© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/24 / 23. August 2024

Kino: Mit dem vierteiligen Westernepos „Horizon“ versucht Kevin Costner sich selbst zu übertreffen. Übernimmt er sich damit?
Der mit dem Wahnsinn tanzt
Dietmar Mehrens

Er will es noch mal wissen: Kevin Costner, der Mann, der 1990 „mit dem Wolf tanzte“, damit einen kolossalen Erfolg hinlegte und fünf Jahre später mit „Waterworld“ spektakulär baden ging, kehrt mit einer epochalen Western-Saga auf die große Leinwand zurück. Auf vier Teile angelegt und damit gleichsam die Rückkehr des Serienformats von Netflix & Co. auf die große Leinwand, ist das von Costner produzierte (ergo teilfinanzierte), geschriebene, inszenierte und mit ihm in einer der Hauptrollen besetzte Mammutepos „Horizon“. In der Tetralogie entführt der zuletzt in der Netflix-Serie „Yellowstone“ als zu allem entschlossener Patriarch brillierende Kino-Star seine Zuschauer ins New Mexico des Jahres 1861 und erzählt von Ereignissen, die dem Sezessionskrieg vorgelagert sind. 

„This is your chance“ lautet die verführerische Parole, die Siedler in Scharen nach New Mexico lockt, dazu das Wort „Horizon“ in großen, fetten Buchstaben. Sie stehen auf einem in rauhen Mengen gedruckten Flugblatt, das rasend schnell Verbreitung gefunden hat. Und so kommt es zu dem Massaker, mit dem Costner seine monumentale Western-Saga beginnen läßt. Weiße Pioniere haben sich nämlich auf ihrem Zug nach Westen die Gebiete eines Apachenstamms angeeignet. Der setzt sich nun brutal gegen die Eindringlinge zur Wehr. Nur durch viel Glück entkommt Frances Kittredge (Sienna Miller) mit ihrer etwa 13 Jahre alten Tochter Lizzie dem Blutbad. Sie werden fortan im Zentrum eines von mehreren Handlungssträngen stehen.

Authentischer Blick auf die Desperado-Zeit der USA

Einen zweiten bilden die verschlagenen Sykes-Brüder, deren Vater zu Beginn des ersten Teils der Pferde-oper Opfer eines Anschlags wird. Seine Söhne, zu allem entschlossen, nehmen die Verfolgung der Attentäterin auf. Erst als man schon gar nicht mehr mit ihm rechnet, nach knapp einer Stunde, betritt endlich Kevin Costner selbst die Filmbühne. Er spielt Hayes Ellison, einen wortkargen Eigenbrötler, der nach seiner letzten Gelegenheitsarbeit in einem dreckigen Kaff irgendwo in Wyoming Station macht. Hier trifft er auf die verführerische Nymphomanin Mary (Abbey Lee), die mit seiner Hilfe dem Prekariat zu entfliehen hofft. Sie macht sich dermaßen unverhohlen an ihn heran, daß Hayes nicht recht weiß, wie ihm geschieht. Als er auf den gemeingefährlichen Junior der Sykes-Brüder, den leicht irren Caleb Sykes (Jamie Campbell Bower), trifft, der ihn so lange provoziert, bis es zu einem lebensgefährlichen Schußwechsel kommt, befindet er sich auf einmal mittendrin in deren Rachefeldzug. 

Mit großer Meisterschaft wirft Kevin Costner einen authentischen Blick auf die Rauhbein- und Desperado-Zeit der USA, in der noch kein allgegenwärtiger Staat selbst im entlegensten Winkel des Landes die Zügel in der Hand hält, kein Sheriff um die nächste Ecke wohnt, der für Ruhe und Ordnung sorgen kann, und Bürgersteige nicht wie in klassischen Western durch piekfein und rechtwinklig angelegte Westernstädte mit breiten, staubigen Straßen führen, sondern dazu dienen, nicht durch Morast und Abwasser waten zu müssen. So gelingt ihm ein naturalistisches Porträt des Wilden Westens, wobei das Wort „wild“ auf einmal ganz neue Assoziationen weckt. Gleichzeitig hat man den Eindruck, Costner, der dieses Projekt seit über dreißig Jahren mit sich herumträgt und jetzt dank des sagenhaften Erfolgs der Netflix-Serie „Yellowstone“ ein paar Milliönchen übrighatte, habe so etwas wie den Western par excellence schaffen wollen: ein Opus, bei dem klassische Genremotive abgearbeitet und zugleich auf eine neue filmästhetische Ebene gehoben werden.

Geschickt mixt er zu diesem Zweck Hochglanz-Panoramabilder à la John Ford mit der Härte des Italowesterns, ohne diesen wie Quentin Tarantino durch groteske Übersteigerungen zu parodieren.

Die außerordentlich lange Leine des seriellen Erzählens sorgt indes dafür, daß manche Szene, gerade zu Anfang, ziemlich ausgewalzt erscheint, was dem Ganzen aller grundsätzlichen Grandiosität der Inszenierung zum Trotz zuweilen etwas Zähes verleiht, zumal der 69jährige dem Zuschauer wenig Anhaltspunkte dafür gibt, wie er die verschiedenen Stränge am Ende zusammenführen will.

Und so ergibt sich ein wesentlicher Teil der Spannung daraus, wie weit Costner am Ende mit der Saga erstem Teil kommen wird und ob sich die in Anbetracht von drei Stunden Spieldauer eigentlich berechtigte Aussicht erfüllt, mit einer runden Geschichte im Kopf aus dem Kino zu gehen, die auch ohne ihre Fortsetzungen etwas in sich Abgeschlossenes ergibt. Diese Hoffnung erfüllt sich leider nicht. Statt dessen endet der Film in einer furiosen Montagesequenz. Die orchestral unterlegten Häppchen, die er in einem Wahnsinns-Crescendo, das sinnbildlich für das ganze Projekt steht, dem Zuschauer am Ende serviert, vermitteln einen Eindruck davon, was ihn in den kommenden drei Dreistündern erwartet. Das ist dann zwar ein schöner Knalleffekt, aber es kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß man mittendrin förmlich hinauskatapultiert wird aus der Geschichte mit dem extrem weiten Horizont.

Kinostart ist am 22. August 2024

Foto: Kevin Costner (69), hier als Hayes Ellison in seiner neuen Western-Saga, reitet wieder: Ein wortkarger Eigenbrötler