Ines Schwerdtner ist eine, die mit dem Kopf durch die Wand will. Wohlgemerkt, nicht mit der Stirn frontal, sondern mit der Kraft der Ideen. Die 1989 in Werdau bei Zwickau geborene und in Hamburg aufgewachsene Journalistin strebt an die Spitze der Linkspartei. Im Oktober bewirbt sie sich neben dem Abrüstungsexperten Jan van Aken auf dem Parteitag in Halle um den Doppelvorsitz. Ihr Kurs zielt auf eine Klassenpolitik: „Mir geht es nicht darum, keine Akademiker anzusprechen – ich bin auch eine. Aber wir müssen uns darauf besinnen, wo wir herkommen“, mahnte Schwerdtner unlängst im Interview mit dem nd, wie sich das Neue Deutschland seit 2020 nennt.
Schwerdtner hat Politikwissenschaft, Anglistik und Politische Theorie in Berlin und Frankfurt am Main studiert, war danach für die Bildungsgewerkschaft GEW und die marxistische Zeitschrift Das Argument tätig und leitete zwischen 2020 und 2023 die deutsche Ausgabe des linkssozialistischen Monatsmagazins Jacobin – eine Kopfarbeiterin durch und durch. Doch gerade eine Publizistin könnte geeignet sein, um das derzeit größte Problem der Linken zu meistern, nämlich deren Verkopfung.
Vorbild für Schwerdtner ist die Politik der KPÖ, die öffentlichkeitswirksam für bezahlbares Wohnen streitet.
Praxis ist für sie Trumpf: Durch Einbettung der Parteiarbeit in die alltäglichen Sorgen und Nöte der Leute will sie die Linke wieder in „ihrer Klasse“ verankern – bei Angestellten, Minijobbern und Arbeitslosen. In Berlin hat sie bei der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ erste Erfahrungen damit gesammelt. Als Vorbild dient ihr der Erfolg der Kommunistischen Partei Österreichs, die vor allem dank einer Kampagne für bezahlbares Wohnen 2023 mit knapp 12 Prozent in den Salzburger Landtag eingezogen ist. Auch die Parteispaltung zwischen parlamentsorientierten „Realos“ und aktivistischen „Bewegungslinken“ hält Schwerdtner für überwindbar. „Mein Eindruck ist, daß diese Strömungen nicht mehr die Bedeutung haben wie früher“, unterstreicht die 35jährige. Die programmatische Klammer, die die Partei einen soll, sei ein „demokratischer Sozialismus“, der niedrige Lebenshaltungskosten für alle garantiere.
Mit ihrer Strategie bringt Schwerdtner eine Frage zur Wiedervorlage, die sich Lenin bereits 1902 in seiner Schrift „Was tun?“ stellte und die später der Kommunist Antonio Gramsci in seinen „Gefängnisheften“ weiterdachte: Wie finden Intellektuelle auf der einen und Malocher auf der anderen Seite zusammen, um Politik zu machen? Doch Klassenpolitik ist eine knifflige Angelegenheit: Sie ist nicht nur Politik für eine Klasse, sondern auch Politik von einer Klasse – beides stimmt nur in seltenen Fällen überein. Diese Dialektik läßt sich derzeit insbesondere im Osten bestaunen. Dort will kaum noch einer etwas von der Linken wissen – vielmehr reüssiert gerade die AfD in deren ehemaliger Stammwählerschaft. Auf den rechten Kulturkampf will sich Schwerdtner nicht einlassen, dafür den Kampf gegen die Armut aufnehmen: „Antifa heißt Wohlfahrtsstaat“, bekräftigt sie.
Weder Schwerdtners Ideen noch ihr Osthintergrund werden ein Debakel bei den Landtagswahlen am Sonntag verhindern. Doch für die Aufarbeitung der Niederlage könnte sie als Intellektuelle genau die richtige sein. Durch eine Wand kommt man bekanntlich am besten, indem man die Tür findet.
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