© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/24 / 06. September 2024

Ende der Vielfalt
Marketing: Während in den USA Unternehmen nun weniger politisch agieren, sieht es in Deutschland ganz anders aus
Thomas Kirchner

Während Woke-Ideologie in US-Firmen auf dem Rückzug ist, kommt Werbung mit Diversität in Deutschland gerade erst in Fahrt. Mittelständische Familienunternehmen versuchten unter dem Slogan  „Made in Germany – Made by Vielfalt“ Sympathien zu erringen. Vielfalt der Beschäftigten sei ein Erfolgsfaktor für „Made in Germany“, so die Initiative, die vom Nachwuchsgesellschafter Timm Mittelsten Scheid des Haushaltsgeräte-Direktvertriebs Vorwerk aus der Taufe gehoben wurde. In den sozialen Medien wurde die Kampagne zum Flop: der Hashtag #MadebyViefalt wurde von Migrationskritikern gekapert.

Diversität ist in der Belegschaft ein hochbrisantes Thema, bei dem US-Unternehmen inzwischen wieder zurückrudern. Zu oft liefen radikale Diversitätsinitiativen auf die Benachteiligung von Angestellten hinaus, die nicht divers genug waren. Angestellte mußten sich DEI-Schulungen (Diversity, Equity, and Inclusion) unterziehen. Kritiker bemängeln, sie vergifteten das Unternehmensklima, weil sich Teilnehmer wie auf einer Anklagebank fühlten. Meßbare Verbesserungen gibt es keine. Entsprechend rudern viele US-Unternehmen zurück.

Microsoft entließ sein gesamtes DEI-Team zum 1. Juli wegen „veränderter Anforderungen an das Unternehmen.“ Ford will seine DEI-Praktiken verändern und wird auch nicht mehr an Rankings für LGBTQIA+ teilnehmen. Der Rückzug von Vielfaltsprogrammen ist sogar meßbar. Zur Spitze der DEI-Mode im ersten Quartal 2021 erwähnten fast 300 Unternehmen DEI in ihren Quartalsberichten, nach nur knapp über null im Jahr zuvor. Im ersten Quartal 2024 waren es dann nur noch 74. Wie auch bei „Made by Vielfalt“ haben soziale Medien zumindest in Einzelfällen eine Rolle gespielt. Bei Tractor Supply Company, ein amerikanischer BayWa, die Hobby- und Kleinlandwirte beliefert, löste der konservative Filmproduzent Robby Starbuck den Rückzug von DEI aus. Der Kundenstamm lebt in überwiegend konservativ geprägten, ländlichen Regionen, wo man mit DEI nicht viel am Hut hat. Die gleichen Kunden hat der Landmaschinenhersteller John Deere, der sein DEI-Programm aufhob, nachdem es von Starbuck veröffentlicht worden war. Andere Firmen, deren DEI-Initiativen von Starbuck enthüllt wurden und die zurückruderten, sind Harley Davidson, Jack Daniels (JF 36/24) oder die Baumarktkette Loews.

„Bin Lebensmitteleinzelhändler und kein Politiker“

Nun kann die Negativ-Öffentlichkeit von DEI nicht nur peinliche Schlagzeilen verursachen, auch schwerwiegende finanzielle Auswirkungen hat es schon gegeben. Paradebeispiel ist die Biermarke Bud Light, die sich vom Trans-Influencer Dylan Mulvaney im Aptil 2023 einen Umsatzschub erhoffte. Stattdessen gab es einen Verbraucherboykott, der allein 2023 Umsatzeinbußen von mindestens einer Milliarde Dollar verursachte. Wie eine Studie in der Harvard Business Review vom März dieses Jahres zeigt, dauern die Langzeiteffekte an, denn der niedrigere Absatz führt wiederum dazu, daß das Bier in Supermärkten, Bars und Restaurants weniger angepriesen wird.

Ähnlich erging es der zweitgrößten US-Einzelhandelskette Target, die Trans-Badeanzüge direkt an den Eingängen plazierte. Erst mieden Familien die Filialen, dann nahmen konservative Aktivisten den Konzern ins Visier, und nachdem der Konzern zurückgerudert hatte, war dann hingegegen die LGBTQIA-Lobby verärgert. Nicht nur hatte es sich Target mit allen verscherzt, auch der Umsatz litt: trotz Inflation sank er von 109 Milliarden Dollar 2022 auf nur noch 107 Milliarden 2023.

Vorige Woche experimentierte dann die Edeka-Zentrale anläßlich der Wahlen in Thüringen und Sachsen mit einer Anti-AfD-Werbeaktion; „Warum bei Edeka Blau nicht zur Wahl steht.“ Das könnte noch gravierendere Auswirkungen haben, als man es in den USA gesehen hat, denn in manchen Regionen könnten sich über 30 Prozent der Wähler vor den Kopf gestoßen fühlen. Kein Wunder, daß einige Franchisenehmer die Hamburger Konzernzentrale öffentlichkeitswirksam zurückpfiffen: „Ich bin Lebensmitteleinzelhändler, kein Politiker und werde mich deshalb auch mit meinem Markt in solche Themen nicht einmischen!“ Die selbständigen Händler hofften offenbar, daß die betroffenen Kunden den feinen Unterschied zwischen Konzern und Franchisenehmer verstehen.

Die Chancen dafür stehen aber nicht gut, wie diverse Aktionen gegen die Franchisekette McDonald’s gezeigt haben. So kündigte der US-Fastfood-Konzern im April an, seine 225 israelischen Filialen zurückzukaufen. Anlaß sind Boykott­aktionen in muslimischen Ländern und Frankreich, weil der israelische Franchisenehmer Alonyal Limit­ed nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 Zehntausende kostenlose Mahlzeiten an israelische Soldaten ausgegeben hatte.

Nicht nur die Privatwirtschaft verabschiedet sich in den USA langsam von DEI, auch Universitäten dürfen nach einem Urteil des Obersten Gerichts in Washington die ethnische Herkunft von Kandidaten nicht mehr berücksichtigen. Quoten waren zwar schon jahrzehntelang verboten, wurden aber durch die Hintertür eingeführt, indem DEI versuchte, die „Diversität“ der Gesellschaft widerzuspiegeln. Vom Massachusetts Institute of Technology liegen erste Zahlen vor: der Anteil von Studenten asiatischer Herkunft stieg um sieben Prozentpunkte. In der Vergangenheit brauchten sie wegen der Nicht-Quoten bessere Noten als andere Bewerber.

 mckinsey.com/featured-insights/mckinsey-explainers/what-is-diversity-equity-and-inclusion