Wenn Politiker eines schon zu Beginn ihrer Karriere verinnerlichen, dann das: niemals das Unvermögen eingestehen, eine Frage nicht beantworten zu können. Wenn man keine Ahnung hat, muß auf die thematische Umgehungsstrecke abgebogen, dann müssen Phrasen gedroschen, muß auf Teufel komm raus schwadroniert werden; bloß keine Wissenslücke offenlegen oder peinliche Pause entstehen lassen! Um so erstaunlicher, wenn ein führender Volksvertreter von dieser Routine abweicht. Bei der jüngsten Befragung des Regierungschefs im Niedersächsischen Landtag stellte die Abgeordnete Vanessa Behrendt (AfD) eine sehr kurze Frage: „Herr Ministerpräsident, wie viele Geschlechter gibt es?“ Antwort Stephan Weil (SPD): „Frau Kollegin, es tut mir echt leid, diese Frage überfordert mich.“ Das war entwaffnend ehrlich. „Ja, tatsächlich“, bekräftigte der Sozialdemokrat in die Lacher aus dem Plenum hinein. Er habe nämlich gelernt, daß das äußerst differenziert zu beantworten sei und dann auch im einzelnen streitig beurteilt werde. Und entschuldigend räumte er ein, „nur ein einfacher Jurist“ zu sein. Deswegen gehe er vom geltenden Recht aus, „und das kennen wir alle“. Kurze Frage, knappe Antwort. Und ein Bruch mit der einschlägigen Regel (siehe oben). Tatsächlich sind dem 65jährigen Ministerpräsidenten die „nicht-binären, genderqueeren, agender“ und ungezählten anderen „Geschlechtsidentitäten“ nicht so geläufig, als daß er sie aufzählen könnte. Aber hätte er seinem Schulwissen Biologie folgend schlicht „zwei“ antworten sollen – um möglicherweise der AfD beizupflichten und sicherlich die identitätspolitischen Wachhabenden in den eigenen Reihen sowie beim grünen Koalitionspartner zu erzürnen? Weil Weil ein gewiefter Politiker ist, gab er sich ausnahmsweise ahnungslos und konnte so eine politische Klippe umschiffen.