© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/24 / 06. September 2024

Letzte Hoffnung: Hilfspaket
Warme Worte und Waffenrecht: Angesichts von wütenden Wählern verspricht die Ampel, für mehr Sicherheit zu sorgen
Peter Möller

Historiker werden die Innenpolitik der Ampel später vermutlich in eine Zeit „vor“ und „nach“ Solingen einteilen. Denn das von SPD, Grünen und FDP nach dem islamistischen Messerattentat mit drei Toten im nordrhein-westfälischen Solingen Ende August hastig vor den Landtagswahlen am vergangenen Wochenende in Thüringen und Sachsen auf den Weg gebrachte „Sicherheitspaket“ ist insbesondere in der Migrationspolitik ein deutlicher Kurswechsel. Doch auch an anderen Stellschrauben soll gedreht werden, um der spürbaren Verunsicherung in der Bevölkerung Rechnung zu tragen.

„Wir werden das Waffenrecht verschärfen, wir werden die Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden stärken, um noch härter als bislang Islamismus bekämpfen zu können. Wir werden Rückführungen noch stärker forcieren, unter anderem bei sogenannten Dublin-Fällen. Und wir werden weitere Maßnahmen zur Reduktion irregulärer Migration ergreifen“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Ende vergangener Woche bei der Vorstellung der Ampel-Pläne in Berlin.

Insbesondere beim Aufenthaltsrecht und bei Abschiebungen kündigte Faeser Änderungen an. „Wer in Deutschland keinen Anspruch auf Schutz hat, muß unser Land schneller wieder verlassen.“ Für Dublin-Fälle, also Asylbewerber, die über ein sicheres Drittland eingereist sind und die daher ihr Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten betreiben müssen und für die der betreffende Mitgliedstaat dem Übernahmeersuchen bereits zugestimmt hat, soll der weitere Bezug von Leistungen ausgeschlossen werden. Auch beim Thema Urlaub sollen die Regelungen verschärft werden: Wer ohne zwingenden Grund wie die Beerdigung naher Angehöriger in sein Heimatland reist, dem soll laut Faeser der Status als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter aberkannt werden. 

Um bürokratische und rechtliche Hürden zu beseitigen, kündigte die Innenministerin eine Taskforce von Bund und Ländern an, um die Zahl der Dublin-Rückführungen zu erhöhen. Für Asylbewerber, die schwere Straftaten begangen haben, soll die Schwelle für ein „schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ gesenkt werden. Mit anderen Worten: Sie sollen schneller außer Landes geschafft werden können. Auch wenn sie Straftaten mit einem Messer verüben oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurden, sollen sie künftig ausgewiesen werden. Diese härtere Gangart soll auch für Jugendliche gelten: Jugendstrafen, die länger als drei Jahre dauern, sollen als schwere Straftat ­gewertet werden und zur Ausweisung führen.

Das Sicherheitspaket enthält zudem weitere Maßnahmen im Kampf gegen den Islamismus. So sollen die Sicherheitsbehörden zusätzliche Befugnisse erhalten, um Islamisten gezielter und effektiver bekämpfen zu können, insbesondere mit Blick auf das Internet und die digitale Kommunikation. „Ermittlungsbehörden bekommen künftig die Befugnis zum biometrischen Abgleich von Internetdaten, die sogenannte Gesichtserkennung. Damit wird es möglich sein, Tatverdächtige oder gesuchte Personen schneller zu identifizieren“, sagte Faeser.  Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz solle den Behörden ermöglicht werden.

Besonders kontrovers wurden die Pläne der Ampel zur Verschärfung des Waffenrechts diskutiert, die nach der Tat von Solingen am schnellsten auf dem Tisch lagen und sozusagen den eigentlichen Kern des Sicherheitspaketes bilden. Demnach sieht das Maßnahmenpaket vor, ein Messerverbot bei Volksfesten, Sportveranstaltungen und ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen einzuführen. Zudem sollen die Bundesländer laut Faeser ermächtigt werden, absolute Messerverbote an kriminalitätsbelasteten Orten wie an Bahnhöfen einzuführen. Im Nahverkehr können die Länder bereits jetzt das Mitführen von Messern ab einer Klingenlänge von mehr als vier Zentimetern verbieten. Faeser kündigte an, daß die Länder weitere Kontrollbefugnisse erhalten sollen, um die neuen Regelungen zu überwachen. Die Bundespolizei erhalte zudem die Möglichkeit zu verdachtsunabhängigen stichprobenartigen Kontrollen. Auch die Anforderungen für Waffenbesitzkarten sollen verschärft werden. „Künftig werden auch die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt abgefragt, wenn jemand eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt oder die Zuverlässigkeit eines Antragstellers geprüft wird“, sagte Faeser. 

Kritiker sprechen mit Blick auf die Verschärfung des Waffenrechts indes von Aktionismus. So sei einiges, wie etwa das Mitführen von Waffen beziehungsweise Messern etwa auf Volksfesten bereits jetzt verboten. Andererseits könnten Bürger bei den geplanten Maßnahmen künftig schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wenn sie beispielsweise ein neu gekauftes Küchenmesser nach Hause transportierten.

Grundsätzliche Kritik äußerte AfD-Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel: „Waffenrechtsverschärfungen und Messerverbote sind vorab schon erkennbar wirkungslose Augenwischerei. Kein Terrorist läßt sich dadurch von seiner Tat abhalten“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeigte sich erstaunt, daß jetzt Dinge möglich seien, die die Koalition bisher immer abgelehnt habe. „Wenn die Ampel jetzt einen Kurswechsel vollzieht und inhaltlich auf die Union zugeht, werden wir uns die Inhalte genau anschauen. Entscheidend bleibt für uns dabei, daß die Zahlen der illegalen Migration runter und die Abschiebezahlen rauf müssen“, sagte er.

Das unangenehme  Thema möglichst schnell abräumen

Angesichts der öffentlichen Stimmung, die seit dem blutigen Attentat von Solingen auch von maßgeblichen Ampelpolitikern als deutlich migrationskritischer wahrgenommen wird, drücken insbesondere SPD und FDP aufs Tempo, um möglichst bald nach Ende der parlamentarischen Sommerpause in der kommenden Woche im Bundestag konkrete Maßnahmen zur Abstimmung zu stellen. Das Ziel: das für die Ampel unangenehme Thema zumindest fürs erste „abzuräumen“.

Diesem Ziel diente auch das Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Ländern und der Union als größter Oppositionskraft am Dienstag. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU), erhöhte schon vor dem Treffen den Druck: „Wir brauchen jetzt kein Brainstorming mit der Bundesregierung, sondern die Bundesregierung braucht die Bereitschaft zum Schlußstrich. Wir brauchen eine Zeitenwende in der Migrationspolitik – und zwar jetzt“, sagte Rhein der dpa. Er forderte unter anderem die Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union, mehr sichere Herkunftsstaaten und den Entzug der Staatsbürgerschaft für Straftäter und Gefährder.


Foto: Polizisten sichern die Trauerfeier für die Opfer des Terroranschlags von Solingen: Härtere Gangart?