Wenn der Ausdruck „Babyface“ passend und irreführend zugleich ist, dann trifft er auf ihn zu: auf einen kleinen, stämmigen, rundlichen Mann, unscheinbar in jeder Hinsicht. Keine Skandale, 52 Jahre lang mit der Tochter eines Geistlichen verheiratet, vier Kinder und Vorstand einer Musterfamilie. Auf den ersten Blick eine unauffällige Durchschnittserscheinung. Bis man ihm ins Gesicht sah. Sein hervorstechendes Merkmal war nicht das militärisch kurzgeschnittene Haupthaar und nicht die enganliegenden, fast mit dem Kiefer verschmelzenden Ohren. Es war die seltsam gelbliche Hautfarbe seines Gesichts, die ihm mit den mandelförmigen Augen ein orientalisches Gepräge verlieh. Seine zahlreichen Feinde setzten das Gerücht in die Welt, er sei ein halber Malaie oder der Sohn einer singhalesischen Prinzessin. Unaufhörlich bezichtigten sie ihn „orientalischer Verschlagenheit und Falschheit“. Der deutsche Militärattaché in London nannte ihn einen „skrupellosen Halbasiaten“. Tatsächlich war John Arbutnot Fisher 1841 als ältestes von elf Kindern in Ceylon geboren worden und litt ab seinem 40. Lebensjahr schwer an Ruhr und Malaria, was ihn fast zu Tode gebracht hatte.
Hinter der hausbackenen Erscheinung verbarg sich freilich ein Mensch, dessen Wirken und Tatkraft dem eines Orkans gleichkamen. Er war der Typ, der sich auf den zu seiner Zeit gerade neu erfundenen Rolltreppen nie brav in die Reihe stellte. Er rempelte immer nach oben und drängte andere rüde zur Seite, immer sprühend vor Ideen, immer vorwärtsgetrieben von nie versiegender Energie.
Die Minister im Kabinett zitterten vor ihm. Bei seinen Untergebenen und Mitarbeitern war er gefürchtet, weil er sich in dem riesigen Apparat der Navy, dem er seit 1904 vorstand, um alles und jedes kümmerte. Und bei den Gegnern seines Landes verbreitete er Haß und Wut, Schrecken und Furcht. Überall galt er als blutrünstiger Kriegstreiber. In Berlin wurde kolportiert, Fisher habe dem König vorgeschlagen, nach dem Vorbild Lord Nelsons, der fast hundert Jahren zuvor mitten im Frieden die dänische Flotte im Hafen von Kopenhagen zerstört hatte, auch die deutsche Flotte zu „copenhagen“. Ein übriges taten markige Sätze wie: „Wenn ein Krieg kommt, dann müssen wir bereit sein, zuerst zuzuschlagen, hart zuzuschlagen und immer wieder zuzuschlagen“.
Sechzig Jahre lang, vom Krimkrieg bis zum Ersten Weltkrieg, revolutionierte er mit seiner Besessenheit, seiner Rücksichtslosigkeit und der felsenfesten Gewißheit, daß er es besser wisse als jeder andere, die maritime Waffengattung, die seinem Land Sicherheit und Aufstieg verschafft hatte. Das Schießen über weite Entfernungen, die größere Treffsicherheit, die raschere Schußfolge, die Ersetzung von Kolbenmaschinen durch Dampfturbinen, die Einführung der Ölfeuerung statt der Kohlefeuerung – all das ging auf ihn zurück. Und weil er sich des von Kornkäfern zerfressenen Zwiebacks aus seiner Jugendzeit erinnerte, sorgte er dafür, daß täglich in den neu installierten Öfen auf den Schiffen frisches Brot gebacken wurde.
Auch für das erste sogenannte „All-Big-Gun Ship“, die „HMS Dreadnought“, gab er den Startschuß. Seit der Jahrhundertwende hatte dieses Wunderwerk, das alle bisherigen Schlachtschiffe in den Schatten stellte, auf den Reißbrettern der Konstrukteure Gestalt angenommen. Fisher war es, der die Produktion des Prototyps, der im Dezember 1906 in Portsmouth vom Stapel lief, durchboxte, obschon der Bau fast zweieinhalbmal so viel kostete wie ein herkömmliches Schlachtschiff. Denn das Schiff mit der wörtlichen Übersetzung „Fürchtenichts“ übertraf alles, was bis dahin zur See fuhr. Mit seinen zehn Kanonen eines Kalibers von 30,5 Zentimetern, zwei Dutzend Schnellfeuergeschützen mit 7,6 Zentimetern und fünf Torpedorohre sorgte es dafür, daß Linienschiffe herkömmlicher Bauweise schnell aus den Bauprogrammen aller Seemächte verschwanden.
Dabei war sein Motiv nicht etwa die Bedrohung durch die Tirpitzsche Risikoflotte des Deutschen Reiches. Er wollte die Royal Navy an die Spitze der technologischen Entwicklung katapultieren. „Wir“, so Fisher, sind „viermal stärker als die Kriegsmarine“. Aber es ist nicht opportun, „dies in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen“, weil man dann mit dem Unterhaus wegen der Geldbewilligung über Kreuz gerate. Man solle vielmehr die künstlich erzeugte Invasionshysterie, befeuert von einer riesigen Welle von populären Romanen, weiter anheizen und das Gespenst des „German bogey“ am Leben halten, um weitere Gelder für die Serienproduktion der „Dreadnought“ lockerzumachen.
Fishers Aufstieg an die Spitze zum Ersten Seelord und sein herkulisches Wirken waren um so erstaunlicher, als er alles nur seinem eisernen Willen und seinem grenzenlosen Selbstbewußtsein verdankte. Keine aristokratische Herkunft, keine akademische Bildung, kein Reichtum und keine Protektion. „Ich mußte kämpfen wie der Teufel, und das hat mich zu dem gemacht, was ich bin“, so bekannte er. Dabei war er ein überaus religiöser Mensch. Der Besuch der heiligen Messe an den Sonntagen war ein festes Ritual. Es kam vor, daß er bis zu vier Predigten hintereinander hörte, so daß ihn der Dekan seines Kirchensprengels vor „geistlichen Verdauungsstörungen“ warnte. Sport trieb er übrigens nie. Nur eine manische Leidenschaft für das Tanzen hatte ihn schon als junger Mann erfaßt.
Sein Hauptbestreben galt freilich der Kriegsvorbereitung. Mehr und mehr war er von der quälenden Vorstellung erfüllt, „daß der Kaiser auf den Knopf drücken“ und, nach Fertigstellung des Nord-Ostsee-Kanals im Juli 1914, „die gesamte Kraft des Empire mit einem Schlage, unwiderstehlich und ohne die geringste Warnung zu Boden schleudern könne“. Er war sich sicher, daß die Deutschen dafür ein Wochenende wählen würden, womöglich eines mit einem Bankfeiertag, also einem arbeitsfreien Montag.
Und damit sollte er recht behalten. Der Erste Weltkrieg begann tatsächlich an einem Wochenende mit einem Bankfeiertag, wenn auch nicht im Juli, sondern am 1. August.
Prof. Dr. Rainer F. Schmidt lehrte Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Würzburg.