© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/24 / 30. August 2024

„Wir schließen die Lücke!“
Kino II: In der flotten Sommerkomödie „Alles fifty-fifty“ soll ein Italienurlaub Erziehungsprobleme lösen – ein heikles Unterfangen
Dietmar Mehrens

Milan ist ein sehr fröhliches Scheidungskind“, sind sich die Eltern des elfjährigen Schülers sicher, als sie sich wegen einer Zeichnung vor Milans Klassenlehrerin und der Schuldirektorin zu verantworten haben. Schließlich machen sie bei der Erziehung des Jungen konsequent „alles fifty-fifty“, erklären sie unisono und damit auch den Titel dieser Filmkomödie. Auslöser des Gesprächs: eine Zeichnung, auf der ein Mädchen aus Milans Klasse, das ihm vorher eine „Willst du mit mir gehen?“-Anfrage hatte zukommen lassen, mit einem Herzschuß tot auf dem Boden liegt. „Das machen Jungs in seinem Alter“, wiegelt Milans Vater Andi (Moritz Bleibtreu) ab, doch ihm und seiner Ex Marion (Laura Tonke), der Mutter des Jungen, wird allmählich schmerzlich bewußt: Ihr Sohn spielt sie mit Hilfe der Fünfzig-fünfzig-Regelung schamlos gegeneinander aus, indem er frech behauptet: „Bei Papa/Bei Mama darf ich das!“ Nicht jedes Detail kann schließlich zwischen getrennt lebenden Ex-Partnern abgestimmt werden. Dadurch entstehen Lücken. Zum Beispiel weiß keiner der geschiedenen Ehegatten, daß ihr Sohnemann nicht mal schwimmen kann!

Für den Regisseur war es kaum möglich, Klischees zu entkommen

Andi schlägt als Lösung einen gemeinsamen Sommerurlaub an der Küste Apuliens vor: Unter konsequenter Beibehaltung der Fünfzig-fünfzig-Regel, so kann er seine Ex-Frau überzeugen, werde man dem Filius in den Ferien auf die Finger gucken können. Das von Andi ausgegebene Urlaubsmotto lautet also: „Wir schließen die Lücke!“ Nebenbei soll Milan (Valentin Thatenhorst) endlich schwimmen lernen und bekommt zu diesem Zweck den Bademeister Paris (Jasin Challah) zugeteilt, der zugleich Milan die für einen Heranwachsenden elementaren Lebensweisheiten vermittelt. Die kann der versnobte Junge für sein Techtelmechtel mit dem netten Mädel vom Campingplatz hinter der Hecke der noblen Ferienanlage auch ganz gut verwerten.

Im Urlaub an Marions Seite ist auch ihr neuer Lebensabschnittsgefährte Robin (David Kross), den sie vor einem halben Jahr im Fitneßclub kennengelernt hat. Der sportlich-dynamische Blondschopf ist ganz das Gegenteil von Andi. Spätestens als der seine Verflossene mit der hingehauchten Frage überrascht: „Hast du dich eigentlich jemals gefragt, was passiert wäre, wenn wir uns damals nicht getrennt hätten?“ und Marion gespielt kaltschnäuzig antwortet: „Einer von uns wäre im Knast gelandet. Wegen Totschlag!“, ist klar, daß hier die Kohlen noch am Glühen sind. 

Zwar kündigt die Filmwerbung einen Film an, der „den Erziehungsfragen unserer Zeit auf den Grund“ gehe und die Frage kläre, wie viele Grenzen ein Kind brauche und wie locker sich Eltern grundsätzlich machen sollten, „damit Kinder eigene Erfahrungen sammeln“. Tatsächlich ist die Familienkomödie von Alireza Golafshan jedoch vor allem der Versuch, aus altem Stoff neue Klamotten zu schneidern, aus Stoff, wie er etwa in „Mein Vater, der Held“ („Mon père, ce héros“, 1991) bzw. „Daddy Cool“ (1994) mit Gérard Depardieu bereits erfolgreich für die Leinwand verarbeitet wurde oder zuletzt in der französischen Komödie „Akropolis Bonjour – Monsieur Thierry macht Ferien“ (2022) und dem US-Pendant „Ticket ins Paradies“ (JF 38/22) mit Julia Roberts und George Clooney als verkrachtem Paar. Schon diese Liste vergleichbarer Filme zeigt, daß es für den Deutschiraner praktisch unmöglich war, der Klischeefalle zu entkommen. Die Jury des Bayerischen Filmpreises, die den Filmemacher im Januar für diese Regiearbeit auszeichnete, störte das nicht. Sie urteilte: „Vom Licht über Szenenbild bis hin zur Kostümgestaltung, alles erzählt von Gegensätzen und ihrer Überwindung, ohne daß der Film dabei an Leichtigkeit einbüßt.“

Das mag für einen alles in allem ziemlich konventionellen Unterhaltungsfilm ein wenig hoch gegriffen sein, aber zweifelsohne ist dem Autor und Regisseur aufgrund der besonders in der Anfangsphase des Films extrem spritzigen Dialoge ein charmantes Sommervergnügen gelungen, das sich ideal für alle eignet, bei denen dieses Jahr der so beliebte Urlaub am Mittelmeer ausfallen mußte. Der gebürtige Teheraner verfrachtet seine Zuschauer nämlich so gekonnt in mediterranes Ambiente, daß man sich nach dem Kinobesuch selbst ein bißchen gebräunt und von den sanften Brisen Apuliens gestreichelt vorkommt.

Foto: Andi (Moritz Bleibtreu, r.) mit seiner Ex-Frau Marion (Laura Tonke) und dem gemeinsamen Sohn Milan (Valentin Thatenhorst): „Wie viele Grenzen braucht ein Kind?“

Kinostart ist am 29. August 2024