Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Klimaschutzbeschluß vom 24. März 2021 eine Büchse der Pandora geöffnet. Als die ihm zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden seinerzeit durch mehrere, von Umweltschutzorganisationen koordinierte Bürger, darunter etliche Minderjährige, erhoben wurden – gerichtet darauf, den Bundesgesetzgeber zu einer merklichen Verschärfung des Klimaschutzgesetzes zwecks Erfüllung vermeintlicher völkerrechtlicher Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen von 2015 zu verpflichten – hielten viele Staatsrechtler dies eher für eine symbolische Aktion.
Denn: erstens sind Verfassungsbeschwerden nur zur Verteidigung eigener grundrechtlicher Positionen da, nicht zur allgemeinen Korrektur der Politik; der Bürger kann kein Aufsichtsrecht sei es über die Außenpolitik, sei es über die allgemeine Gesetzgebung geltend machen. Daher kann die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik, also hier vermeintlich aus dem Pariser Abkommen, nicht von Bürgern mit der Verfassungsbeschwerde eingeklagt werden.
Zweitens hat die Bundesrepublik sich nicht völkerrechtlich bindend zu bestimmten CO₂-Ausstoßverringerungen verpflichtet. Entsprechende, im Nachgang zum Pariser Abkommen proklamierte Einsparziele sind reine Selbstverpflichtungen politischen, nicht rechtlich bindenden Charakters; würde die Bundesrepublik sie widerrufen – was sie faktisch schon getan hat –, könnte kein anderer Staat sie vor dem Internationalen Gerichtshof (IHG) deswegen verklagen.
Das Kabinett Merkel-IV sah dem ersten Verfahren eher passiv zu
Und im Hinblick auf das Grundgesetz selbst können Verfassungsbeschwerden eigentlich nur auf die Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten gestützt werden, nicht etwa auf die Staatszielbestimmung Umweltschutz (Artikel 20a), in der vom Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und seit 2002 auch vom Tierschutz, jedenfalls aber nicht vom „Klimaschutz“ die Rede ist. Dies ist auch insofern systematisch richtig, als das künftige Weltklima von Deutschland aus ohnehin nicht durchgreifend beeinflußt werden könnte.
Zur Überraschung nicht weniger Fachleute hat das BVerfG den Verfassungsbeschwerden aber weithin Recht gegeben, wozu eine vollkommene Umdeutung der bisherigen, liberalen Grundrechtsdogmatik notwendig wurde: vom Rechtsstaat zum Klimastaat. Aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem Schutz von Leben und Gesundheit, folge die Pflicht des Gesetzgebers, auch künftige Generationen vor den „Gefahren des Klimawandels zu schützen“. Der Schutzumfang folge wiederum aus Art. 20a GG, wobei das Bundesverfassungsgericht das aus dem Pariser Abkommen folgende „1,5-Grad-Ziel“, das per se eigentlich ebenfalls nur politischen und nicht rechtlich bindenden Charakter hat, konkretisierend in das „Staatziel Umweltschutz“ hineinlas.
So wurde aus einer rechtlich nicht bindenden außenpolitischen Erklärung der Bundesrepublik, die in eine seitens des Bürgers eigentlich nicht einklagbare Staatszielbestimmung hineingelesen wird, in der zudem vom Klimaschutz kein Wort steht, eine subjektiv klagbare verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers. Und alles nur, um den Satz durchzusetzen, die Ausübung aller Grundrechte stünde von nun an unter dem Vorbehalt der Klimaverträglichkeit, weswegen zur Wahrung der Generationengerechtigkeit drastische Einschnitte schon alsbald erforderlich seien, gesetzlich konkret vorgesehen werden müßten und nicht weiter in die Zukunft verschoben werden dürften.
Dabei verkannte das Gericht übrigens keineswegs den Umstand, daß das Weltklima von Bundesregierung und Bundesgesetzgeber nicht zu verändern ist; diese dürften sich ihrer globalen „Verantwortung“ jedoch nicht durch Verweis auf den CO₂-Ausstoß anderer Staaten entziehen.
