Mit den Deutschen ist’s nichts, den klotzigen Eseln“, schrieb Arthur Schopenhauer 1851 zur Charakterisierung der Arbeit von deutschen Daguerreotypisten, denen er eleganter arbeitende Franzosen vorziehen wollte. Das Wort bezieht sich auf ein von Louis Daguerre entwickeltes Fotografie-Verfahren und läßt sich übertragen und versuchsweise vor das viel besprochene Werk von Caspar David Friedrich stellen. Sind die schwerblütigen, für Sentimentalität anfälligen, schwärmerischen Deutschen seiner Kunst besonders zugetan? Der Erfolg der dieses Jahr gezeigten großen Ausstellungen spricht dafür.
Der Zeichner Horst Janssen hat sich mit Friedrichs Werk beschäftigt und in den 1970er Jahren Paraphrasen dazu radiert. Aber in der Korrespondenz mit seiner Freundin Viola Rackow redete er sie mit „Vriedrich“ an und unterzeichnete bekenntnishaft selber mit „Runge“. Das Verhältnis zu Philipp Otto Runge, dem nahezu gleichaltrigen, ebenfalls aus Pommern stammenden Maler beschäftigt die drei hier vorzustellenden Bücher nicht sehr. Goethe hat beide Künstler bemerkt und sie in seine Bestrebungen zur Erneuerung des Historienbildes mittels der Weimarer Preisaufgaben einbezogen. 1805 wurde Friedrich ausgezeichnet, obwohl er sich nicht an die vorgegebenen homerischen Themen gehalten hatte und Landschaftszeichnungen einreichte, was in Boris von Brauchitschs Biographie genauer erörtert wird. Auch später hat Goethe sich mit Friedrich beschäftigt, hat ihn besucht und sich von ihm besuchen lassen und auch Ankäufe des Großherzogs vermittelt. Am Ende ist er mit seiner Kunst nicht warm geworden, wie er auch vor anderen Romantikern und zumal den Nazarenern warnte. Die Faust-Illustrationen des jungen Eugène Delacroix dagegen fanden seine volle Zustimmung.
Von den drei zu erörternden Autoren ist der studierte Germanist Eberhard Rathgeb der einzige ohne dezidiert kunsthistorische Ausbildung. Hat das begünstigt, daß sein Buch die Nähe zur Kunst Caspar David Friedrichs am besten findet? Sein Text beginnt mit einem faktischen „Daß Caspar David Friedrich (…) immer noch so viele Besucher ins Museum lockt“ und führt den Erfolg Friedrichs auf die Unbedingtheit seines Strebens zum Sehen der Natur zurück. Wie sehr Rathgeb selber auf das Sehen von Kunst besteht, führt er durch die eingehende Betrachtung dreier ausnahmsweise abgebildeter Selbstportraits vor, denn sein Buch kommt mit nur wenigen Abbildungen aus und erfordert die Beiziehung von Bilderbüchern oder Standardwerken wie dem Werkkatalog des Kunsthistorikers Helmut Börsch-Supan.
Wenn Rathgeb Abbildungen bringt, kann man sich auf eine gründliche Beobachtungsarbeit gefaßt machen, welche dem Leser die Augen öffnet. So geschehen nach den Selbstbildnissen auch bei den beiden Zeichnungen „Blick aus dem Atelier des Künstlers“, die zu beschreiben und zu deuten er nicht müde wird. Hervorzuheben sind seine aus der Anschauung gewonnenen Schlüsse auf die Modernität in der Auffassung der Bildelemente, die auf das Geviert der Rahmung, aber auch innerhalb der Darstellung auf die Ordnung der Fensterunterteilung und der daraus eröffneten Ausblicke, die zugleich bewußt Ausschnitte sind, sich richtet. Später sollte Émile Zola die Kunst seiner Zeit deuten als „Une œuvre d’art est un coin de la nature vu à travers un tempérament.“ Ein Winkel, ein Ausschnitt aus der Natur, gesehen durch ein Temperament – das sollte vom Impressionismus bis zum Kubismus unerhört wichtig werden. Friedrich hat diese Reize gesehen, aber sie nicht zum Zentrum seiner Kunst gemacht.
