© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/24 / 30. August 2024

„Kaum sichtbare Schäden“
Dresden: Im Grünen Gewölbe in Dresden können vom Remmo-Clan geraubte Kunstschätze wieder besichtigt werden, aber einige Stücke werden noch immer vermißt
Paul Leonhard

Da ist das Großkreuz, dort die Spange und hier der Degen. „Zerbrochen“, stellt ein älterer Mann traurig fest. Und die diamantengeschmückte Epaulette ist in mehrere Teile zerrissen, angebrochen, von Kondensat verunstaltet. Dem ebenfalls deformierten Reiter-Stutz, einem Hutschmuck, fehlen wertvolle Steine, und die Strahlenspitze des polnischen Weißen-Adler-Ordens ist abgebrochen.

Schockiert und fassungslos, aber auch irgendwie erleichtert stehen Dresdner aller Generationen im Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes vor den vergewaltigten 18 Stücken. So also sehen über Jahrhunderte gehütete Kunstschätze aus, wenn sie Barbaren in die Hände fallen.

Mit Kind und Kegel zieht es die Einwohner der sächsischen Landeshauptstadt in die einstige Schatzkammer August des Starken im früheren Residenzschloß der Wettiner. Sie wollen sich überzeugen, ob der Zustand des von Mitgliedern des arabischstämmigen Remmo-Clans Geraubten wirklich so schlimm ist und tatsächlich die meisten der 4.300 verschwundenen Diamanten und Brillanten – Versicherungswert 113,8 Millionen Euro – zurückgekehrt sind.

Eintrittskarten sind derzeit nur schwer zu bekommen, obwohl die Öffnungszeiten donnerstags bis samstags bis 20 Uhr verlängert wurden. Der Zugang ist nur mit Zeittickets möglich. Und präsentiert werden die Juwelen exakt so, wie sie den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zurückgegeben wurden, erinnert Generaldirektorin Marion Ackermann: „Mit Schäden, die kaum sichtbar sind, wenn auch restaurierungsbedürftig.“

Ackermann hat damit, kurz vor ihrem Abgang im Oktober – sie wird ab dem 1. Juni neue Präsidentin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz –, zumindest einen Teil ihres Versprechens erfüllt, nicht nur das Geraubte zurück nach Dresden zu holen, sondern auch in einer Sonderschau zu präsentieren. Nur kostenlos ist sie nicht. Und die Webseite, auf der tausend Freitickets verlost werden sollten, ist längst nicht mehr erreichbar.

Die Juwelen gelten noch immer als Beweisstücke

Als „Klunker“ bezeichnete Bild den Schatz despektierlich in einer Schlagzeile. Keinem Dresdner wäre so ein Wort über die Lippen gekommen. Diese haben für die von August dem Starken und anderen Wettinern zusammengetragenen Schätze keine Namen, sondern nur ehrfürchtiges Staunen.

Das Grüne Gewölbe, das sich in den letzten Jahren erstaunlicherweise sogar in zwei Schatzkammern vermehrt hat – es gibt jetzt auch ein Neues Grünes Gewölbe –, ist für sie – gemeinsam mit der Sixtinischen Madonna von Raffael und dem von Johann Melchior Dinglinger und Balthasar Permoser geschaffenen „Mohr mit Smaragdstufe“ – so etwas wie ein Nationalheiligtum, was sie in ihrer geschundenen Stadt mit dem für alle Zeiten kriegsversehrten Gesicht für alle hüten, für die Sachsen, für die Deutschen, für die ganze Welt.

Daß es Barbaren gibt, die einfach brutal mit Äxten in die Schatzkammer eindringen und die Schmuckstücke heraus und an sich reißen, war bis zum 25. November 2019 unvorstellbar. Aufmerksam verfolgten die Sachsen die polizeilichen Ermittlungen beziehungsweise das, was durch die Medien berichtet wurde. Auch als dessen völliges Versagen allen sichtbar wurde, verteidigte SKD-Chefin Ackermann noch das Sicherheitskonzept und beklagte gleichzeitig die hohen Kosten. Pro Jahr würden acht Millionen Euro für Sicherheit ausgegeben und die Ausgaben Jahr für Jahr steigen.

Ackermann investierte lieber Zeit und Kraft in Antidiskriminierung, sensible Sprache und Provenienzforschung.

Historisch überlieferte Bezeichnungen, in denen Worte wie Zwerg, Zigeuner oder Neger vorkamen, wurden verkrampft umgeschrieben. Dabei stammt der gesamte Bestand aus vorkolonialen Zeiten. „Die historische Sammlung beginnt um das Jahr 1572 und endet im Jahr 1738“, erinnert der frühere Museumsdirektor Dirk Syndram: „Abgesehen von einigen Jadearbeiten, die aus China kommen, stammt der Bestand beinahe zu einhundert Prozent aus Europa, im Zentrum wiederum das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Der Schatz im Grünen Gewölbe und die allermeisten seiner Objekte zeigen die Sicht Europas, in diesem Fall Sachsens, auf die Welt.“

