© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/24 / 30. August 2024

Die wollen doch nur spielen – von wegen
Die Videospielemesse „Gamescom“ in Köln setzt neue Trends
Florian Werner

Wer hätte gedacht, daß Zocken nochmal staatstragend wird? Die Rede von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf der weltgrößten Spielemesse Gamescom in Köln vergangene Woche erweckte jedenfalls den Eindruck, Daddeln sei im digitalen Kapitalismus der Wachstumsmotor schlechthin.

Tatsächlich ist Habeck nicht nur Wirtschafts- und Klima-, sondern auch „Gamesminister“. Eine Mannschaft von Referenten kümmert sich unter seiner Aufsicht um Spielepolitik. Zwar gab Habeck zu, selbst kein Zocker zu sein, zeigte sich aber trotzdem stolz darauf, daß Gaming zum stärksten Wertschöpfungsfaktor in der deutschen Kreativ­szene geworden sei.

„Wo Games sind, ist KI, da sind Forscher nicht weit weg“, staunt der Politiker. Der Mittelstand, die Industrie und der Maschinenbau würden durch Spieleentwicklung angezogen. Dadurch trage Gaming dazu bei, digitale Kompetenzen für Deutschland zu sichern. Über 34 Millionen Menschen spielen hierzulande regelmäßig Videospiele.

Der Außenseiter, der in seinem Zimmer nur mit den Tasten WASD und seiner linken Maustaste bewaffnet den Ersten, Zweiten und Dritten Weltkrieg gewinnt – er ist auf einmal die Vorhut echter Wirtschaftskriege. Daß der amerikanische Chipkonzern Nvidia 2023 mit einer Marktkapitalisierung von über einer Billion US-Dollar zu einem der wertvollsten Techunternehmen der Welt aufgestiegen ist, verdankt er vor allem den Fans von Spielen wie „Battlefield“ oder „Last of Us“. Die Entwicklung dieser Titel ist eng mit Fortschritten in Sachen KI und Grafik verbunden.

Spiele sollen immer besser aussehen und sich authentisch anfühlen. Der Endboss soll nicht gegen die Wand laufen, sondern clever sein – für Hochleistungssoftware eine ideale Spielwiese. Hier werden die Algorhithmen und Simulationen der Zukunft getestet. Mit anderen Worten: Nicht nur der Spieler spielt, sondern auch das System selbst.

Zocken als Motor für Wirtschaft und Forschung

Das macht die Gamescom mit ihren 1.400 Ausstellern aus über 50 verschiedenen Ländern so interessant. Seit 2009 werden jedes Jahr mehrere hunderttausend Besucher am Rhein erwartet. Die Entwicklerstudios mit den Millionen Euro schweren AAA-Spielen hießen auch dieses Mal EA Games aus den USA und Ubisoft aus Frankreich. Während die Amerikaner die neueste Version des Fußballspiels „Fifa“ vorstellten, setzten die Franzosen die Serie „Assassin’s Creed“ fort, bei dem man in die Haut eines Auftragsmörders im vormodernen Japan schlüpft.

Besonders hervorzuheben sind aber vor allem zwei Titel: „Stalker 2“ und „Manor Lords“. Während das ukrainische Team von GSC Game World mit „Stalker 2“ einen düsteren Ego-Shooter in der radioaktiv verstrahlten Zone rund um das havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl geschaffen hat, ist „Manor Lords“ ein Aufbaustrategiespiel aus Tschechien, bei dem man in die Rolle eines mittelalterlichen Fürsten schlüpft, der malerisch in Szene gesetzte Ländereien kultiviert, Siedlungen gründet und Schlachten schlägt.

Gerade, daß „Manor Lords“ großteils von einem einzigen Entwickler kreiert wurde, hat für Furore gesorgt. Beide Spiele warten mit einer Atmosphäre auf, die Gaming insgesamt in den Rang einer Kunstgattung hebt. Gerade osteuropäischen Studios ist dies in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen. Erinnert sei an den Sci-Fi-Shooter „Cyber Punk 2077“ aus Polen.

Hier gehen Kultur, Kapital und KI fließend ineinander über. Kein Wunder, daß auf der Gamescom auch der ideologische Gehalt von Spielen verhandelt wird, nicht selten mit ideologisch überformten Fragestellungen. „Turning Play into Environmental Action“ über Wege zu besserem Klimaschutz am Controller ist ein Beispiel dafür. Das Panel „Joystick & Journalismus: Die perfekte Kombination für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk“ ein anderes.

Vielleicht wird gerade deshalb so viel debattiert, weil die deutsche Spieleindustrie selbst schwächelt. Der Geschäftsführer des deutschen Branchenverbandes „Games“, Felix Falk, warnte unlängst in der Welt: „Der Games-Standort Deutschland ist international kaum noch wettbewerbsfähig.“ In anderen Ländern sei die Entwicklung wesentlich günstiger. „Aus diesem Grund gibt es hier kaum große Entwicklerstudios.“ Mit „Piranha Bytes“ aus Essen, den Entwicklern des Kultspiels „Gothic“, ist im Frühjahr ein Vorzeigestudio insolvent gegangen. 

Dessen Chef, Björn Pankraz, zeigte sich im Deutschlandfunk dennoch zuversichtlich. „Für mich ist das hier absolute Euphorie.“ Viele Menschen wüßten zwar, daß die Gamesbranche wackele. Trotzdem würden alle möglichen Leute in den Messehallen umherlaufen und ihr Glück suchen. Eldorado – das ist heute offenbar nicht mehr nach Gold schürfen, sondern das nächste Level schaffen.