© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/24 / 23. August 2024

Heimlicher Protektionismus
Rüstungsindustrie: Rheinmetall will US-Fahrzeug­spezialisten Loc Performance übernehmen / Bringt die „Zeitenwende“ eine teure staatliche Industriepolitik?
Thomas Kirchner

Zwei Zwerge machen noch keinen Riesen. Trotzdem hofft Rheinmetall, durch den Kauf der US-Rüstungsfirma Loc Performance künftig mit den großen US-Rüstungskonzernen mithalten zu können. Voraussichtlich 950 Millionen Dollar kostet der Einstieg der Düsseldorfer bei dem Hersteller von Panzerteilen in Michigan. Zusammen dürften die beiden einen Umsatz von schätzungsweise acht Milliarden erwirtschaften, immer noch wenig im Vergleich zu den amerikanischen Militärriesen, deren Umsätze bei über 60 Milliarden liegen.

Die Hoffnung ist offenbar, daß zwar nicht die Größe, aber eine größere Präsenz in Übersee die Chancen bei der Auftragsvergabe des Pentagons erhöht. Denn zwei Großaufträge für den Nachfolger des Truppentransporters Bradley über 45 Milliarden Dollar und für neue Militärlastwagen über 16 Milliarden Dollar stehen an. Das Drama um den Bradley-Ersatz dauert schon zehn Jahre, 2021 hatten sich alle Wettbewerber disqualifiziert und das Programm mußte neu ausgeschrieben werden.

Überwindung des Stigmas einer Beschaffung aus dem Ausland

Derzeit sind Rheinmetall und General Dynamics die verbliebenen Bewerber, sie teilen sich einen Auftrag zur Entwicklung von Prototypen in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar. Der Erfolg des Prototyps dürfte den Gewinner des Auftrags bestimmen. Daß Rheinmetall überhaupt als einer von zweien in der Endauswahl steht, ist eine beachtliche Leistung. Große Rüstungsaufträge vergibt das Pentagon normalerweise nur an wenige Großkonzerne, die als Generalunternehmer auftreten: Lockheed Martin, RTX, Northrop Grumman, Boeing, General Dynamics (der Bradley-Mitbewerber), L3Harris und BAE Systems. Andere, selbst namhafte Rüstungsfirmen treten meist nur als Subunternehmer auf.

Im Vergleich zu diesen Großkonzernen ist Rheinmetall ein Winzling. Loc als Spezialist ist noch mal eine Nummer kleiner. Die Summe der zwei spielt immer noch nicht in der Liga der Großen, aber ein zusätzliches Standbein in den USA könnte Rheinmetall helfen, das Stigma einer Beschaffung aus dem Ausland zu überwinden. Hinter der Bevorzugung amerikanischer Firmen bei der Beschaffung steckt natürlich ein nicht gerade versteckter Protektionismus, ein potentieller Stolperstein für Rheinmetall.

Loc liefert allerdings auch Komponenten wie Kupplungen und Ketten an Hersteller landwirtschaftlicher und anderer Maschinen wie John Deere oder CNH. Ob diese zivilen Komponenten sich gut zusammen mit Militärtechnik managen lassen, wird Rheinmetall beweisen müssen. Erfahrungsgemäß leiden Geschäftsbereiche, die nicht zum Kerngeschäft zählen und in denen sich das Management nicht gut auskennt. Wenn die Chefs 6.500 Kilometer und mindestens elf Flugstunden entfernt auf einem anderen Kontinent sitzen, ist das Problem noch eine Nummer größer. Es wäre keine Überraschung, wenn in ein paar Jahren die zivile Sparte abgestoßen würde.

Während Rheinmetall auf die klassische Methode, also durch Wettbewerb um Aufträge, wachsen will, hat man in Berlin andere Vorstellungen von der Rüstungsindustrie. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck träumt von einer Industriepolitik für die Rüstungsindustrie. Das erinnert an den Vorschlag seines CDU-Vorgängers Peter Altmaier von 2019, der mit einer „Industriestrategie 2030“ Staatsbeteiligungen an Unternehmen ins Gespräch brachte. Eine Rechtfertigung kann Habeck für seine Träume auch vorweisen: Am Sensoren- und Radarhersteller Hensoldt erwarb der Bund unter Kanzlerin Merkel 25 Prozent der Anteile, der Wert hat sich mehr als verdreifacht.

Doch da hat der Bund einfach nur Glück gehabt, Putins Krieg ist der wesentliche Faktor dieses Erfolgs. Eine andere Investition, fast zeitgleich, erwies sich als Flop. Kurz vor dem Ausbruch von Corona investierte Altmaier 300 Millionen Euro in CureVac. Dann waren Impfstoffhersteller in aller Munde, zeitweise stieg der Wert der Investition auf 1,5 Milliarden Euro, die Industriestrategie des Bundes sah wie ein Wunderwerk aus. Doch der Impfstoff erwies sich als wirkungslos und inzwischen ist der Anteil des Bundes nur noch rund 100 Millionen Euro wert. Eine Fehlinvestition, besonders wenn man bedenkt, daß der Dax im gleichen Zeitraum eine Gesamtrendite von über 30 Prozent hatte.

Es ist naheliegend, daß Hensoldts Bewertung ähnlich schwächeln würde, sollte die Konfliktlage sich verbessern. Die Episode zeigt das grundlegende Problem einer Industriepolitik: Die Politik favorisiert Projekte, die gerade die Schlagzeilen beherrschen. Und was gerade aktuell ist, hat meist überzogene Bewertungen, wie derzeit KI und Rüstungsaktien. Diese bei Anlegern ohnehin schon beliebten Sektoren werden durch zusätzliches Kapital nur noch teurer. Man sollte das Investieren doch besser dem Risikokapital überlassen – und auch dort ist nur das obere Viertel wirklich eine Anlage wert. Daß der Staat so gut ist wie die Profis aus dem Silicon Valley, ist eine Selbstüberschätzung.

Im Staatseigentum zum Objekt von Dauersubventionen werden?

Richtig losgehen soll es mit der neuen staatlichen Industriepolitik durch den Einstieg des Bunds, über die KfW, bei der Werft ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), die der ThyssenKrupp-Konzern gern loswerden möchte. Eine Fragmentierung der europäischen Werftenbranche und das grundlegende Problem unregelmäßiger Bestellungen wären gute Gründe für ihre Konsolidierung, doch offenbar will die Bundesregierung TKMS nicht an französische oder italienische Käufer übergehen lassen.

Als Ausrede für klassischen Protektionismus führt die Bundesregierung nationale Sicherheitsinteressen an. Die in der Rüstungsbranche erfahrene amerikanische Private-Equity-Gruppe Carlyle soll nun zusammen mit der KfW einsteigen. Damit wird die Schwäche der Fragmentierung natürlich nicht gelöst. Es steigt vielmehr das Risiko, daß die Werft im Staatseigentum mangels kritischer Masse zum Objekt von Dauersubventionen wird, insbesondere falls sich Franzosen und Italiener zusammentun. Noch besteht Hoffnung: Als Alternative zum Verkauf an das Konsortium erwägt ThyssenKrupp eine Abspaltung.

Die Schizophrenie einer Industriepolitik wird somit klar: Auf der einen Seite versucht Rheinmetall den amerikanischen Protektionismus durch einen Einstieg bei Loc zu durchbrechen, auf der anderen Seite baut die Bundesregierung neue Barrieren gegen französische und italienische Werften auf.



 www.thyssenkrupp-marinesystems.com
locperformance.com/military-track-systems 
ir.rheinmetall.com/de