© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/24 / 23. August 2024

Sommer der grünen Gören
Medien und sogar Wahlkampfteams feiern den „Brat Girl Summer“: Aber was ist, wenn einige Mädchen wirklich frech werden?
Ludger Bisping

So wie das Krokodil im Badesee oder das Clan-Löwen-Wildschwein im Kornfeld taucht jeden Sommer garantiert ein neuer Trend auf. 2024 ist es ein Mix aus Schlampenlook und Punk-Geste mit pseudopolitischer Aufladung – und sogar Angela Merkel ist Teil davon, wenn man Qualitätsjournalisten glaubt. Also volle Deckung, die (sozialen) Medien haben einen neuen Hype ausgerufen – den „Brat Girl Summer“. „Brat“ heißt etwa „Göre“ oder „Rotzbalg“, und das Ganze bedeutet, junge Frauen sollen sich mit einer „Mir doch egal, ich mach und zieh an, was ich will“-Attitüde exponieren.

Wo das Abschminken vor dem Schlafengehen schon als „Perfektionsdruck“ empfunden und das Tragen von zerschlissenen Schlabberklamotten als Krone der Selbstverwirklichung gefeiert wird, und wo etwas Selbstdisziplin beim Essen einfach nur unerträglich „spießig“ ist, da fällt so ein Trend auf günstigen Nährboden wie die Bakterien in die Petrischale. Insofern paßt die Modeerscheinung perfekt zu unserer infantilisierten Gesellschaft.

Aus dem Individualismus wurde fix einträglicher Konformismus

Der Rummel geht auf die Popsängerin „Charli XCX“ (Charlotte Emma Aitchison) zurück. Die 32jährige Britin erklärte der BBC in einem Interview ihren Lebensstil: Schlampig oder exaltiert herumlaufen, „manchmal dumme Sachen sagen und chaotisch sein“, aber vor allem „Party machen“.

Dieses im Grunde gegenstandslose Geschwätz wurde in den Online-Portalen vervielfältigt, vulgo „es trendete“. Das blieb Redakteurinnen von Mode- und Lifestyle-Magazinen nicht verborgen und diese luden die punkig-pubertäre Ansage ganz entzückt mit feministischer Intention auf. Plötzlich ging es statt um einen Laissez-faire-Partysommer um „Rollenbilder“, aus denen Frauen gefälligst auszubrechen haben, und um eine demonstrative Gegenkampagne zu traditionellen oder gesundheitsbewußten Influencerinnen.

Schließlich wurde der Trend politisiert: Deutschlandfunk Nova erklärte umgehend auch Kamala Harris zum „brat girl“ und sogar – festhalten! – Angela Merkel! Daß Harris als Postergirl der deutschen Mainstreammedien dieser Segen zuteil wird, ist zwangsläufig, aber staunen Sie, was die ehemalige Abriß-Kanzlerin zur Super-Göre qualifiziert: „Wegen ihres Stils bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen 2022: Sie trug dort ein leuchtend grünes Outfit.“ Quietschgrün wurde in Anlehnung an das Albumcover von Charli XCX zur Modefarbe der Bewegung erhoben – welch ein Zufall, ausgerechnet Grün.

Das Problem: Wenn Individualismus von Medienhäusern ausgerufen wird und alle Individualisten demselben Modetrend folgen, wird halt wieder Konformismus daraus. Das bewahrheitete sich, als sich einige junge Musikerinnen ganz frech – also eigentlich „brattig“ – so gar nicht dem verordneten „Rollenbild“-Bruch anschließen wollten. Charts-Erfolge von Shirin David oder Katy Perry mit Songs über sportliche schlanke Figuren und die Ausschau nach reichen Männern lösten Empörung aus. „Wo ist bloß die Emanzipation geblieben?“ schüttelte die FAZ den Kopf und sieht schon einen „Sommer des Rückschritts“ aufziehen. Die deutsche Influencer-Rapperin Shirin David kassierte in den sozialen Medien zudem einen „Shitstorm“ für ihre Zeilen „Geh ins Gymmy, werde skinny, mach daraus eine Show. Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po.“

Inzwischen wurde der Brat-Hype bei diversen CSD-Paraden groß gefeiert und ein Hersteller veganer Fleischersatzprodukte vermarktet eine „Brat-Wurst“ in neongrünem Design. Selbst die drögen Sozis vom DGB wollen plötzlich trendige Brats sein: „Betriebsräte sind ebenfalls brat! Warum? Weil sie den Mut haben, für die Rechte und das Wohl der Arbeitnehmer einzustehen“, heißt es bei den Genossen.

Und das Wahlkampfteam von Kamala Harris hat den Hype sofort für eine Social-Media-Kampagne adaptiert, um der „Generation Z“ zu zeigen, wie locker und fresh die 59jährige Green-New- Deal-Aktivistin drauf ist. Und längst bieten trendige Clubs und Discos eigene „Brat“-Partys mit dem vermeintlich dazugehörenden Soundtrack an.

Wem dieses ganze „Brat“-Gedöns auf den Keks geht, dem sei die alte Punk-Hymne der Ramones empfohlen: „Beat on the brat with a baseball bat!“ Natürlich nur im übertragenen Sinne.