© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/24 / 06. September 2024

Macrons Dilemma mit der Brandmauer
Frankreich: „Steigbügelhalter des Faschismus“ will Präsident Macron nicht sein – doch die Linken möchte er auch nicht in der Regierung haben
Felix Hagen

Michel Onfray ist wütend. Der Philosoph aus der Normandie, der sich in Frankreich in der Rolle eines linken Gewissens etabliert hat, nimmt niemand anderen ins Visier als den Inhaber der höchsten Würde, die Frankreich vergeben kann: Staatspräsident Emmanuel Macron. Der zerstöre gerade „die fünfte Republik“, verrate damit nicht nur Frankreichs Werte, sondern auch das Erbe de Gaulles. 

Das politische Tagesgeschäft leidet unter der unübersichtlichen Lage

Der Hintergrund der philosophischen Tirade? Macron weigert sich unverändert, der extremen Linken unter Jean-Luc Mélenchon einen Auftrag zur Bildung einer Regierung zu geben. Die hatte zwar in der letzten Runde der Parlamentswahlen ein hervorragendes Ergebnis einfahren können, doch bisher weigert sich der vergleichsweise wirtschaftsliberale Macron, dem Bündnis aus Sozialisten, Trotzkisten und sonstigen linksextremen Parteien und Verbänden tatsächlichen Zugang zur Exekutive zu gewähren. 

Macrons Dilemma: Ein Bündnis aller rechten Parteien mit seinem Block aus Zentristen und wirtschaftsliberalen könnte ebenfalls eine Mehrheit im Parlament hinter sich bringen, müßte dann aber auch den als „rechtsextrem“ gescholtenen RN von Marine Le Pen beinhalten. Das aber lehnen viele Franzosen ab, Macron müßte sich von der Linken als „Steigbügelhalter des Faschismus“ bezeichnen lassen. Ein Vorwurf, den insbesondere die Migrantenvertreter im linken Flügel bereits jetzt vereinzelt gegen den Präsidenten vorbringen. 

Gefangen zwischen Skylla und Charybdis soll es nun die alte Garde richten. Zu einem Krisentreffen im Élysée-Palast zu Beginn der Woche lud der Amtsinhaber zwei seiner Vorgänger ein, den Sozialdemokraten François Hollande und Nicolas Sarkozy, ehemaliger Präsident einer Mitte-Rechts- Regierung. 

Doch als für die französische Öffentlichkeit interessant stellte sich vor allem der dritte Gast heraus: Bernard Cazeneuve. Ein Mitglied der französischen Sozialdemokraten und versierter Strippenzieher im politischen Frankreich. Einige Parteikollegen halten ihm eine besondere ideologische Flexibilität vor, doch es dürfte gerade diese Flexibilität sein, die Cazeneuve für eine politische Lösung des Patts interessant macht. Eine überparteiliche Expertenregierung aus allen gemäßigen Lagern könnte zumindest zeitweise die Lage in Frankreich befrieden und es dem Land ermöglichen, wieder in die politische Offensive zu kommen. 

Denn während die derzeitige Regierung geschäftsführend weiter im Amt ist, leidet das politische Tagesgeschäft zunehmend unter der unübersichtlichen Lage. Das macht sich auch im Finanzministerium bemerkbar. Die Steuereinnahmen seien deutlich geringer ausgefallen als erwartet, so ein Sprecher des Ministeriums, man sehe sich „mit einem deutlich größeren Defizit konfrontiert als geplant. 

Abhilfe schaffen könnten entweder Sparmaßnahmen oder zusätzliche Steuern, aber für beides fehlt eine parlamentarische Mehrheit. Mitverantwortlich für das Loch im Haushalt ist die weiter schwelende Krise in Neukaledonien, für die sich ebenfalls keine politische Lösung abzeichnet, solange keine neue Regierung mit möglichst komfortabler Mehrheit wieder die Fäden in Paris zieht. 

Beide Punkte dürfte der ebenfalls am Montag eingeladene Xavier Bertrand beim Vierertreffen vorgebracht haben. Der Jurist und engagierte Freimaurer Bertrand ist gewissermaßen das Gegenstück zum ähnlich diskreten Cazeneuve. Auch er gilt als Strippenzieher im Mitte-Rechts-Block und wird ebenfalls als „Pragmatiker“ von seinen Parteikollegen bezeichnet. Er könnte für eine Expertenregierung in Frage kommen, die sich ihre Mehrheiten im Parlament je nach Gesetzesvorhaben zusammensucht. 

Linke startet Petition zur Absetzung von Macron

Aus dem Umfeld Macrons heißt es zu Cazeneuve, er habe „sich nicht in den Vordergrund gedrängt“, sei aber „ein verantwortungsvoller Linker“. Ein Seitenhieb, der vor allem von Mélenchon verstanden werden dürfte. Wenn Cazeneuve ein „verantwortungsvoller Linker“ ist, dann – so die Lesart des französischen Establishments – ist der zwar an Parlamentsmandaten deutlich mächtigere Mélenchon ein unverantwortlicher Linker, ein politischer Hasardeur. Kein Wunder also, daß aus Mélenchons Lager bereits jetzt Stimmung gegen Cazeneuve gemacht wird: „Ich glaube nicht, daß er eine Chance hat. Er ist ein Mann der alten Ordnung“, so Fraktionssprecherin von La France Insoumise, Mathilde Panot. „Wenn Emmanuel Macron sich selbst ernennen könnte, hätte er es getan“, spottete Panot am Dienstag und verwies auf die Petition für die Absetzung von Macron, die schon fast 200.000 Menschen unterzeichnet hätten.

Auch auf der Rechten dürfte man über beide Kandidaten ähnlich denken, eine Tolerierung von Cazeneuve oder Bertrand durch Marine Le Pen und ihren RN gilt als ausgeschlossen. Sollte keine Mehrheit für eine Regierung zustande kommen, stünden Frankreich weitere turbulente Monate bevor – Neuwahlen nicht ausgeschlossen.