Zu Recht weist Rathgeb auf die innere Einstellung Friedrichs hin, die in seiner Zeit von aufgedonnerten Historien- und religiösen Darstellungen höchst angebracht war, wenn der Künstler ausführt, daß der Maler nur mit geläuterter Seele vor dem Bild stehen dürfe: „Die einzig wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines kindlichen Gemüts …“ Weitere, wunderbar auch die heutige Malerei betreffende Zitate bringt Rathgeb: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke oder Tote erwartet.“ Der Autor erkennt den Maler als einen Philosophen des Auges: „... diese Erkenntnis brachte ihn einen großen Schritt voran. Denn sie ließ den Gedanken zu, daß in der Welt ein Geheimnis war, das nicht geborgen werden konnte.“
Neben der Aufrichtigkeit in der Suche nach den Zusammenhängen in der Natur – anders als Runge mied er die Darstellung von Menschen: „Figuren sind so eigentlich meine Sache nicht“ – hebt Rathgeb das neuartige Selbstverständnis des Malers hervor: „Friedrich ist ein moderner Künstler. Er arbeitet nicht im Auftrag von Kirche oder Staat und nur manchmal für private Interessenten, die sich Bilder von Rügen oder andere Ansichten der nordischen Natur von ihm wünschen. Er malt vor allem, weil er malen möchte.“
Hatte Runge schon 1802 erkannt: „Es drängt sich alles zur Landschaft“ und damit selber in seiner Kunst eine symbolisch erweiterte Naturdeutung angestrebt, so sah Friedrich diese Tendenz, äußerte aber auch den Zweifel „ob die neuere Landschaftsmalerei als Fortschritt der Zeit in der Kunst betrachtet werden kann.“ Rathgeb belegt an etlichen Stellen das Ringen des lebenslang von Selbstzweifeln begleiteten Künstlers um die Darstellung einer originären Sicht aus seelischer Ergriffenheit.
Eingehend werden die Beziehungen zu künstlerischen Freunden und Begleitern erörtert, wie zu Carl Gustav Carus, dem bedeutenden Arzt und Maler, sowie zu Johann Christian Dahl, dem norwegischen Landschaftsmaler, der mit Friedrich zeitweilig in einer Hausgemeinschaft in Dresden lebte. Rathgeb konzentriert sich auf dieses engere Umfeld und versagt es sich, ins Weite der Kunstgeschichte auszugreifen. Dafür liefert er ausgesprochen tiefgehende Betrachtungen der Werke Friedrichs, die einfühlsam und bewundernswert genau ausfallen – vor allem, wenn man die gewöhnliche kunsthistorische Literatur mit seiner Arbeitsweise vergleicht. Anmutig versteht er es, die Grenzen des Friedrichschen Vermögens aufzuzeigen und zugleich die damit verbundene allgemeine Problematik der Zeit aufzuzeigen: „Steht eine programmatische Idee allzu sehr im Vordergrund, und nicht ein Gefühl, wird das Bild etwas steif, wie die ‘Gartenterrasse’ aus dem Jahr 1811/12. Die Idee zurrt das Gemälde unter ihrer Regie zusammen und schiebt sich damit in den Vordergrund, statt sich in Stimmungen aufzulösen, wie wenn sich eine Erklärung, die zu Herzen gehen müßte, mit Argumenten begnügt.“
Mit dem Buch von Boris von Brauchitsch sind wir bei einem ausgebildeten Kunsthistoriker angelangt, der mittels seines Seminarwissens die Kunst Friedrichs in den weiteren Kontext der Zeit stellt. Das ist durchaus verdienstvoll, auch wenn wir das tiefere Eindringen in die Kunst des Malers vermissen. Diese wird wohl durch das Interesse der Leser einfach vorausgesetzt. Es ist immer ein fataler Irrtum zu meinen, man müsse nicht von der Kunst selber sprechen, da diese bereits befestigt sei. Hans Sedlmayr hat mit gewissem Recht den Kunsthistoriker mit dem Dirigenten verglichen, dessen Fähigkeit zur Vergegenwärtigung kraft musischer Begabung ihm zur Verfügung stehen müsse. Werden die Werke nur unzureichend vergegenwärtigt, geraten sie in Gefahr.
