenden bedenkt: Kennedy soll in möglichst vielen Bundesstaaten auf dem Stimmzettel stehen und so den Demokraten schaden.
Kennedy tritt zudem nicht als „Unabhängiger“ an. Hinter ihm steht seine eigene für den Antritt gegründete Partei We the People. Ebenfalls unterstützt ihn die mitte-rechts stehende Reform Party, die diesmal keinen eigenen Kandidaten nominierte. Die esoterisch orientierte Natural Law Party sowie die rechtskonservative American Independent Party im Bundesstaat Kalifornien haben ebenfalls zu Kennedys Wahl aufgerufen – wie im übrigen einige Prominente, so der Musiker Eric Clapton oder der James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan.
Auch weitere Kandidaten haben sich in Stellung gebracht, sind aber chancenlos. Zu ihnen gehören Chase Oliver von der Libertarian Party, Randall Terry von der paläokonservativen Constitution Party sowie Jill Stein, die sich schon 2016 für die Green Party beworben hatte. Auf der linken Seite findet sich der kalifornische Philosophieprofessor Cornel West, der mit Claudia De la Cruz (Party for Socialism and Liberation) vor allem um die Stimmen von Afroamerikanern konkurriert. Und nicht zu vergessen: Auch die Prohibition Party, älteste noch bestehende Drittpartei, stellt mit Michael Wood wieder einen Bewerber für das höchste Staatsamt auf.