Allein Karl Foersters außergewöhnlich weite Lebensspanne, 1874 geboren im wilhelminischen Kaiserreich, gestorben 1970 als DDR-Bürger, scheint jeden Biographen mit einer Überfülle an Stoff zu locken. Doch ein langes Leben allein verbürgt noch nicht, daß es bedeutsam genug ist, um davon der Nachwelt zu erzählen. Im Falle Foersters ließe sich daran sogar zweifeln, denn Lexika präsentieren ihn zumeist mit dem kargen Eintrag „Pflanzenzüchter und Gartengestalter“, der ihn klar zur Randfigur seiner Epoche stempelt, die wohl eher nicht wie zahllose Politiker, Wirtschaftsführer, Wissenschaftler oder Künstler im Austausch mit den historischen Prozessen stand, die sich zwischen der Reichsgründung von 1871 und dem Elend der deutsch-deutschen Teilung vollzogen.
Bei einem vermeintlich schlichten „Gärtner“ ist auf den ersten Blick also nicht jene Dialektik von Privatem und Öffentlichem, Persönlichem und Sozialem zu erwarten, die dem Individuum kollektive Mentalitäten, Weltbilder und Werthaltungen einprägt. Und die es mitunter so beispielhaft ins Bedeutsam-Allgemeine hebt, daß es zum Spiegel einer Vergangenheit taugt, aus der für die Gegenwart relevante Lehren zu ziehen sind.
Anpassungsfähig in vier verschiedenen Herrschaftssystemen
Bertolt Brechts vielzitierte Gedichtzeilen über „Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist/ Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“ („An die Nachgeborenen“, 1939) erinnert daran, daß die Natur, mitsamt allen Parks und Gärten, kein politikfreier Raum ist. Dementsprechend schlägt Clemens Alexander Wimmer bereits im Titel seiner Foerster-Biographie, „Gärtner der Nation“, die Brücke zwischen Politik und Gartenbaukunst.
Aus üppig sprudelnden Nachlaßquellen schöpfend und zusätzlich die übrige, reiche Archivüberlieferung auswertend rekonstruiert der Berliner Gartenhistoriker Foersters Lebensweg darum konsequent im dichten Geflecht politisch-weltanschaulicher Beziehungen, die dem erstaunlich Anpassungsfähigen in vier verschiedenen Herrschaftssystemen eine kaum jemals gefährdete Karriere als weltweit operierender Staudenzüchter, als Generationen von Gartengestaltern beeinflussender Pionier der Landschaftsarchitektur und als Praeceptor germaniae ermöglichten, der die Deutschen zum „Gartenvolk“ erziehen wollte.
Seinen Beruf als Dienst am Gemeinwesen zu begreifen war im preußisch-bildungsbürgerlichen Herkunftsmilieu, dem Foerster entstammt, selbstverständlich. Auffallend und vom staatsfrommen konservativen Hauptstrom in diesem Umfeld markant abweichend waren hingegen die weltbürgerlich-humanistischen Ideale, von denen sich Karls Vater, der gesellschaftspolitisch engagierte Berliner Astronomie-Professor Wilhelm Foerster (1832–1921), als Epigone Goethes und der Brüder Humboldt leiten ließ. Sie brachten diesen prototypischen „Querdenker“ hervor, der sich gegen Bismarcks Sozialistengesetz stemmte; der dafür agitierte, die Religion aus der Schule zu verbannen und im Unterricht nur wissenschaftlich überprüfbares Wissen zu vermitteln; der die heute noch bestehende Berliner Volkshochschule Urania ins Leben rief, die den Geist der Aufklärung im Bewußtsein der Massen verankern sollte; und der schließlich in den 1890ern den Verein zur Abwehr des Antisemitismus sowie die Gesellschaft für ethische Kultur mitbegründete, die Ethik in eine Religion für Atheisten verwandelte.
In die Fußstapfen seines Vaters tritt Karl
Foersters älterer Bruder Friedrich Wilhelm (1869–1966), dessen Werdegang Wimmers Darstellung zwar stets im Auge behält, den sie als Gegenfigur, die höhere Spannung erzeugen könnte, aber leider zu sparsam einsetzt. Auch der Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster fordert das wilhelminische Establishment permanent heraus, profiliert sich früh als Kritiker deutscher Kolonialpolitik, verbüßt wegen Majestätsbeleidigung eine Festungshaft und muß deswegen als Vorbestrafter zur Habilitation nach Zürich ausweichen. Als unversöhnlicher Gegner des „preußischen Militarismus“ und ewiger Mahner gegen die „Diktatur der nationalen Leidenschaft“ beschwört der Kosmopolit die deutschen Eliten, ihrer Machtstaatspolitik zu entsagen und das Reich „völkerversöhnend“ im europäischen Bundesstaat aufgehen zu lassen. Er bezahlt diese Außenseiterposition 1933 mit Ausbürgerung und Verbannung ins Exil. Karl Foerster sinniert indes erst nach der Katastrophe von 1945 darüber, ob sein Bruder als Repräsentant des „anderen Deutschlands“ nicht doch der politisch klügere Kopf gewesen sei.
