Ihr größtes Problem kennt Martina Schweinsburg ganz genau: „Meine Gusche ist schneller, als sie sein sollte.“ Aber eben das ist es, was die Thüringer im Kreis Greiz seit 34 Jahren an ihrer Landrätin schätzen: die volksverbundene, geradlinige Art. Etwa als sie nach den AfD-Zugewinnen bei den Kommunalwahlen im Mai nicht nur äußerte, „die Brandmauer ist eingestürzt – das ‘undankbare’ Volk wählt die, die es nicht hätte wählen dürfen“, sondern auch an die Friedliche Revolution erinnerte: „Wir Ossis können das Einreißen von Mauern – wir haben da wirklich Erfahrung!“
Gäbe es keine Altersgrenze, wäre die 1958 in Gera geborene dienstälteste Landrätin der Bundesrepublik noch immer im Amt. Doch hat sie das Amt übergeben und kann nun als frischgewählte Abgeordnete ihr mit 46,7 Prozent der Erststimmen erkämpftes Mandat im Erfurter Landtag antreten – ebenso wie ihren Sitz im Kreistag und im Stadtrat ihrer Heimatgemeinde Auma-Weidatal. Zudem hat sie ihr Nachfolger im Landratsamt zur ersten „Botschafterin des Landkreises Greiz“ ernannt – vielleicht auch weil sie sich als Präsidentin des Thüringischen Landkreistags seit 2012 einen Namen gemacht hat.
Die emsige Volksvertreterin ist also nicht irgendwer, und so hat es Gewicht, wenn sie öffentlich ausspricht, was andere in ihrer Partei nicht einmal zu denken wagen: Die CDU sollte Sondierungsgespräche auch mit der AfD führen, da „über dreißig Prozent sie gewählt haben“, sprich „aus Respekt vor dem Wähler“. Überhaupt: „Die Pippi-Langstrumpf-Politik – mit der AfD darfst du nicht spielen – ist gescheitert“, verkündet Schweinsburg resolut. Ja, selbst einen blauen Parlamentspräsidenten schließt sie nicht aus: „Die AfD hat als größte Fraktion das Vorschlagsrecht“, erklärt sie im Stern, „und so wie ich 2019 in der CDU die Wahl der Linken und Ex-SED-Funktionärin Birgit Pommer unterstützt habe, lehne ich nun einen AfD-Kandidaten nicht von vornherein ab.“
Pikant: Schweinsburg gehört nicht nur dem Parteivorstand, sondern auch CDU-Chef Voigts Schattenkabinett an.
Mit all dem spricht sie nicht nur aus, was sich viele Wähler erhoffen, sondern was auch manches Mitglied der neuen CDU-Fraktion denkt, vermutet der als Vordenker der Landes-CDU geltende Karl-Eckhard Hahn in einem Gastbeitrag für die Thüringische Landeszeitung. Dergleichen hat sein Parteichef Mario Voigt zwar ausgeschlossen, doch pikant ist: Schweinsburg gehört nicht nur dem Landesvorstand an, sondern war vor der Wahl von Voigt sogar in sein Schattenkabinett geholt worden. Dabei hatte die 1990 der CDU Beigetretene bereits in der Regierungskrise infolge des erzwungenen Ministerpräsidenten-Rücktritts Thomas Kemmerichs für eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD geworben, die „von der jeweiligen Person, nicht der Partei“ abhänge. Während Corona kritisierte die studierte Veterinäringenieurin von der Regierung Ramelow angeordnete Massentests in Greiz als „überfallartige Nacht-und-Nebel-Aktion“ und eine Quarantäne ihres Kreises. 2023 warf sie den Grünen „religiösen Fanatismus“ in Sachen Klimawandel sowie falschen Umgang mit der AfD vor. Und die Milliarden für den Ukraine-Krieg, mahnt Schweinsburg, würden dringend für Schulen, Gesundheit und Infrastruktur gebraucht – Berlin habe „wirklich den Schuß nicht gehört“.
Bleibt die Frage, ob Mario Voigt ihre Direktheit nicht vielleicht zupaß kommt: Hinter ihr kann er sich verstecken und abwarten, wie die Berliner Unions-Granden reagieren.