Der „Servietten-Journalismus“, der die Kommunikationsstrategie der SED bestimmte, hieß so, weil Erich Honecker und Joachim Herrmann, der Chefredakteur des Parteiorgans Neues Deutschland (ND), im trauten Zwiegespräch täglich beim Mittagessen festlegten, was die Nachrichtenagentur ADN, das ND und die Aktuelle Kamera zu berichten hatten. Auch wenn das nicht jedem DDR-Bürger bekannt gewesen sei, hätten die Mitteldeutschen zu keinem Zeitpunkt in der 50jährigen Geschichte des Arbeiter- und Mauerstaates seine Medien für glaubwürdig gehalten. Hingegen war in der Bonner Republik das Medienvertrauen nahezu ungebrochen, und auch in der Berliner Republik glaubt eine Umfragemehrheit weiterhin an „das Märchen vom unabhängigen Journalismus“, wie der in der DDR sozialisierte Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen (Uni München) berichtet (Tumult, 3/2024). Im Vergleich zur SED-Diktatur fordere die „propagandistische Machtinterpretation der Wirklichkeit“ den Herrschenden erheblich größere Investitionen ab. Kam die Abteilung Agitation des ZK mit deutlich weniger als 100 Beschäftigten aus, verfügt allein das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung über 500 Planstellen. Dabei sei die Vermittlung einer Welt des schönen Scheins längst wichtiger als jeder Inhalt. Wofür das zusätzlich mit „33 Experten für strategische Kommunikation“ aufgerüstete Pressereferat der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) das beste Beispiel abgebe. Sie werde zwar professioneller „gecastet“ als Honecker, ihr PR-Apparat aber produziere die alte SED-Melange aus „Phrasendrescherei und Nullmeldungen“. (dg) www.tumult-magazine.net