© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/24 / 23. August 2024

„Humor ist eine ernste Sache“
Gedenkblatt: Eine Erinnerung an den vor hundert Jahren geborenen großartigen Satiriker Ephraim Kishon
Regina Bärthel

Da reißt der aus der Irrenanstalt entfleuchte Bauarbeiter Blaumilch mit seinem Preßlufthammer die Straßen Tel Avivs auf und verursacht ein heilloses Verkehrschaos – bis er einen Kanal zum Mittelmeer durchgestoßen hat. Die Behörden sind handlungsunfähig bis korrupt – außer einem, doch der endet als Querulant im Irrenhaus. Ein Kunstkritiker mißachtet altmeisterliche Malerei, erkennt aber in einem aus praktischer Not geborenen Turmbau aus Haushaltsgegenständen ein wahres Kunstobjekt. Auch die Meinungslenkung mit Hilfe der Medien ist keine neue Erfindung: „Mein Kamm“ ist eine Persiflage auf den Nationalsozialismus, karikiert aber zugleich die Mechanismen der Ausgrenzung jedweder Minderheiten.

Mit seinen Satiren schuf der Schriftsteller und Humorist Ephraim Kishon einen lebendigen Kosmos, der in seiner Übersteigerung den Alltag zur Kenntlichkeit entstellt. Nicht nur den in Israel: Wer kennt sie nicht, die höchst eigensinnigen, ihre Nutzer an den Abgrund der Verzweiflung bringenden technischen Geräte? Die auch intimste Grenzen überwindenden Nachbarn oder die altklugen, nervtötenden und liebenswerten Kinder? Auch wenn „die beste Ehefrau von allen“ nur in der deutschsprachigen Übersetzung existiert – im hebräischen Originaltext spricht Kishon von seiner „kleinen Frau“ –, leistet das ihrer Lebensechtheit keinen Abbruch.

Der Jude gelte dem Fremden, aber auch sich selbst als komische Figur, schrieb Sigmund Freud in „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ (1905). Wenn Juden ihre Fehler thematisierten, schaffe „der Anteil der eigenen Person an dem zu Tadelnden die sonst schwierig herzustellende subjektive Bedingung der Witzarbeit“. Das nennt man dann wohl Selbstironie – und von genau dieser leben Kishons Geschichten. Er selbst sei laut seinem Sohn Rafi ein ernsthafter Mensch gewesen. Am 23. August wäre Ephraim Kishon hundert Jahre alt geworden.

Selbst für jene bewegte Zeit hatte Kishon ein bewegtes Leben: Ferenc Hoffmann, 1924 als Sohn einer ungarisch-jüdischen Bankiersfamilie in Budapest geboren, machte eine Lehre als Goldschmied – ein Studium war ihm aufgrund der Rassengesetze verboten. Mit zwanzig wurde er von den Nationalsozialisten in ein Arbeitslager deportiert. Er konnte fliehen – wurde dann jedoch 1945 von den Sowjets aus Willkür in einen Gulag transportiert. Dem entkam er ebenfalls. 

Inzwischen war ein Großteil seiner Familie in Auschwitz ermordet worden, seine Eltern und seine Schwester aber hatten überlebt. In der Nachkriegszeit studierte er – nun unter dem ungarisierten Namen Ferenc Kishont – Kunstgeschichte und Metallbildhauerei und wanderte 1949 mit seiner Frau nach Israel aus. Hier machte ein israelischer Beamter kurzen Prozeß mit seinem Namen: „Ferenc? Gibt’s hier nicht.“ Ephraim Kishon war geboren – und verstand dies auch als Beginn eines neuen Daseins.

Folgerichtig änderte er seine Sprache: Seit 1952 schrieb Kishon unter dem Pseudonym Chad Gadja („Das Lämmchen“) für die große israelische Tageszeitung Ma’ariv. Und zwar auf Hebräisch, das er sich in Windeseile angeeignet hatte und das fortan seine Schreibsprache blieb. Neben Glossen und Satiren entstanden erste Theaterstücke; zehn Jahre nach seiner Ankunft in Israel feierte Kishon mit der Satiresammlung „Drehn Sie sich um, Frau Lot!“ seinen ersten internationalen Erfolg.

Seit das Buch 1961 in der Übersetzung von Friedrich Torberg erstmals auf deutsch erschien, wurde dessen Autor zum beliebtesten Humoristen in der Bundesrepublik; von rund 50 Millionen verkauften Büchern weltweit waren es allein in Deutschland bis heute etwa 32 Millionen. Kishon selbst empfand diesen Erfolg als „die wahre Ironie der Geschichte“. Den Gedanken an eine kollektive, ja vererbbare Schuld der Deutschen lehnte er allerdings ab.

Der Grund seiner Beliebtheit wurde immer wieder hinterfragt: Galt den Deutschen der Kauf eines Kishon-Buches als eine Art Ablaßhandel? Versuchten sie, durch die Lektüre ihre Unbescholtenheit in puncto Antisemitismus zu beweisen? Wahrscheinlich aber sahen sie in Kishons Büchern, die so voll der „heiteren Gelassenheit und schmunzelnder Selbstironie“ (Torberg) waren, nicht zuletzt einen Versuch der Normalisierung der deutsch-jüdischen Verhältnisse. Kishons „jüdischer Witz“, mit dem er den Irrsinn des ganz normalen israelischen Alltags, der Bürokratie sowie typische Charaktere schilderte, wirkte wie eine Brücke zu einem neuen Verständnis. Seine Figuren luden – nach allem Grauen des Verrats an jüdischen Nachbarn und dessen Folgen – zur Wiederannäherung, ja Identifikation ein: Siehe da, auch in Israel kämpfte man gegen ähnliche Tücken des Alltags! Für manchen Leser mochte Kishon auch eine Lücke füllen, die durch den Holocaust in der christlich-jüdischen Tradition Europas gerissen wurde und die nun insbesondere in Deutschland schmerzlich zu Bewußtsein kam. 

