Die Herrlichkeit des Lebens“ lautete der Titel eines Films über Franz Kafka, der im Frühjahr in die Kinos kam (JF 12/24). Es ging um das Thema Sterben. „Die Ironie des Lebens“ ist der Titel eines Films, der jetzt in die Kinos kommt. Worum geht’s diesmal? Ums Sterben. Und um die Veränderung, die ein Leben im Todesschatten in den Menschen auslösen kann. Autor Oliver Ziegenbalg und Regisseur Markus Goller hatten das Glück, daß ihnen für ihre Tragikomödie einige der besten deutschen Schauspieler zur Verfügung standen.
Er sei der erhöhte Cholesterinspiegel seiner Generation, witzelt Edgar (Uwe Ochsenknecht) über die Leiden des fortgeschrittenen Alters. Der 67jährige steht seit Jahrzehnten als Unterhaltungskünstler auf der Bühne und macht dort alles zu einem Witz, was sein Alltag so hergibt. Dabei spielt immer wieder auch die gescheiterte Beziehung zu seiner Ex-Frau Eva (Corinna Harfouch) eine Rolle – sehr zum Vergnügen des Publikums. In dem sitzt eines Abends auch die durch den Kakao Gezogene selbst – nach 25 Jahren, in denen sich die beiden Geschiedenen konsequent aus dem Weg gegangen sind.
Die beiden erwachsenen Kindersind seelisch verletzt
In der Garderobe erfährt der Kabarettist den Grund für das überraschende Wiedersehen: Eva ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und hat sich mangels Erfolgsaussichten gegen eine Behandlung entschieden. Edgar fällt aus allen Wolken und möchte seine Ex dazu ermutigen, es doch wenigstens mit einer Operation zu versuchen. Die Todgeweihte quittiert das mit Ironie: Er wolle doch nur „die große Edgar-Rettungsshow“ abziehen. Sie aber wünsche sich, zu „sterben mit der größtmöglichen Würde, die ich habe“.
Die schockierende Nachricht führt dazu, daß Edgar sich seiner Frau wieder zuwendet. Er möchte Teil der rapide verstreichenden Zeit sein, die Eva noch bleibt. Was, fragt er sich in einer stillen Stunde, wenn es doch ein Jüngstes Gericht gibt und er Gott Rechenschaft für sein irdisches Tun und Trachten geben muß? Der Komödiant schlägt vor, daß die Todkranke ihn auf seiner Tournee begleitet. Mit seinem aktuellen Bühnenprogramm „Von hier an abwärts“ (was übrigens auch ein schöner Filmtitel gewesen wäre) tourt er nämlich gerade durch Deutschlands Großstädte. Eva läßt sich in Anbetracht der besonderen Umstände darauf ein. Den angestauten Groll über Edgars narzißtische Persönlichkeit, die sie dafür verantwortlich macht, daß er seine Familie damals zugunsten seiner Bühnenkarriere einfach im Stich ließ, kann sie in ihrer Lage nicht gebrauchen. Aber wie werden ihre beiden erwachsenen Kinder Melli (Emilia Schüle, bekannt aus „Ku’damm 56“) und Patrick (Robert Gwisdek), die Eva allein großziehen mußte, darauf reagieren, daß der Geächtete plötzlich wieder mittendrin ist in ihrem Leben?
Drama in Sicht. Beide tragen nämlich die Verletzungen, die die Abwesenheit des Vaters ihnen zugefügt hat, bis heute mit sich herum: Melli ist ein sprunghaftes Nervenbündel, das keine stabile Beziehung führen kann und in die fatalen Fänge der Regenbogensekte geraten ist. Mit Youtube-Videos und Auftritten in schäbigen Autonomen-Kellern versucht sie in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Der weigert sich anfangs, diese Kleinkunst ernst zu nehmen. Patrick, der als Lehrer arbeitet, ist herangereift zu einem typischen Vertreter der Generation Hypermoral, die sich mit Edel-Altruismus und sozialem Engagement eine öffentliche Fassade errichtet hat, hinter der sie Feindbilder pflegt wie Zimmergeranien und ihrem privaten Haß täglich neue Opfer darbringt. Seinen Vater behandelt Patrick herablassend und feindselig. Er läßt ihn wissen: Die Chancen auf eine Versöhnung liegen bei null Prozent.
Eine derart schematisch angelegte Geschichte kann nur funktionieren mit absolut glaubwürdigen und voll in ihren Rollen aufgehenden Schauspielern. Und auf die konnten sich Ziegenbalg und Goller, die den Film auch produziert haben, tatsächlich verlassen. Alle vier Hauptdarsteller glänzen in ihren Rollen. Corinna Harfouch meistert den schwierigen Spagat zwischen ernst und heiter. Uwe Ochsenknecht ist als Bühnenstar zwar sichtlich mehr in seinem Element denn als reumütiger Egomane, aber auch das klappt. Emilia Schüle geht voll in der Rolle der flippigen Sinnsucherin auf, und Robert Gwisdek verschmilzt förmlich mit der Figur des verbitterten Moralpolterers. Das alles macht aus der etwas abgedroschenen Filmidee über einen Familienversager im Abbitte-Modus, die Perlen wie „Paris, Texas“ (1984) oder „Crazy Heart“ (2009) hervorbrachte, zwar kein Meisterwerk, sehr wohl aber einen stimmigen Film über wahre Liebe, späte Reue und die Höhen und Tiefen des Lebens.
Kinostart ist am 5.September 2024