Während das schwarz-rote Kabinett Merkel-IV dem Verfahren vor dem BVerfG beinah passiv zugesehen hatte, fiel der von der bahnbrechenden Entscheidung dann ab 2021 betroffenen Ampel-Regierung bald auf, daß die Infolge der Vorgaben ins Werk gesetzten Änderungen des Klimaschutzgesetzes nicht durchzuhalten waren. Das Bundeskabinett hatte schon wenige Wochen nach der Entscheidung einen Entwurf zur Verschärfung des Klimaschutzgesetzes vorgelegt, der am 31. August 2021 in Kraft trat. In den Jahren 2021 und 2022 wurden jedoch die Emissions- und Reduktionsziele im Gebäude- und Verkehrssektor klar verfehlt. Ein dann im Mai 2023 vorgelegter Referentenentwurf der Bundesregierung zu einer zweiten Novelle führte zu einem einjährigen Streit zwischen den Regierungsparteien, bis ein vielfach veränderter Entwurf schließlich Ende April 2024 vom Bundestag beschlossen und am 15. Juli 2024 – nach wochenlangem Zögern und abermaligen rechtlichen Prüfungen – vom Bundespräsidenten ausgefertigt wurde.
Gute Erfolgsaussichten der drei neuen Verfassungsbeschwerden?
Während bislang für jeden Sektor, wie etwa Verkehr, Gebäude und Energiewirtschaft, konkrete jährliche Obergrenzen des CO₂-Ausstoßes gelten sollten, sollen nun „Emissionstöpfe“ für die 2020er, 2030er und die erste Hälfte der 2040er Jahre eingeführt werden, so daß also die weiterhin jährlich zu erwartende Verfehlung der in einer Industriegesellschaft nicht einhaltbaren CO₂-Grenzen nicht mehr unmittelbar als Rechtsbruch erscheint und wohl ohne unmittelbare Konsequenz bleiben würde.
Gegen diese Verwässerung der den Klimaschutzbeschluß umsetzenden ersten Novelle des Klimaschutzgesetzes werden daher jetzt wieder diverse Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht, wobei sich drei Klägergruppen unterscheiden lassen. Die erste gruppiert sich um Greenpeace und Germanwatch – ein gemeinnütziger Verein, der im wesentlichen offenbar die Verarmung der Weißen anstrebt – und umfaßt auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und weitere Bürger. Die zweite wird vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) koordiniert, die dritte von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die sich jahrelang unter anderem vom Toyota-Konzern dafür bezahlen ließ, die Diesel-Technologie deutscher Hersteller zu torpedieren.
Die Erfolgsaussichten der neuen Verfassungsbeschwerden müssen, falls der Erste Senat an seiner Klima-Rechtsprechung festhält, als gut gelten. Es könnte sich allerdings zeigen, daß die immer wieder kritisierte enge Abstimmung zwischen Bundesregierung und BVerG, durch die die Karlsruher Richter über die faktische Unumsetzbarkeit ihres zeitgeistig-grünen Irrbeschlusses mittlerweile unterrichtet sein dürften, sich hier einmal segensreich für Deutschland auswirken könnte.
Dr. Ulrich Vosgerau ist Rechtsanwalt und lehrte Öffentliches Recht u. a. an der Universität zu Köln.
Foto: Luisa Neubauer bei der Klageankündigung in Berlin: Das Weltklima von Deutschland aus beeinflussen?
„Praktisch kein Klimabudget mehr vorhanden“
Drei Aktivistenkreise haben im Juni Verfassungsklagen gegen das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) angekündigt. Die Greenpeace-Gruppe wird von Felix Ekardt vertreten. Die „Klimaziele“ seien „grundrechtswidrig schwach, weil praktisch kein Klimabudget mehr vorhanden ist – für die 1,75-Grad-Grenze nicht, und für die 1,5-Grad-Grenze, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jüngst als die menschenrechtlich maßgebliche Grenze bezeichnete, erst recht nicht“, behauptet der Rostocker Juraprofessor. Mit der KSG-Novelle werde „die Einhaltung selbst der unzureichenden deutschen Ziele weiter erschwert“, so Ekardt, der auch die Koblenzer Ärztin Mareike Bernhard vertritt. „Ich glaube ganz fest daran, daß eine klimagerechte Welt eine Welt ist, die gesünder, sauberer und streßfreier ist für uns alle“, sagte die 35jährige von Health for Future im SWR. Die Umwelthilfe (DUH) sucht zudem 100.000 „Klimahelden“, die sich ihrer Beschwerde anschließen: „Du trägst kein rechtliches Risiko, aber wir nehmen dein Votum und deine Stimme mit vor Gericht.“ (fis)
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