Die blutige Verfolgung eines Speedbootes durch ein Patrouillenboot der Küstenwache vor der griechischen Insel Symi zeigt, wie sehr Griechenland – und damit die gesamte Europäische Union – den Migrationsströmen auf dem Seeweg ausgesetzt ist.
Der Vorfall ereignete sich am 23. August. Ein Boot mit illegalen Migranten, das von der Türkei zu der kleinen Insel in der südöstlichen Ägäis, nur 3,8 Seemeilen von der türkischen Küste entfernt, fuhr, wurde von einem Patrouillenboot der Küstenwache entdeckt und verfolgt. Einem Bericht der Zeitung Kathimerini zufolge „beschleunigte der türkische Pilot und versuchte zu fliehen, wobei er nach offizieller Version versuchte, das Boot der Küstenwache zu rammen. Die Offiziere des Korps eröffneten das Feuer, um den Außenbordmotor auszuschalten. Eine Kugel traf jedoch eine der 25 Personen an Bord (nicht den Kapitän des Bootes) und verletzte ihn tödlich.“
Die Zeitung weist darauf hin, daß die Schmugglerringe allmählich ihren Modus operandi ändern und sich nun „den Inseln der Ostägäis mit Booten nähern, die hohe Geschwindigkeiten erreichen können, und die Rekrutierung von entschlossenen und oft bewaffneten Betreibern hat eine Reihe von ‘eskalierenden Zwischenfällen’ verursacht“.
Kathimerini berichtet unter Berufung auf Informationen aus dem Hauptquartier der Küstenwache, daß „seit Anfang des Jahres bis heute nicht weniger als 200 Vorfälle von Migrantenschmuggel aus der Türkei zu den Inseln der Ostägäis unter Verwendung von Speedbooten verzeichnet worden sind“.
In Italien weniger Migranten, dafür in Spanien und Griechenland mehr
Aus den täglichen Pressemitteilungen der Küstenwache geht hervor, daß allein zwischen dem 23. und 29. August insgesamt zehn solcher Vorfälle registriert wurden. Die meisten ereigneten sich in der südöstlichen Ägäis und in den Seegebieten zwischen den griechischen Inseln und der Türkei. Die Aktivitäten der Schleuser haben sich von den Inseln der nordöstlichen Ägäis wie Samos, Chios und Lesbos verlagert, auf denen sich große Aufnahmezentren für illegale Einwanderer befinden und auf die die Küstenwache ihre Maßnahmen konzentriert hat. Neun dieser zehn Fälle ereigneten sich auf Rhodos, Symi, Tilos, Kos und Leros.
Die Zunahme der Migrationsströme in Griechenland wird auch in einem Artikel der französischen Zeitung Le Figaro hervorgehoben, dem zufolge in Italien Innenminister Matteo Piantedosi bis zum 27. August einen Rückgang der Migrationsströme um 65 Prozent verkündet hat, während „die Anlandungen in Spanien um 155 Prozent und in Griechenland um 222 Prozent“ gestiegen seien.
Die griechische Regierung bestätigt, daß die Migrationsströme zunehmen. Sie bezeichnet die Situation jedoch als „logisch“. In einem Interview mit dem Athener Radiosender Real Fm sagte der Minister für Einwanderung und Asyl, Nikos Panagiotopoulos: „Die Daten der Migrationsströme zeigen einen relativen Anstieg, was logisch ist, da in den Sommermonaten der Übergang leichter ist, weil die Bedingungen, vor allem das Wetter, besser sind.“ Der Minister wies sogar darauf hin, daß die „Achillesferse“ der Grenzverwaltung die südöstliche Ägäis sei. „Wenn wir den Teil der südöstlichen Ägäis, dort um Rhodos, ausklammern, werden die Ströme ins Land von den anderen, sagen wir mal, Einreisepunkten kontrolliert, sie sind normal für die Saison.“
Nach den Daten der monatlichen Newsletter des griechischen Ministeriums für Einwanderung und Asyl sind in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 11.672 illegale Einwanderer über die griechisch-türkischen Land- und Seegrenzen nach Griechenland eingereist, während es im gleichen Zeitraum dieses Jahres 23.204 waren. Eine Verdoppelung des Zustroms aus der Türkei klingt gewiß nicht „logisch“.