Treffend wird der durchaus religiöse Friedrich von den frommen Lukasbrüdern der Nazarener abgegrenzt: „Seine Gemälde hingegen bedeuteten den Anfang vom Ende christlicher Anekdotenmalerei. Sie waren keine Illustrationen von Bibelgeschichten, sondern eigenständige religiöse Schöpfungen. Es existierte zwar ein Bildinhalt, aber keine Bilderzählung, denn Religion ist nichts, was in alten Büchern zu finden ist, sondern mitten unter uns, in der Natur als göttliche Schöpfung.“
Seine Zugehörigkeit zur herrschenden Meinung im Fach demonstriert der Autor an verschiedenen Stellen. So imaginiert er durchaus optimistisch, daß Friedrich sich hätte inspirieren lassen können von einem Werk Malewitschs oder Doesburgs. Am Schluß fehlt nicht ein Verweis auf Walt Disney, den großen Vernutzer abendländischer Geistesschätze, der auch vor Friedrich nicht haltmachte. Allerdings muß darauf bestanden werden, daß es sich dabei wieder einmal nicht um eine schöpferische Weitergabe von Tradition handelt, sondern schlicht um deren kommerzielle Ausbeutung. Interessant sind die eingewobenen Exkurse über Carl Gustav Carus, Wilhelm von Kügelgen, die Romantik und anderes. Trefflich das Zitat Ludwig Tiecks, der Friedrichs Bildern eine „feierliche Wehmut“ bescheinigt.
Brauchitsch läßt schließlich erkennen, daß er mit Gewinn die Bücher von Helmut Börsch-Supan gelesen hat, was auch Floirian Illies auszeichnet, der sich mit diesem Nestor der Friedrich-Forschung zum Nutzen seines Buches zusammengesetzt hat. Die Stärke des Buches ist zugleich seine Schwäche und liegt in dem Unterhaltungswert, den der Autor geradezu mit Besessenheit seinem Text gibt. Im Stil eines Wer-mit-wem-Smalltalks wird assoziiert und Privates ausgebreitet, wird in der Zeit nach vorne gesprungen, um etwas aus der Rezeptionsgeschichte oder dem Schicksal des Familienhauses in Greifswald zu berichten, das 1901 abbrennt. Auch schreckt der Kunsthistoriker Illies nicht vor Plattheiten zurück, etwa wenn er die Sorge des Vaters Friedrich um das Baden seiner Tochter als Baby kommentiert mit „Nur konsequent also, daß Emma 1839 einen Bademeister heiratet.“ Diese starke Neigung zu assoziativem Klatsch hat schon sein erfolgreiches Buch „1913“ belastet, und es mag als Symptom unserer Zeit gesehen werden, daß dieses leichthin Plaudern ohne Ziel einer Erkenntnis den Erfolg dieser Bücher ausmacht.
Hervorzuheben sind die erhellenden Ausführungen von Illies über das Naturstudium Friedrichs und seine abstrakte Anwendung. Man muß sie nicht gleich „Collagen“ nennen, und er ist auch kein „Konzeptkünstler“, aber die Einsicht, daß die Landschaften Friedrichs nicht als Abbild der Wirklichkeit zu verstehen sind, ist zu unterstreichen. Und mit dem Schlußsatz dieses Kapitels sind wir voll einverstanden: „Caspar David Friedrich atmet Natur ein, um sie als Kunst wieder auszuatmen.“
Dr. Thomas Gädeke ist Kunsthistoriker.
Bilder: Caspar David Friedrich, Gartenterrasse, Öl auf Leinwand, 1811/12: Das Gemälde wurde von König Friedrich Wilhelm III. bei der Ausstellung in der Berliner Akademie erworben / Caspar David Friedrich in seinem Atelier, Gemälde von Georg Friedrich Kersting, Öl auf Leinwand, 1811: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.“
Boris von Brauchitsch: Caspar David Friedrich. Eine Biografie. Suhrkamp, Berlin 2023, broschiert, 318 Seiten, 20 Euro
Eberhard Rathgeb:Maler Friedrich. Berenberg-Verlag, Berlin 2024, gebunden, 208 Seiten, Abbildungen, 28 Euro
Florian Illies:Zauber der Stille.Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2023, gebunden, 256 Seiten, 25 Euro