© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/24 / 30. August 2024

„Unsere Scharia ist das Grundgesetz“
Die islamische Ahmadiyya-Gemeinschaft trifft sich in der Eifel: 40.000 Gläubige beten, betonen ihre Loyalität zu Deutschland und bauen weiter Moscheen
Daniel Holfelder

Angst vor dem Islam? „Von uns geht keine Gefahr aus für Deutschland, im Gegenteil“, betont Atezaz Shah. Der junge Imam kann zwar nachvollziehen, daß es Vorbehalte gegen seine Religion gibt. Doch wenn Muslime in Deutschland Attentate verüben oder zur Errichtung eines Kalifats, einer islamischen Diktatur aufrufen, habe das mit dem echten Glauben nichts zu tun, sagt er. „Wie der wahre Islam aussieht, wollen wir mit unserer Veranstaltung zeigen.“

Shah ist Mitglied der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft, die sich hier, auf einem Flugplatz am Rande der Kleinstadt Mendig in der Eifel, zu ihrer Jahresversammlung trifft. Rund 42.000 Gläubige kommen von Freitag bis Sonntag zusammen. Die größte jährlich stattfindende Versammlung von Muslimen in ganz Europa.

„Es ist das erste Mal, daß wir uns hier treffen“, berichtet der 26jährige. „Vorher waren wir in Karlsruhe und danach in Stuttgart. Aber die Messehallen dort wurden zu klein.“ Mendig liege zwar weit weg vom Schuß. „Dafür bietet das Gelände genug Platz. Auch für die nächsten Jahre, denn wir rechnen damit, daß die Zahl der Teilnehmer weiter steigt.“

Die riesige Zeltstadt, die die Ahmadiyya auf dem Flugplatz errichtet hat, könnte also noch ausgedehnt werden. Knapp tausend Zelte sind es, die auf einer Fläche von 65 Hektar als Gebets- und Ausstellungsräume, als Kantine und als Übernachtungsmöglichkeit dienen. Shah zufolge übernachten 9.000 Leute direkt vor Ort, die anderen nutzen Hotels oder fahren jeden Tag von zu Hause hin und zurück. Der Großteil der Besucher kommt aus Deutschland, wo die 1889 in Indien gegründete Gemeinschaft etwa 55.000 Mitglieder hat. Weltweit sind es mehrere Zehnmillionen.

Die deutschen Ahmadis stammen fast alle aus Pakistan, wo die Gemeinschaft der Häresie bezichtigt und verfolgt wird. Sie hält ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad (1835–1908) für den im Koran verheißenen Messias, während die anderen islamischen Strömungen noch auf die Ankunft des Messias warten. Davon abgesehen sind „wir ganz normale Muslime und werden auch von den anderen Muslimen in Deutschland so wahrgenommen“, erklärt Shah.

Seine Eltern sind ebenfalls aus Pakistan nach Deutschland geflohen. Er selbst wurde in Hildesheim geboren und studierte nach dem Abitur zunächst ein Jahr lang Banking und Finance in Frankfurt. „Ich habe alle Prüfungen absolviert und bestanden. Aber der Wunsch, Imam zu werden, war größer.“ Erst vor kurzem hat er das siebenjährige Theologiestudium am Institut Jamia Ahmadiyya im hessischen Riedstadt abgeschlossen. „Bald bekomme ich meine erste Gemeinde zugeteilt“, verrät er stolz.

Der Islam, den er dort predigen wird, soll mit Extremismus, Gewalt oder Eroberung fremder Kulturen nichts zu tun haben. Vielmehr verpflichte der Koran die Muslime dazu, friedlich mit allen Menschen zusammenzuleben und die Gesetze jedes Landes zu respektieren, bekräftigt die Ahmadiyya immer wieder. Die „uneingeschränkte Solidarität“ zu Deutschland und zur hiesigen Rechtsordnung sei Teil ihres Glaubens, macht die Gemeinschaft deutlich. Diese Haltung bringt sie auf die eingängige Formel: „Unsere Scharia ist das Grundgesetz.“

„Begriffe wie Scharia oder Kalifat werden häufig mißbraucht“

Um die Loyalität zu Deutschland symbolisch zum Ausdruck zu bringen, hissen die Gläubigen vor dem Freitagsgebet nicht nur die Flagge ihrer Ahmadiyya, sondern auch die deutsche Flagge. Daneben wehen bereits die Flaggen der 16 deutschen Bundesländer.

