© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/24 / 30. August 2024

„Unser Ziel, eine eigene Mehrheit“
Interview: In Sachsen setzt AfD-Chef Jörg Urban auf eine gewagte Strategie: Regieren durch Direktmandate in einem Drei-Parteien-Landtag
Moritz Schwarz

Herr Urban, holen Sie am Sonntag den Regierungsauftrag?

Jörg Urban: Wir versuchen es, denn wir müssen in die Regierungsverantwortung, um die Politik zu verändern! 

Werden Sie stärkste Kraft, fällt Ihnen der Regierungsauftrag zu. Wie aber wollen Sie den alleine umsetzen?

Urban: Warten wir doch ab, wie die Parteienlandschaft nach Sonntag abend aussieht – beziehungsweise was davon noch übrig ist. 

Soll heißen, Sie gehen davon aus, daß außer FDP und Linken auch SPD und Grüne an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern?

Urban: Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, da laut jüngster Umfrage die SPD nur sechs, die Grünen fünf Prozent haben und vom Wähler für die desaströse Ampel-Politik – denken Sie aktuell nur an Solingen – in die Verantwortung genommen werden. 

Gerade die Gefahr des Ausscheidens könnte Wähler mobilisieren, beide doch noch über die fünf Prozent zu heben. Aber selbst wenn nicht, wäre Ihr Problem, keinen Partner zu haben, im dann entstehenden Drei-Parteien-Landtag aus AfD, CDU, BSW doch das gleiche. 

Urban: Deshalb muß unser Ziel sein, eine eigene Mehrheit zu erreichen! 

Sie liegen laut Forschungsgruppe Wahlen bei 30, die CDU bei 33 Prozent: Wie soll das funktionieren? 

Urban: Das Institut Insa sieht die CDU bei 30, uns bei 32 Prozent, und wir wollen im Endspurt natürlich noch zulegen! Zudem ist es im Bereich des Möglichen, die Hälfte der Direktmandate zu erringen, sprich: So weit weg von der absoluten Mehrheit sind wir nicht. Entscheidend wird sein, ob SPD, Grüne und Linke an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wir leben in Zeiten eines rasanten Umbruchs, und da sollte man sich hohe Ziele setzen.

Falls Ihr gewagter Plan nicht aufgeht: Halten Sie es für möglich, der CDU das BSW doch noch abspenstig zu machen, um zu regieren? 

Urban: Das BSW ist eine Wundertüte, keiner weiß, was da noch zum Vorschein kommt: Das Programm ist dünn, das wenige Personal widerspricht sich; etwa will Frau Wagenknecht illegale Migration beenden, Frau Mohamed Ali dagegen die Grenzen offenhalten. 

Beide haben eine Koalition mit Ihnen ausgeschlossen, gerechnet wird daher mit einer CDU-BSW-Regierung. Würde die der AfD nicht künftig das Wasser abgraben?

Urban: Im Gegenteil, wenn das BSW den Steigbügelhalter der Union macht, geht es mit der Altparteienpolitik und dem Niedergang unseres Landes weiter wie bisher.

Warum sollte das BSW nicht Akzente setzen können?

Urban: Weil es nicht nur der kleinere, sondern auch der strukturell schwächere Partner ist: vielfach ist es als Partei noch gar nicht richtig existent und kann so der in Jahrzehnten gewachsenen CDU nicht genug entgegensetzen. Ein Beispiel: Bei einem Wahlkampfforum saß mir unlängst ein BSW-Direktkandidat gegenüber, der auf Nachfrage aus dem Publikum nicht einmal in der Lage war, zum eigenen Parteiprogramm Stellung zu nehmen. 

Wenn Ministerpräsident Michael Kretschmer schlau ist, sorgt er selbst für die Akzente und rechtfertigt sie gegenüber der Bundes-CDU als unumgänglich für die Koalition. So könnte er sich von der Mutterpartei absetzen, die sich bei einer schwarz-grünen Koalition 2025 vermutlich erneut unbeliebt machen wird.

Urban: Ich glaube, da überschätzen Sie Herrn Kretschmer aber gründlich. Tatsächlich steht gerade er für eine grüne CDU.

Noch ...

Urban: Er hat den Atomausstieg mit beschlossen, ebenso wie den Kohleausstieg. Er stellt Windräder in unsere Wälder. Er hat die Grenzöffnung Frau Merkels mitgetragen und mitgeklatscht, als ihr die Partei dafür elf Minuten lang applaudierte. Er ist einer der Hauptträger grünschwarzer Politik und müßte, wollte er für neue Akzente sorgen, diese vornehmlich gegen sich selbst setzen.  

Das könnte er von Herrn Söder lernen. Doch wenn Sie recht behalten, wäre es ja nur gut für Ihre Partei ... 

Urban: ... aber schlecht für das Land – und darum muß es doch gehen!  

„Das Land“ oder besser gesagt die sächsischen Wähler sehen laut Umfrage als Hauptproblem die Einwanderung. Was würde eine AfD-Regierung gegen diese tun?

Urban: Zum Beispiel konsequenter abschieben, denn wir haben den politischen Willen dazu und würden die dazu nötigen Strukturen verbessern sowie Beziehungen zu den Herkunftländern aufbauen. Oder das Sachleistungsprinzip einführen, denn erhalten Asylbewerber kein Bares, macht das Sachsen unattraktiv für Einwanderer ins Sozialsystem.

Was deren Zahl allerdings nicht vermindern, sondern nur in andere Bundesländer verlagern würde. 

Urban: Vielleicht würde das ja ein Aufwachen in diesen Ländern und einen Dominoeffekt auslösen.

Laut „Spiegel“ wollen Sie Sachsen zum „flüchtlingsfeindlichen Bundesland“ machen. Stimmt das? 

Urban: Falsch! Richtig ist, wir wollen Sachsen zum unattraktivsten Land für jene machen, die nur wegen Sozialleistungen kommen, also gar keine Flüchtlinge sind. Dagegen soll Sachsen für hochqualifizierte Fachkräfte, die wir brauchen, attraktiver werden: Also Fachkräfte wie die, vor allem aus Tschechien und Polen, die bereits hier sind und einen wertvollen Beitrag für unsere mittelständischen Betriebe, besonders in den ländlichen Regionen, leisten. Und Sachsen für Sozialflüchtlinge unattraktiver zu machen wird ja gerade dazu beitragen, daß es für Facharbeiter attraktiver wird! Darüber darf aber nicht das Ziel vergessen werden, vor allem Fachkräfte selbst auszubilden. Deshalb müssen wir uns intensiv um die Bildung kümmern! Dazu braucht es die AfD, weil sich unter der CDU der Unterrichtsausfall verdoppelt hat und die naturwissenschaftlichen Fächer vernachlässigt werden.

Wie gesagt, sehen die Umfragen Sie bei 30 bis 32 Prozent. Wieviel aber werden es Sonntag tatsächlich sein?

Urban: Von solchen Prognosen halte ich nichts. Für uns gilt, bis zur letzten Minute zu kämpfen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen – über das der Wähler entscheidet. 



Jörg Urban ist Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen. Geboren wurde der Wasserbauingenieur, der als Projektmanager im Natur- und Landschaftsschutz tätig war, 1964 in Meißen. Seit 2014 sitzt er im Landtag, seit 2018 ist er Landeschef der Partei.

 www.joerg-urban.de