Allerdings: Während Kishon nicht nur in Israel als renommierter Autor, Theater- und Filmregisseur gilt – er wurde für den Oscar wie auch für den Literaturnobelpreis nominiert und erhielt 2002 den namhaften Israel-Preis für sein Lebenswerk –, galt er in der Bundesrepublik lange Zeit als Humorist für das Kleinbürgertum. Eine bewußte Deklassierung des Autors? Kishon sah sich als Israeli und war seiner Nation aufs tiefste verbunden. Bis zu seinem Tod, er starb im Januar 2005 im Schweizer Appenzell, ergriff er eindeutig Partei für Israel und gegen einen palästinensischen Staat.

Im Gegensatz zu vielen anderen Bewohnern der westlichen Welt. Ihre Zuneigung zu Israel schwand zusehends, nachdem es 1967 den Sechstagekrieg gegen die arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien für sich entschieden hatte. Nun galt Israel vielen nicht mehr als schützenswerter Hort der Verfolgten, sondern als siegreicher Tyrann – der Opferstatus wurde hingegen auf die Palästinenser übertragen. In seinem Buch „Pardon, wir haben gewonnen“ (1968) erschien nun ein Kishon der ungewohnten Bitterkeit und der galligen Pointen: „Als die Vernichtung (Israels, A.d.V.) nicht ganz programmgemäß ablief, blieben die palästinensischen Araber, wo sie waren. Ihre arabischen Brüder, außerstande, den Jammer der Flüchtlinge mitanzusehen, siedelten sie in Konzentrationslagern nahe der israelischen Grenze an, ließen sie von der UNRRA erhalten und lehrten sie schöne, melodische Haß- und Rachegesänge, um sie auf die Rückeroberung Palästinas vorzubereiten. Es versteht sich von selbst, daß dadurch die Friedens-aussichten gefördert werden.“

Auch grenzte sich Kishon stets ab von der politischen und intellektuellen Linken, die er als „zentralen inneren Feind Israels“ wahrnahm. Möglicherweise war dies das Resultat seiner Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Verfolgung sowie dem kommunistischen Totalitarismus im Ostblock, die Kishon 1990 in seinem autobiographischen Rückblick „Undank ist der Welten Lohn“ thematisierte, einer sarkastischen Abrechnung mit der Ideologie des Marxismus und deren Anhängern in der westlichen Welt. Im Vorwort schreibt er: „Es gibt kein politisches System auf der Erde, in dem die Kluft zwischen Mensch und Mensch so groß ist wie gerade im System der Egalität. Darum ist es auch das heuchlerischste System der Geschichte und auch das unerträglichste.“ 

Da sich die Haltung zur Israelpolitik seit den 1970ern zunehmend in links und pro-palästinensisch einerseits und pro-israelisch und rechts andererseits trennte, mögen Kishon die Weihen der etablierten Kulturkritik auch aufgrund seiner dezidierten politischen Haltung – der Staat Israel war für ihn nicht verhandelbar – verwehrt worden sein: Seine Bücher wurden als „Routine-Satiren von oft mäßiger Qualität“ (Zeit) oder als „veritable Massenproduktion“ (Süddeutsche Zeitung) abgestraft. Auch Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki weigerte sich, Kishon „unter literarischen Aspekten zu beurteilen“. Kishon kommentierte all dies mit grimmigem Humor.

Selbst als er für den Literaturnobelpreis 2001 nominiert wurde, schlug ihm eine „merkliche Kühle“, ja sogar ein „echtes Totschweigen“ aus den literarischen Reihen von Spiegel, Stern, Zeit, FAZ oder dem „Literarischen Quartett“ entgegen, wie er im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 13/01, 23. März 2001) berichtete.  In dem Gespräch führte Kishon aus: „Als ich 1949 aus Ungarn nach Israel geflüchtet war und laut gesagt habe, der Stalinismus sei ein schreckliches System, wurde ich von diesem Moment an boykottiert. Diese Meinung galt als rechts und reaktionär.“ Schon damals lag die Entscheidung zwischen Gut und Böse sowie über das Gelingen „unserer“ Demokratie in den Händen von Medien und Politik: „Der Machtkampf in der Demokratie hat leider niedere Nebenerscheinungen. Wie zum Beispiel den gescheiterten Versuch, Ihre Zeitung zu verbieten oder Ihnen das Konto zu kündigen.“ Ein Damoklesschwert, das weiterhin über allen rechten wie linken Medien schwebt, die nicht der verordneten Meinung folgen – und das bisweilen zuschlägt, unabhängig von Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit.

Kishon bekannte einmal, er habe zwei Kämpfe seines Lebens verloren: gegen die moderne Kunst und gegen den Antisemitismus. Kaum auszumalen, was er zum heutigen Stand der Kunst und der wieder zunehmend antisemitischen – Pardon, anti-israelischen – Welt geäußert hätte. Denn ein gewisser, einige Menschen enervierender Kampfgeist hat ihn zeitlebens nicht verlassen. Darin entsprach er wohl seiner eigenen Definition des jüdischen Charakters: „Die Juden sind ein lästiges Volk. Wenn sie allerdings nicht so lästig wären, dann wären sie vielleicht kein Volk mehr.“

Silja Behre: Ephraim Kishon. Ein Leben für den Humor. Biographie. Langen Müller, München 2024, gebunden, 416 Seiten, 25 Euro