Zuvor auf der Pressekonferenz beklagt sich der Bundesvorsitzende der Gemeinschaft, Abdullah Uwe Wagishauser, über Vorurteile gegen den Islam. Bedrohlich klingende islamische Begriffe wie Scharia oder Kalifat würden häufig mißbraucht, ärgert sich der 74jährige, der in den 70er Jahren vom Christentum zum Islam konvertierte und der deutschen Ahmadiyya seit 1984 vorsteht. 

„Wir sind eine rein spirituelle Gemeinschaft und Begriffe wie Scharia oder Kalifat haben für uns eine rein spirituelle Bedeutung“, führt er aus. Die Ahmadiyya verfolge keinerlei politische Zielsetzungen. „Wir sind unpolitisch, und wir bleiben unpolitisch.“ Der Zweck der Jalsa Salana, wie die Ahmadis ihre Jahresversammlung nennen, bestehe einzig darin, den Glauben nach außen zu tragen und den Menschen dabei zu helfen, Nähe zu Gott zu erlangen.

Ganz ohne Politik geht es allerdings nicht. Als islamkritische Partei ist besonders die AfD Gesprächsstoff. Wagishauser bedauert, daß der Partei viele Wähler „auf den Leim gehen“. Dennoch dürfe man sie nicht nur dämonisieren, sondern müsse mit ihren Anhängern in die Diskussion gehen. „Wir sprechen auch mit der AfD“, sagt der Bundesvorsitzende, wenngleich es „natürlich Leute gibt, mit denen man kaum noch sprechen kann“.

Zu den Leuten, die über die Ahmadiyya sprechen und der Gemeinschaft kritisch gegenüberstehen, gehört die Ethnologin Susanne Schröter. Die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität äußert Bedenken, ob die Gemeinschaft tatsächlich so harmlos und tolerant ist, wie sie von sich behauptet. Sie sei zwar friedlich und erwirtschafte ihr eigenes Geld, befinde sich aber auf einem „sehr konsequenten Missionskurs“, schilderte die Forscherin im Vorfeld des Treffens gegenüber der Bild-Zeitung. Ihren Plan, in Deutschland 100 Moscheen zu bauen – aktuell sind es 75 – setze die Ahmadiyya gegen alle Widerstände der jeweils örtlichen Bevölkerung durch.  

Darüber hinaus warf Schröter der Gemeinschaft Israelfeindlichkeit und in Teilen auch Antisemitismus vor. Und weiter: „Es handelt sich um eine sehr rigide ultrakonservative Gruppe, in der eine strikte Geschlechtertrennung praktiziert wird. Ehen werden gewöhnlich von den Älteren arrangiert, und es kam in der Vergangenheit wiederholt zu Ehrenmorden, wenn junge Frauen sich nicht unterordnen wollten.“

Wagishauser hat für die Vorwürfe nur ein müdes Lächeln übrig. Er habe vor einigen Jahren einmal an einer Diskussionsveranstaltung mit Schröter teilgenommen. Damals habe sie sich noch sehr moderat geäußert. „Inzwischen hat sie wohl ein anderes Geschäftsmodell gefunden“, meint er süffisant. Auch andere Islamkritiker wie den Psychologen Ahmad Mansour, die Rechtsanwältin Seyran Ates oder die Soziologin Necla Kelek kanzelt die Ahmadiyya ab. „Diese Kritiker verfolgen oft eine ideologische Agenda, die wenig mit der Realität in muslimischen Gemeinden zu tun hat“, schreibt die Gemeinschaft in einem Papier für Pressevertreter, in dem sie auf gängige Kritikpunkte antwortet.

