© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/24 / 30. August 2024

„Ein Wahlsieg, den man nicht mehr ignorieren kann“
Interview: In Thüringen rechnet Björn Höcke nicht nur mit einem „historischen Erfolg“, sondern hofft auf einen Impuls, der ganz Deutschland erfaßt
Moritz Schwarz

Herr Höcke, „Werden diese Landtagswahlen die Republik verändern?“, fragt sich etwa der Deutschlandfunk. Werden sie das?

Björn Höcke: Gemäß unserem Wahlkampfmotto „Der Osten machts!“ ist genau das unser Ziel.

Aber warum sollte das passieren?

Höcke: Weil es kein „Weiter so“ geben kann, es dringend grundsätzliche Reformen braucht!

Die Etablierten fürchten, am Sonntag hält der „Faschismus“ Einzug, die AfD hofft, eine friedliche Revolution bricht aus. Werden nicht beide am Montag feststellen: es haben einfach nur Landtagswahlen stattgefunden? 

Höcke: Ich bin jetzt täglich auf der Straße unterwegs und erlebe einen Stimmungswechsel im Land: Das Reden und Fragen der Bürger hat sich verändert, ihre Kritik ist viel grundsätzlicher geworden, ihre Sehnsucht nach einer grundlegenden Wende viel tiefer. 

Thüringen hat zwei, Sachsen und Brandenburg zusammen weitere sechs Millionen Einwohner – viel zu wenig, um Deutschlands Gesamtentwicklung zu prägen.  

Höcke: Die Problemhalden lasten auf dem ganzen Land! Und wenn es erfolgreiche Vorreiter gibt, werden die noch Verzagten und Mutlosen aufmerken: Denn erst kommt der psychologische Impuls, dann die politische Prägung. Zudem: Ich bin immer wieder im Westen unterwegs, und die Entwicklung der AfD ist auch dort positiv. 

Rechnen Sie also nach den vermutlichen AfD-Wahlsiegen am Sonntag in Sachsen und Thüringen wieder mit Lichterketten von Wladiwostok bis Lissabon – oder wird sich die Empörung nach ein paar Tagen legen?

Höcke: Erinnern Sie sich doch nur an die Wahl Thomas Kemmerichs 2020 zum Ministerpräsidenten – kurz darauf wurde der Landtag belagert! Mit dem zunehmenden Erfolg der AfD agiert das politmediale Machtkartell samt angehängter „Zivilgesellschaft“ immer repressiver. Für den Wahlsonntag sind bereits linke Großdemos angemeldet, um Druck aufzubauen: Man muß mit allem rechnen.  

Laut den Umfragen werden Sie am Sonntag Sieger und Verlierer zugleich sein: als stärkste Partei holen Sie den Regierungsauftrag – den Sie aber, wie in Sachsen (und Brandenburg), nicht werden umsetzen können. 

Höcke: Es wird sich zeigen, ob die CDU trotz unseres wohl historischen Sieges alles zusammenkehren wird und mit BSW und vielleicht SPD eine linke Koalition bildet. Tut sie das, wird sie sich nur weiter entkernen – falls das überhaupt noch möglich ist. 

Mag sein, aber ist das nicht dennoch sehr viel wahrscheinlicher als ein Koalitionsangebot an die AfD?

Höcke: Unser Ergebnis könnte am Sonntag sogar deutlich höher ausfallen als die jetzt in Umfragen prognostizierten 30 Prozent. Wir werden ja sehen, wie lange die CDU das aushalten kann, ohne bei ihren Wählern endgültig das Gesicht zu verlieren.

Thüringen ist vier Jahre lang von einer Regierung ohne Mehrheit regiert worden! Warum sollte da nun eine Mehrheitsregierung selbst gegen den Wahlsieger zum Problem werden?

Höcke: In eben dieser Zeit hat sich die Stimmung ja auch massiv verschärft! Es wird den „demokratischen“ Parteien – die übrigens in Wahrheit undemokratisch sind, wie ihr Verhalten zeigt – kaum möglich sein, das den Bürgern auf die Dauer zu erklären. Wer den offenkundigen Wählerauftrag über Legislaturen mißachtet und nur auf mathematische Mehrheiten schielt, zerstört das Fundament der parlamentarischen Demokratie. Wir jedenfalls sind fit für die Regierungsverantwortung und zur Zusammenarbeit mit jedem bereit, mit dem sich vernünftig zusammenarbeiten läßt – einschließlich der Bereitschaft zu Kompromissen. Wobei letzteres nicht zwingend für jeden unserer Programmpunkte gilt.     

Wenn Sie dennoch in der Opposition landen, was dann?

Höcke: Natürlich ist das nicht ausgeschlossen, doch werden sich die Probleme dann nur weiter zuspitzen und die politische Krise verschärfen. Die Frage ist auch, wie lange etwa eine CDU-BSW-SPD-Koalition durchhält und wie die Beteiligten danach dastehen. Zudem enthält die Rechnung eine Unbekannte, denn das BSW ist eine mediengehypte Partei, die in Thüringen personell kaum wirklich existiert.    

Ihr Parteifreund Jörg Urban hofft in Sachsen eventuell sogar auf eine Alleinregierung. Sie in Thüringen auch? 

Höcke: Damit rechnen wir eher nicht. Wenn allerdings tatsächlich gegen das Wählervotum weiterregiert wird, dann halte ich hier bei der nächsten Wahl – die vielleicht eine vorgezogene Neuwahl ist – eine absolute AfD-Mehrheit sehr wohl für möglich. 

Was ist mit der Brandenburg-Wahl am 22. September: Wird der voraussichtlich erneute Sieg dort, die AfD führt derzeit mit 24 gegenüber der SPD mit 20 Prozent, hinter der Doppelwahl am Sonntag verschwinden oder nochmals für einen „Einschlag“ sorgen?

Höcke: Wir wollen jetzt einen fulminanten Auftakt und dann einen kräftigen Schlußtusch setzen. In allen drei Ländern werden wir hoffentlich so stark, daß wir im Landtag eine Sperrminorität erreichen. Denn dann können wir etwa die Wahl hoher Richter beeinflussen oder gefährliche Verfassungsänderungen verhindern. Das Wichtigste aber jenseits aller Wahlen ist ein allgemeiner Mentalitätswandel: Damit unser Land langfristig gesundet, brauchen wir einen neuen vitalen Patriotismus: eine Wiederbefreundung der Deutschen mit sich selbst – das Leitbild dafür ist weder Kriechgang noch nationale Hybris. Denn wenn uns das nicht gelingt, werden wir die Krisen nicht meistern und unser Land keine Zukunft haben.



Björn Höcke ist Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen. Geboren wurde der Gymnasiallehrer für Sport und Geschichte 1972 im westfälischen Lünen. Seit 2013 ist er Chef des von ihm mitgegründeten Landesverbandes der Partei – ein Amt, das er sich seit 2014 mit dem Landtagsabgeordneten Stefan Möller teilt. Seit 2014 gehört er auch dem Thüringer Landtag an.