Syndram ist es irgendwie auch gelungen, den berühmten Mohren, der jetzt als Perlenträger-Figur bezeichnet wird, für die Dresdner zu retten. Denn der Darstellung, daß es sich hier um einen nackten Schwarzafrikaner – „in Sachsen sagen wir Neger“, so Malerstar Georg Baselitz 2007 – verhüllt mit Goldschmuck und Edelsteingehänge, einen Edelstein vor sich hertragend, handelt, widersprach er energisch: „Die Tätowierungen, die die Skulptur am Körper hat und die Federkrone, die sie trägt, weisen sie als einen Adeligen einer indigenen Bevölkerung Amerikas im 16. Jahrhundert aus.“ Permoser habe ihr lediglich die Physiognomie eines Schwarzafrikaners gegeben. Und da die seit 1581 in der Sammlung befindliche Smaragdstufe aus Kolumbien stammt, gibt es jetzt eine neue Interpretation: „Ein stolzer Adeliger zeigt den Reichtum der Neuen Welt.“

Umdeutungen sind in der Kulturstadt Dresden nicht ungewöhnlich. Viele Museumsdirektoren und Politiker versuchen sich gegenseitig zu übertreffen, um den Mythos der Stadt zu zerstören und die Zeitzeugen mit ihren Erinnerungen zum Schweigen zu bringen – nicht nur an das Kriegsverbrechen der alliierten Terrorangriffe 1945, an die Vergewaltigungen und den Raub durch sowjetische Soldaten, sondern auch an die Kunst, die während der kommunistischen Herrschaft entstand. Die scheidende Generaldirektorin hat daran entscheidenden Anteil.

Ackermann dürfte in Dresden, wo ihr jenseits der Politik keiner eine Träne nachweinen dürfte, eine wichtige Lektion für ihre Karriere gelernt haben: Die Losung des Herbstes 1989, „Wir sind das Volk“, gilt auch für die Dresdner Museen. Denn der Volkszorn traf sie und Museumsdirektorin Hilke Wagner, als die Dresdner bei ihrer Kulturzeitung, den Dresdner Neuesten Nachrichten, nachfragten, wo eigentlich jene Bilder aus der Gemäldegalerie Neue Meister abgeblieben waren, die sie über Jahrzehnte durch den real existierenden Sozialismus begleitet hatten? Was folgte, ging als „Dresdner Bilderstreit“ in die Geschichte der Kunstsammlungen ein. Und Ackermann & Wagner blieb nichts anderes übrig, als in mehreren öffentlichen Diskussionen zurückzurudern und jenen während der SED-Herrschaft entstandenen „Neuen Meistern“ wieder mehr Platz einzuräumen.  

Insofern war für das konservative Dresden der Kunstraub vom November 2019 und der Zustand, in dem sich das Geraubte bei seiner Rückgabe befand, nur ein weiterer Puzzlestein dafür, daß es immer schlechter um dieses Deutschland steht, in dem es schier keine moralischen Grenzen mehr gibt.

Die Geschichte des Kriminalfalls können die Besucher auf einer Stele neben den Ausstellungsstücken lesen. Sie erfahren auch, daß sie sich quasi in der Asservatenkammer der Polizei befinden, die für die Schau in das Juwelenzimmer ausgelagert wurde. Denn die Preziosen gelten noch immer als Beweisstücke in laufenden Strafverfahren am Landgericht Dresden.

Sind die Verfahren abgeschlossen, werden die Schmuckstücke restauriert. „Das sei bei allen möglich“, sagt die Generaldirektorin, die auch optimistisch bleibt, daß die noch vermißte diamantbesetzte Klinge eines Prachtdegens von 1782 und ein mit Edelsteinen besetztes Schulterstück, darunter mit dem „Sächsischen Weißen“, einem Brillanten von fast 50 Karat, noch gefunden werden.

Trotz eines angerichteten Gesamtschadens in Dresden von etwa 22 bis 25 Millionen Euro und einer Verurteilung wegen Diebstahl mit Waffen, besonders schwerer Brandstiftung und schwerer Körperverletzung wurden die nach Zusicherung einer milden Strafe geständigen Remmo-Kriminellen im Mai 2023 lediglich zu Freiheitsstrafen zwischen vier Jahren und vier Monaten sowie sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Der sächsische Steuerzahler muß dagegen rund 3,8 Millionen Euro Prozeßkosten für die zwölf Pflichtverteidiger der sechs Angeklagten bezahlen, einschließlich rund 240.100 Euro für die Verteidigung der Remmos bei einem Schadenersatzprozeß gegen den Clan. Weitere zehn Millionen hat der Freistaat in neue Sicherheitsvorkehrungen gesteckt, die einen erneuten Raub unmöglich machen sollen.



Das Historische Grüne Gewölbe im Dresdner Residenzschloß, Taschenberg 2, ist täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, dazu bis auf weiteres von Donnerstag bis Samstag bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet 14 Euro, ermäßigt 10,50 Euro (unter 17 Jahren frei). Besuchertelefon: 03 51 / 49 14 20 00

 https://gruenes-gewoelbe.skd.museum


Foto: Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: Sie beschäftigte sich viel mit Antidiskriminierung, sensibler Sprache und Provenienzforschung