Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) arbeite mit Partnern an klimaneutraler Strahlproduktion mit Fokus auf Einschmelzertechnologien – diese Jubelmeldung aus dem Konzern ist zwei Wochen alt, aber daß künftig elektrische Einschmelzer jährlich 2,5 Millionen Tonnen direktreduziertes Eisen zu Roheisen verarbeiten werden und daß das Forschungsprojekt „Save CO₂“ Einschmelzerschlacke für die Zementindustrie nutzbar machen will, interessiert derzeit niemanden.
Auch nicht die anderen TKSE-Bemühungen um die von der Bundesregierung und der EU geforderte „grüne“ Stahlproduktion. Statt dessen bestimmt ein handfester Streit in den Führungsetagen das Medienbild: „Die Stahlsparte enthauptet, das Image ramponiert“, titelte die Wirtschaftswoche. TKSE mit 27.000 Beschäftigten – 1999 hervorgegangen aus der Fusion der beiden Ruhrkonzerne Thyssen und Krupp – ist aktuell führungslos. Und das mitten in der politisch erzwungenen Umstrukturierung. Stahlchef Bernhard Osburg, Personalvorstand Markus Grolms sowie Geschäfsführerin Heike Denecke-Arnold haben hingeschmissen und nach Aussage von Sigmar Gabriel Aufhebungsverträge unterschrieben. Auch der frühere SPD-Vizekanzler selbst hat seinen Aufsichtsratsposten aufgegeben. Drei weitere Aufsichtsräte ebenfalls.
Gabriel begründet seinen Rückzug mit einem „schweren Vertrauensbruch“ und einer „beispiellosen Kampagne“ gegenüber dem Aufsichtsrat der Stahltochter. Gemeint ist Thyssenkrupp-Chef Miguel Ángel López Borrego. Der hatte speziell Osburg „Schönfärberei“ bei der Erstellung eines neuen Businessplans vorgeworfen. Doch Osburg, der auch Präsident des Branchenverbands Wirtschaftsvereinigung Stahl ist, gilt in der Branche als „bester Stahlvorstand“, den „Thyssenkrupp je hatte“.
Wegen der anhaltend schlechten Stahlkonjunktur und der nicht ausreichenden Auslastung der Werke soll die TKSE-Stahlproduktion von 11,5 auf rund 9,5 Millionen Tonnen sinken. Deswegen demonstrierten am 29. August Tausende Stahlarbeiter in Duisburg. Mit Balken wurde der Zugang zur Firmenzentrale blockiert, brennende Tonnen aufgestellt und in einer Petition die Entlassung von López gefordert. Nach Ansicht der IG Metall stehen bis zu 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Und es geht um viel Geld. Während López die Stahltochter mit weniger als 2,5 Milliarden Euro sanieren und in die Selbständigkeit entlassen will, geht Osburg von mehr als 3,5 Milliarden Euro aus.
Grundlage dafür ist ein Roland-Berger-Gutachten, das aber sei von López nicht akzeptiert worden. In der Aufsichtsratsitzung soll es äußert rüde zugegangen sein. Der deutsch-spanische Manager habe „richtig aufgedreht, alle waren unfähig, alle waren doof“, berichtet der frühere IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. „Es war ein Diskussionsniveau unter aller Würde.“ Die Anteilseigner im Aufsichtsrat, darunter Ursula Gather, Chefin der Kruppstiftung, stellten sich dagegen öffentlich hinter López.
Daß die Misere noch intern gelöst werden kann, daran glaubt Wetzel nicht: „Die Politik muß in den nächsten Wochen und Monaten hier eine zentrale Rolle spielen.“ Überdies besorgt ihn der wachsende Einfluß des Milliardärs Daniel Křetínský, der über seine Holding EPH bereits 20 Prozent der TKSE-Anteile hält. López strebe ein Joint Venture mit dem 49jährigen Tschechen an, aber dessen Pläne seien „völlig undurchsichtig“. Gabriel favorisiert den Komplettverkauf der Stahlsparte. Nicht zur Sprache kamen jene zwei Milliarden Euro, mit denen der Steuerzahler den „grünen“ Umbau der Stahlproduktion fördern soll. Um Deutschland bis 2045 „klimneutral“ zu machen, wäre es allerdings am einfachsten, die Stahlproduktion einzustellen. Ausländische Wettbewerber würden sich freuen.