Die Türkei wurde von der EU finanziell unterstützt, um sicherzustellen, daß der Zustrom von Migranten in die Länder, mit denen sie eine gemeinsame Grenze hat (Griechenland, Bulgarien), gestoppt wird. Darüber hinaus hat sie seit Dezember vergangenen Jahres ein spezielles Abkommen mit Griechenland geschlossen, das auch diese Verpflichtung beinhaltet. Auch der griechische Minister für Einwanderung weist auf die Verantwortung der Türkei hin: „Der Kampf gegen die illegale Migration geht definitiv über die Zusammenarbeit mit den Nachbarn, also mit der Türkei.“
Laut der Online-Ausgabe der Wochenzeitung To Vima werden der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am 23. September am Rande der UN-Generalversammlung in New York zusammentreffen, wobei die Zypernfrage und die Migration die Hauptthemen ihrer Gespräche sein werden.
Sich widersprechende Ansagen über Kooperation aus Ankara
Panagiotopoulos wies auch auf die Probleme hin, die durch internationale Verträge und den Interventionismus der Europäischen Union entstanden sind: „Es ist unmöglich, daß wir uns nicht an die Regeln des internationalen Rechts und an die Bedingungen der Europäischen Union halten, die die Steuerung des Migrationsprozesses finanziert.“
Doch die Situation ist verfahren. Denn immer wieder wirft Ankara Athen vor, „illegale Pushbacks“ zu goutieren. So wiesen die türkischen Behörden am vergangenen Freitag darauf hin, daß sie 19 illegale Migranten aus einem Rettungsboot in der Ägäis gerettet hätten, nachdem sie von „griechischen Elementen“ in türkische Gewässer zurückgedrängt worden seien, hieß es undiplomatisch.
Einen Tag zuvor hatten der griechische Minister für Einwanderung und Asyl, Nikos Panagiotopoulos, und der türkische Innenminister Ali Yerlikaya, der seinen Besuch in Athen zuvor abgesagt hatte, weil ihm einige Äußerungen von Panagiotopoulos über Erdoğan nicht gefallen hatte, telefoniert.
Laut der griechischen Wochenzeitung To Vima wurde dabei vereinbart, gegen die „kriminellen Schlepper“ aus der Türkei zusammenzuarbeiten. Auch habe Yerlikaya eingeräumt, daß die Migrationsströme im Norden des Landes zwar zurückgegangen seien, daß dies aber in der südöstlichen Ägäis nicht der Fall sei. Eine besondere Erwähnung hätten die Schnellboote gefunden, die derzeit in der Ägäis von „kriminellen Schleusern“ mit Geschwindigkeiten von über 50 Meilen pro Stunde eingesetzt werden, so To Vima.
Die kleine Insel Gavdos, südlich von Kreta, ist der neue Hotspot
Die Probleme beschränken sich jedoch nicht nur auf den massiven Anstieg der illegalen Einwanderer aus der Türkei. Ein neuer Korridor von Nordafrika, vor allem von Libyen, nach Kreta und auf den Peloponnes wird nun auch genutzt.
Gavdos, eine kleine griechische Insel südlich von Kreta, nur 190 Seemeilen von Tobruk entfernt, ist jetzt das neue Ziel der Flöße mit Hunderten von illegalen Einwanderern, die ohne Schwimmwesten und ohne grundlegende Sicherheit zusammengepfercht sind.
In einem Bericht von Kathimerini hieß es, daß „von Anfang 2024 bis Februar 12.573 Migranten in dem Gebiet festgestellt wurden, während im gesamten Jahr 2023 die Zahl der geretteten Flüchtlinge und Migranten in demselben Gebiet nur 666 betrug“. Diese Zahlen sind nie in den Newslettern des Ministeriums für Einwanderung publiziert worden. Erst ab März 2024 erschien auf der letzten Seite des Monatsberichts eine spezielle Tabelle mit dem Titel: „Sonderausgabe – Migrationsströme im zentralen Mittelmeerkorridor“. Dort ist zu lesen, daß in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 auf Kreta und Gavdos lediglich 2.358 illegale Einwanderer festgestellt wurden. Doch die Daten der Küstenwache zeigen ein anderes Bild.