Die Baywa galt als „deutsches Wunderkind“, bis sich herausstellte, daß sich die Firmenspitze mit Milliardenkrediten übernommen hat. Am 12. Juli hatte sich der Agrarkonzern zum Sanierungsfall erklärt. Der Aktienkurs hat sich seit August 2022 halbiert. Voriges Jahr feierte der Münchner Mischkonzern sein hundertjähriges Jubiläum mit einem Rekordgewinn, rauschenden Partys und Politprominenz. Nun lastet ein Schuldenberg von 5,8 Milliarden Euro auf dem mehrheitlich in genossenschaftlichem Besitz befindlichen Traditionsunternehmen, darüber hinaus ist das Tagesgeschäft defizitär.
In Neuseeland eine Apfelplantage, in Holland ein Getreidehandel
Neben den gestiegenen Zinsen leidet die Baywa unter schwächeren Ernten, dem Preisverfall bei den Solarmodulen und einer schwachen Baukonjunktur. Der Vorstand hatte vergeblich versucht gegenzusteuern. 24.000 Mitarbeiter hat die Baywa, davon 8.000 in Bayern. Die sind auf Krawall gebürstet, denn die Baywa zahlte über Jahre großzügig nach Haustarif. Doch inzwischen würden die Lohnsteigerungen nicht einmal mehr die Inflation ausgleichen, klagt die Gewerkschaft Verdi. Nun kommt die Unsicherheit über die Firmenzukunft dazu.
Die Baywa ist zudem nicht nur Lieferant von Saatgut, Dünger und Landmaschinen, sondern auch Direktabnehmer für viele Landwirte. Von denen wiederum sind einige Kleinaktionäre des Konzerns. Experten sagen, daß eine Insolvenz mit einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen und einer Gefahr für den Gesamtkonzern aus diesem Grund quasi undenkbar sei. Deshalb gab es rechtzeitig eine üppige Finanzspritze.
Mehrere Banken stellten einen Überbrückungskredit über 272 Millionen Euro bereit und verzichten außerdem darauf, fällige Kredite zurückzufordern. Zusätzliches Geld kommt von den Großaktionären, der Bayerischen Raiffeisen Beteiligungs-AG und der österreichischen Raiffeisen Agrar Invest, die zusammen 62 Prozent der Firmenanteile halten. Knapp 550 Millionen Euro beträgt die Soforthilfe – aber die Kreditvereinbarungen gelten zunächst nur bis Ende September. „Die Baywa der Zukunft wird robuster. Der Vorstand geht aufgrund der konstruktiven Gespräche davon aus, daß im Herbst ein Konzept für eine nachhaltige Sanierung sowie eine Neuregelung der Finanzierung erreicht werden kann“, verspricht Baywa-Chef Markus Pöllinger.
Viele machen dessen Vorgänger, Klaus Josef Lutz, der 2008 vom Süddeutschen Verlag kam und an die Baywa-Spitze aufstieg, für die Misere verantwortlich. Mit seinem schuldenfinanzierten Expansionskurs sei er für die aktuelle Lage verantwortlich. Nach seinem Ausscheiden 2023 war Lutz noch bis Januar 2024 im Aufsichtsrat tätig, überwarf sich aber mit seinem Nachfolger. Das Tischtuch zwischen den beiden Managern ist zerschnitten. Der 66jährige frühere Baywa-Boß ist nach wie vor Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags und gilt als versierter Strippenzieher im Freistaat.
Solche Befindlichkeiten sind ungeeignet, Vertrauen zu schaffen. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) rief die Anleger dazu auf, ihre Interessen zu bündeln. Die Situation sei deutlich kritischer als bisher angenommen. „Ich bin vollkommen überrascht. Ich kann es überhaupt nicht verstehen, was sich jetzt innerhalb der kurzen Zeit so geändert hat, daß die Aussagen, die man auf der Hauptversammlung gemacht hat, auf einmal nicht mehr gültig sind. Daß die Zinsen hoch bleiben, das hätte man eigentlich wissen müssen. Und daß die Schuldenlast drückt, das wußte auch jeder“, sagte DSW-Vizepräsidentin Daniela Bergdolt.
Vor einem Jahr beim großen Jubiläum schien die Welt noch in Ordnung. CSU-Ministerpräsident Markus Söder lobte, die Baywa habe „einen Platz in der Welt, ist aber ein zutiefst bayerisches Unternehmen geblieben“. Daran zweifeln immer mehr Branchenkenner: Man habe die Bodenhaftung verloren. Der Spiegel schrieb von „bizarren Machtkämpfen“ und einem „selbstgewissen Firmenchef“. Lutz wollte aus dem biederen bayerischen Folklore-Konzern einen internationalen Mitspieler machen und groß ins Energiegeschäft einsteigen. Seit einigen Jahren handelt man mit Photovoltaikmodulen und managt den Bau von Solar- und Windparks. Im 18.500 Kilometer entfernten Neuseeland leistete man sich eine Apfelplantage, in den Niederlanden einen Getreidehandel – das alles auf Pump.
So wuchsen die Kredite und Zinsen. Lutz verwies noch im vergangenen Jahr darauf, daß die Baywa einen größeren Umsatz mache als der Sportartikelhersteller Adidas, ebenfalls ein Lieblingskind der Bayernpolitik. Allerdings war da die Eigenkapitalquote schon von 33 auf 12 Prozent geschrumpft. Mit billigem Geld habe Lutz den Konzern auf einen Expansionskurs getrimmt, der sich nun in Zeiten gestiegener Zinsen als Fluch erweist, zitiert der Spiegel einen Firmenkenner. Als besonders verlustreich erwies sich der Einstieg ins Solargeschäft. Nun soll die Sparte irgendwie abgestoßen werden. Die Firmenrettung dürfte teuer werden, aber der bayerische Steuerzahler wird es richten.
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