Krisen, Revolutionen und Kriege: All das ließ die europäischen Universitäten nicht von klassischer Lehre und Forschung abkehren. Besorgniserregend, daß ausgerechnet linke Strömungen die tausendjährige Bildungseinrichtung ihres freien Gedankenaustausches berauben. Welches Ventil in der Geschichte hat versagt?
Die heutigen Universitäten zählen eine ganze Reihe an Red Flags, wie Jugendliche es ausdrücken würden. Red Flags sind Charaktereigenschaften, weswegen man mit jemandem keine Beziehung eingehen würde. Wäre die Universität also ein Mensch, folgen jetzt nur wenige Beispiele für rote Flaggen: Professoren, denen es an Mut fehlt, ihre Meinung frei zu äußern. Lehrkräfte und Studenten, die Angst haben vor Repressalien, wenn sie unter echtem Namen kritisch publizieren. Es sind die vielen neuen, eigentlich völlig aus der Luft gegriffenen Studiengänge, die mit ihren Ideologien die traditionellsten Lehren stören – entweder durch Frauenquoten oder indem die sowieso schon begrenzte Zeichenanzahl in wissenschaftlichen Artikeln mit Sternchen und „-innen“ gefüllt wird. Oder unter Zwang. Denn es sind Gender-Beauftragte, Quoten-Beauftragte, Political-Correctness-Beauftragte und viele weitere Beauftragte, die freiwillig die Rolle eines Blockwarts an einer Institution spielen, die einst geprägt war von Neugierde, Ausprobieren und Debatte. Das alles ist kein Geheimnis und doch stellt sich Rechten und Konservativen immer wieder die Frage: Wie konnte es so weit kommen?
Zwölf Autoren umreißen im Buch „Das Ende der Universität. Niedergang und mögliche Erneuerung einer europäischen Institution“ einen klaren Querschnitt des akademischen Zerfalls. Verantwortlich für die Publikation sind Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig. Die beteiligten Autoren beklagen in einzelnen Beiträgen die aktuelle „woke“ Situation in der Akademie, basierend auf ihren Erfahrungen im In- und Ausland. Jeder Artikel behandelt einen individuellen Themenkomplex aus dem vielfältigen linken Einfluß sachlich, verständlich und bettet diesen in die Geschichte der Universität ein. Um nur einige Beispiele zu nennen: Egon Flaig beschreibt, wieso die Einrichtungen keine Intellektuellen mehr hervorbringen. Historisch begründet können Linke keine Intellektuellen sein, denn sie sind weltfremd und werten jegliche Kultur ab, was einen Intellektuellen ausmacht.
Konservative Philanthropen als Finanziers freier Forschung
Peter Brenner ergänzt, daß die heutigen Einrichtungen ein neuartiges Proletariat anstelle einer Elite entfalten. Den Grundstein dafür legte die 68er-Bewegung. Anvisiert wurden damals die „Umbildung der Universität von Eliten zu Masseneinrichtungen“ und „das Bestreben einer sozialen Öffnung“. Ehrenwerte Absichten, deren Ergebnis mitunter der Bologna-Prozeß ist. Ein System, das den Erwerb von Leistungspunkten durch den Besuch in einem „Hochseilgarten“ erlaubt. Josef Kraus zählt Punkt für Punkt auf, wie „Wissenschaft und Forschung ihr Ansehen verspielen“. Von der Moralisierung der Geisteswissenschaften bis hin zur einseitigen Darstellung von Wissenschaft und Forschung. Und während Hörsäle von Studenten aus aller Welt geflutet werden, „greift die englische Sprache um sich“ und dominiert ganze Studiengänge. Die deutsche Sprache – uncool!
Der naive Umgang mit der 68er-Bewegung war jenes Ventil, was versagt hat und die tausendjährige Geschichte der Universität zu Fall brachte. So ähnlich jedenfalls umschreibt David Engels die historische Gesamtsituation. Konservative, Rechte, Liberale und jene mit ähnlichen Ansichten gaben damals Raum für linke Strömungen, für die oft zitierte Vielfalt und Offenheit, für Andersartigkeit, nur, um den akademischen Diskurs pluralistisch zu halten. Ein ehrenwerter Gedanke, der ungeachtet ließ, daß Linke langfristig übergriffiger agiert als Konservative oder Rechte. Seit nun fast 60 Jahren dominiert linke Gesinnung die Universitäten und ein Ende scheint nicht in Sicht, oder?
Ein „zweiter Marsch durch die Institutionen“ etwa von rechts, würde mindestens zwei Generationen dauern. Cancel Culture, Gendern und Quotenbeauftragte verfestigen in der Zeit ihre Deutungshoheit und erfinden bis dahin weitere Geschlechter. Konservativen bliebe nichts anderes übrig, als von Null zu beginnen. In kleinen Schritten. Engels’ Vorschlag gleicht daher auf den ersten Blick einer Kapitulation, denn ein jeder Neubeginn erfordert viel Kraft. Wovon Engels spricht, ist, daß es „immer mehr ‘konservative’ Philanthropen gibt“, die spendenbereit sind. Mit einem „Minimum an Aufwand“ und einem „Maximum an Motivation“ könnten sie einen Prototyp neuartiger, universitärer Einrichtung finanzieren. In einer Art Mini-Universität würden an die heutige Zeit angepaßte konservative, rechte, liberale und ähnliche Denkrichtungen die Lehre, Forschung und freiheitlichen Gedanken neu definieren. Neue Eliten und Intellektuelle, orientiert an der Universität vor 1968, würden wie ein Phönix aus der Asche auferstehen und die heutigen Universitäten, die zweifellos zum Handlanger des Zeitgeistes mutiert sind, herausfordern.
Das Buch schafft jedenfalls ein Bewußtsein dafür, die heutigen Wissenschaftsbetriebe nur noch als einen Schatten ihrer selbst wahrzunehmen und keinesfalls damit zu vergleichen, was sie noch bis in die jüngste Gegenwart verkörperten.
Alexander Ulfig, Harald Schulze-Eisentraut (Hrsg.): Das Ende der Universität. Niedergang und mögliche Erneuerung einer europäischen Institution. Deutscher Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2024, broschiert, 190 Seiten, 19,95 Euro