Zum unterstellten Antisemitismus heißt es dort etwa: „Die Ahmadiyya verurteilt jede Form von Menschenfeindlichkeit, einschließlich Antisemitismus.“ Derweil werde Kritik an der „ultrarechten israelischen Regierung“ vom Großteil der internationalen Gemeinschaft geteilt. Ebenso von der Uno und dem Internationalen Gerichtshof, dessen Chefankläger Karim Khan der Ahmadiyya angehört. Im Mai beantragte er Haftbefehl sowohl gegen Hamas-Funktionäre als auch gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu und den israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant.

Reportern ist der Zugangzum Frauenbereich verwehrt 

Offen geht die Gemeinschaft mit der Ablehnung von Homosexualität um, die „ähnlich wie im Judentum und Christentum als nicht gottgefällig angesehen“ werde. „Dennoch behandelt die Ahmadiyya  jeden Menschen, unabhängig von Herkunft, Glauben oder sexueller Orientierung, mit Respekt.“ Es seien keine Fälle bekannt, „in denen die Ahma-diyya zu Gewalt gegen Homosexuelle aufruft oder diese ausübt“.

Ein Thema, das den muslimischen Glauben der Ahmadis ebenso prägt wie die Versammlung in Mendig, ist die Geschlechtertrennung. Ein Teil des Geländes auf dem Flugplatz ist den Männern vorbehalten, der andere den Frauen. Während Journalistinnen den Teil der Männer betreten dürfen, ist den männlichen Reportern der Zugang zum Frauenbereich verwehrt. 

Trotzdem ist es möglich, mit einer Gläubigen zu sprechen, die dafür am Rande des Pressezelts für kurze Zeit den Männerbereich betritt. Wie die hessische Rundfunkrätin und Publizistin Khola Maryam Hübsch, die ebenfalls der Ahmadiyya angehört und aus vielen Talkshow-Auftritten bekannt ist, trägt Rameza Monir einen Hidschab und ein langes weites Gewand, das wie vorgeschrieben ihre Körperformen verhüllt. Eine Einschränkung sieht sie darin ebensowenig wie in der Geschlechtertrennung. 

„Die Trennung ist vollkommen freiwillig und ein Vorteil für uns“, stellt die junge Frau klar. „Wir empfinden das als Safe Space, in dem wir uns freier entfalten können.“ Von Unterdrückung zu sprechen, sei „absurd“, denn Frauen hätten in der Ahmadiyya wie die Männer eine aktive Rolle und könnten ihren Beruf frei wählen. Vielen gelinge trotz Familienleben eine erfolgreiche Karriere, weil die Ahmadiyya großen Wert auf Bildung lege und die Frauen tatkräftig unterstütze. Sie selbst habe einen Bachelorabschluß in Politikwissenschaft, habe in einer Kreisverwaltung gearbeitet und schreibe als freie Autorin für die taz und Jetzt, ein Online-Magazin der Süddeutschen Zeitung. Bald wolle sie ein Masterstudium beginnen. 

Zum Höhepunkt der dreitägigen Versammlung sollte eigentlich der Besuch des weltweiten Oberhaupts der Gemeinschaft werden. Der 73 Jahre alte Kalif Mirza Masroor Ahmad mußte seine Reise nach Deutschland jedoch aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Stattdessen wird seine Ansprache aus London, dem Hauptsitz der Ahmadiyya, auf großen Videobildschirmen im Gebetszelt übertragen. „Heutzutage gibt es viel Haß und Propaganda gegen den Islam“, wendet sich der Kalif an seine Anhänger. „Aber wir müssen den Lehren des Messias folgen und ein gottesfürchtiges Leben führen.“ 

Sichtlich ergriffen tritt im Anschluß Wagishauser auf die Bühne. Der Bundesvorsitzende muß seine Ansprache mehrmals unterbrechen, um zu weinen. „Deutschland braucht wie jedes Land Leitung und Führung“, ruft er den Gläubigen zu. „Wir sind bereit, die religiöse Führung zu übernehmen. Inshallah.“


Fotos: Im Gebetszelt lauschen die Ahmadis einem Prediger: Für die Gemeinschaft besteht zwischen Rechtsstaat und islamischem Kalifat kein Widerspruch – Kalifat sei ein rein spiritueller Begriff / Ahmadiyya-Bundesvorsitzender Abdullah Uwe Wagishauser: „Wir sind unpolitisch“