Daß er selbst diesen Weg in die intellektuelle Opposition gegen den Zeitgeist nicht wählte, lag paradoxerweise an der Liberalität seines Elternhauses. Sie gestattete es dem Gymnasiasten, die Schule abzubrechen, um eine nicht standesgemäße Gärtnerlehre zu beginnen und sich dann mit familiärer Unterstützung als Staudenzüchter und Versandhändler selbständig zu machen. Der kommerzielle Erfolg seines 1910 vom Berliner Westend nach Potsdam-Bornim verlegten Unternehmens, das er noch um eine für die „oberen Zehntausend“ tätige Firma für Gartengestaltung erweiterte, befriedigte ihn jedoch nicht.
Von der Natur erwartete er die Heilung aller Zivilisationsschäden
Als Publizist und Vortragsredner schon vor 1914 gefragt, etablierte sich Foerster darum nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit seiner Zeitschrift Gartenschönheit und einer Serie von pantheistisch-romantisch aufgeladenen Monographien, vom „Blütengarten der Zukunft“ (1917) bis zum ebenso lyrischen „Garten als Zauberschlüssel“ (1934), als Propagandist der sozialreformerisch orientierten Gartenbewegung.
Ausgerechnet an diesem Punkt offenbart Wimmers chronologisch gegliederte, im Tagebuchstil eine so staunenswerte wie oft verwirrende, aus dem Zettelkasten geschüttete Detailfülle bietende Arbeit ihre größte Schwäche: den Mangel an übergreifenden, in die historische Tiefe führenden Fragestellungen. So wären Foersters Aktivitäten als Missionar der Gartenidee nur im Kontext der auf eine „bessere Moderne“ zielenden, um 1900 das deutsche Bürgertum mobilisierenden Lebensreform-Bewegung einzubetten und verständlich zu machen gewesen, deren Kernbotschaft „Zurück zur Natur“ lautete. Von der Natur erwartete auch der Gartengestalter Foerster die Heilung aller Zivilisationsschäden und die Lösung aller sozialen Probleme. Fände das Leben nicht länger in den Mietskasernen überfüllter Großstädte, sondern in kleinen grünen Gartenstädten statt, so werde der Mensch seelisch regenerieren, würde er befreit aus Entfremdung und Verdinglichung.
Eine Hoffnung, die Foerster auch mit Blick auf die erstaunliche Beliebtheit hegte, der sich Schrebergärten bei Arbeitern und kleinen Angestellten erfreuten. Aus marxistischer Sicht war das keine realistische Alternative zum kapitalistischen Produktionsregime, da der temporäre Rückzug in grüne Refugien lediglich dazu diente, die Arbeitskraft zu erhalten und damit die Funktionstüchtigkeit des Systems zu stabilisieren. Der zu politischem Illusionismus neigende Karl Foerster erkannte dies nicht einmal, als sein enger Freund Gottfried Feder, der antikapitalistische Programmatiker der NSDAP und eifrigste Verfechter der Gartenstadt-Utopie, 1934 sein Amt als Reichskommissar für das Siedlungswesen verlor, weil seine als „wirtschaftsschädlich“ eingestuften rückwärtsgewandten Planungen Deutschland als Industriestandort bedrohten.
Befriedigt Wimmers opulente, vor allem die Legende vom „unpolitischen“ Gärtner zerstörende Biographie den großen Foerster-Hunger, eignet sich ein Begleitband zur noch bis zum 29. September laufenden Potsdamer Foerster-Ausstellung vorzüglich als Appetitanreger. Vor allem weil die mit vielen Farbbildern gespickten Aufsätze präziser als Wimmer beschreiben und veranschaulichen, wie ein vom „großen Revolutionär des Gartengedankens“ geschaffenes Pflanzenreich aussieht.
Clemens Alexander Wimmer: Gärtner der Nation. Die vier Leben des Karl Foerster. Verlag art+science/VDG Weimar, Ilmtal 2024, gebunden, 512 Seiten, Abbildungen, 34 Euro
Thomas Steller/Heidi Howcraft (Hg.): Karl Foerster. Neue Wege – Neue Gärten. Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Bonn 2024, 192 Seiten, Abbildungen, 24,80 Euro
Fotos: Karl Foerster (1874–1970) in seinem Garten am 28. September 1967: Zurück zur Natur, Karl-Foerster-Senkgarten in Potsdam-Bornim: „Es wird durchgeblüht“